Unbegrenzte Ölförderung 18.04.2016 18:00:00

Ölpreis stürzt erneut ab: Droht nun eine weltweite Krise?



Seit vielen Monaten verliert einer der wichtigsten Rohstoffe auf diesem Planeten kontinuierlich an Wert: Öl kostet heute nicht einmal mehr ein Drittel dessen, was das "schwarze Gold" vor zwei Jahren kostete. Von damals mehr als 100 US-Dollar pro Barrel Rohöl ist der Preis auf weniger als 40 US-Dollar im April 2016 abgerutscht - das Angebot auf dem Weltmarkt ist nach wie vor viel zu hoch!

Herber Rückschlag für die Ölpreisbegrenzung

Am Wochenende gab es nun einen weiteren herben Rückschlag: Russland und die Förderländer der Opec schafften es nicht, sich auf eine Kürzung oder zumindest eine Begrenzung der Ölfördermenge zu einigen. Die Folge: Zum Start in die aktuelle Handelswoche brach der Ölpreis erneut kräftig ein. Zeitweise rutschte der Kurs für die US-Rohölsorte WTI über sieben Prozent ab auf weniger als 41 US-Dollar pro Barrel

Mehr als ein Dutzend Ölförderer, darunter die mächtigen Länder Saudi-Arabien und Russland, scheiterten an der Haltung des Iran - so zumindest ist es zwischen den Zeilen zu lesen. Bereits vor dem Treffen hatte die Regierung in Teheran mitgeteilt, bei den Plänen der mächtigen Fördernationen nicht mitmachen zu wollen. Im Gegenteil: Der Iran werde seine Produktion auf vier Millionen Barrel am Tag erhöhen, sagte Ölminister Bidschan Namdar Sanganeh. Damit geht der Iran auf Konfrontationskurs mit den anderen Förderländern - und riskiert eine weltweite Krise.

Toll für die Verbraucher, dramatisch für die Ölindustrie

Dass die Verhandlungen im Golfemirat Katar ohne Ergebnis zu Ende gingen, dürfte die Verbraucher zunächst einmal freuen. Seit Monaten tanken sie - dank der Ölschwemme - Benzin und Diesel so günstig wie Jahre zuvor nicht mehr. Kostete ein Liter Diesel Mitte 2013 noch mehr als 1,40 Euro, müssen Kunden an der Tankstelle derzeit selten mehr als 1,00 Euro bezahlen. Diese Tatsache hat aber auch eine Kehrseite.

Unter dem Ölpreisverfall leiden vor allem die Öl- und Gasproduzenten. Erst vor einigen Tagen musste der amerikanische Ölkonzern Energy XXI Insolvenz anmelden. Einen Tag später beantragte die texanische Goodrich Petroleum Corporation ebenfalls Gläubigerschutz. Beide Unternehmen leiden unter einer gewaltigen Schuldenlast, die sie wegen des rasanten Ölpreisverfalls erdrückt.

Diese plötzliche Pleitewelle ist besorgniserregend. Vor allem für kleine und mittlere Firmen der Ölindustrie wird der Preisverfall mehr und mehr zum großen Problem. Branchenexperten rechnen mit einer regelrechten Insolvenzwelle: Die Beratungsgesellschaft Deloitte kam im Februar zu dem Schluss, dass gut einem Drittel der weltweiten Ölförderer und Explorationsfirmen das Aus droht.

Folgen nach Firmeninsolvenzen nun Staatspleiten?

Die gescheiterten Verhandlungen zwischen Saudi-Arabien, Russland und dem Iran machen also nicht nur den Benzinpreis günstiger, sie könnten nicht viel weniger als eine weltweite Krise auslösen. Denn die Insolvenzen von Energy XXI und Goodrich Petroleum Corporation dürften nur der Anfang einer Weltwirtschaftskrise sein.

Vielen Schwellenländern macht der Ölpreisrutsch bereits jetzt schwer zu schaffen. In Brasilien zum Beispiel schrumpfte die Wirtschaft im vergangenen Jahr um fast vier Prozent. Für dieses Jahr sagt der IWF einen ähnlichen Rückgang voraus.

Im Ölförderland Nigeria kämpft die Regierung nicht nur gegen islamistische Terroristen und wirtschaftliche Stagnation, sondern seit geraumer Zeit auch noch gegen einen niedrigen Ölpreis - insgesamt nur mit bescheidenem Erfolg. Der Irak und Libyen, zwei weitere Ölstaaten, sind bereits durch Islamisten zersetzt.

Doch selbst in den reichen Emiraten und den Ländern auf der Arabischen Halbinsel steigt der Druck auf die Regierungen: In Kuwait streiken die Ölarbeiter, um auf Lohnkürzungen aufmerksam zu machen. Sogar Saudi-Arabien droht Ungemach: Im vergangenen Jahr betrug das Haushaltsdefizit 35 Prozent, in diesem Jahr könnte es sogar noch steigen - nur die enormen Währungsreserven des Landes gleichen diese Finanzlöcher derzeit noch aus. Früher oder später allerdings wird die Regierung drastisch sparen müssen. Davon würde dann ein Volk getroffen, das nur durch üppige Wohltaten und "Brot und Spiele" ruhig gehalten wird.

Venezuela steht vor dem Zusammenbruch

Doch es geht noch schlimmer: Venezuela lebt wie kein zweiter Staat der Erde vom Öl und treibt nun in Richtung Pleite - inzwischen wird sogar der Strom rationiert. 2015 lag die Inflationsrate in dem südamerikanischen Land bereits bei 180 Prozent - ein weltweiter Rekord. Und auch sonst sieht es für Venezuela gar nicht gut aus: Die Wirtschaft schrumpfte um sechs Prozent, die Devisenreserven sind fast aufgezehrt, die Wahrscheinlichkeit, dass der Staat in den nächsten fünf Jahren pleitegeht, liegt bei 98 Prozent. Venezuela dürfte das erste Opfer des globalen Öl-Preisverfalls werden, Venezuela steht vor dem Kollaps.

Und in Russland hält Putin die Massen nur durch Propaganda im Zaum - gegen vermeintliche äußere Feinde. Noch wirkt der Appell an die traditionelle Leidensfähigkeit seines Volkes. Doch Russland steckt tief in einer Krise: Im vergangenen Jahr ging die Wirtschaftsleistung um 3,8 Prozent zurück, die Aussichten für das laufende sind ebenfalls düster. Russlands Zentralbank rechnet mit einem weiteren Minus von bis zu einem Prozent. Einige Ökonomen sehen Russlands Wirtschaft bereits jetzt im Notbetrieb.

Soziologen registrieren auch unter den Anhängern des russichen Präsidenten Wladimir Putin eine steigende Unzufriedenheit. Viele Bürger sind enttäuscht, die Zustimmungswerte von Putins Partei seit Dezember von 56 Prozent auf 47 Prozent abgesackt. Die Sanktionen des Westens wegen der Ukraine-Krise und der fallende Ölpreis entfalten bereits ihre Wirkung.

Ölpreisverfall ist tickende Zeitbombe

In den Öl-Ländern rund um den Globus braut sich etwas zusammen, einige Experten sprechen schon von einer tickenden Zeitbombe: Demonstrationen drohen, Aufstände dürften folgen. Mit jedem Dollar, den der Ölpreis weiter sinkt, wird diese Situation dramatischer.

Doch nicht nur die typischen Ölfördernationen leiden unter dem Preisverfall. Unter anderem muss auch die Chemie-Branche bessere Konditionen oft mit niedrigeren Preisen für Kunst- oder Farbstoffe an ihre Kunden weitergeben. Der BASF-Überschuss sank 2015 auch deshalb um fast ein Viertel auf annähernd vier Milliarden Euro.

Im Juni könnte ein Schreckensszenario vermieden werden

Das Scheitern des Opec-Treffens am Sonntag war ein gefährliches Signal. Die schlimmsten Folgen werden sicherlich nicht ein paar Pleiten von kleinen und mittelgroßen Ölproduzenten bleiben. Nein, der Preiseinbruch beim Öl könnte sich zu einer Weltwirtschaftskrise ausweiten. Und schlimmstenfalls drohen weit dramatischere Konsequenzen für die gesamte weltpolitische Lage - vor allem dann, wenn Staaten wie Nigeria oder Saudi-Arabien zusammenbrechen würden.

Derzeit ist das noch ein Schreckensszenario. Doch die Ölförderländer - allen voran "Quertreiber" Iran - sollten diese Auswirkungen bei ihrem nächsten Zusammentreffen im Hinterkopf behalten. Vielleicht gelingt eine Einigung auf eine Ölpreisbegrenzung im Juni. Dann will die Opec wieder zu einer Konferenz zusammenkommen - die Verhandlungen beginnen dann von vorne.



Von Markus Gentner/Redaktion finanzen.at

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