Euro am Sonntag-Interview 10.04.2016 03:00:02

Fondsmanager Speich: Zuspitzungen sind ein ­notwendiges Mittel

von Alexander Sturm, Euro am Sonntag

Wenn in den kommenden Wochen die Hauptversammlungssaison bei den DAX-Konzernen anläuft, schlägt seine Stunde: Ingo Speich zählt zu den bekanntesten Aktionärsver­tretern Deutschlands. Der 39-jährige Fondsmanager von Union Investment spricht auf vielen Hauptversammlungen an prominenter Stelle. Und er teilt als einer der wenigen Investoren hierzulande öffentlich Kritik gegen Vorstände aus. "Wir fragen uns, ob das Management in der Lage ist, das Unternehmen adäquat zu führen ", polterte er auf dem vergangenen Aktionärstreffen der Deutschen Bank - und verweigerte dem Vorstand die Entlastung. Im Diesel­skandal bei VW kritisierte er, mit der derzeitigen Konzernführung sei "es kaum möglich, das Vertrauen des Kapitalmarkts zurückzugewinnen".


Auch im Interview mit €uro am Sonntag scheut Speich klare Worte nicht. Er hält ein Plädoyer für die Hauptversammlung als Ort einer aktiven Aktienkultur und erklärt, warum er als Manager von Nachhaltigkeitsfonds bewusstes Wirtschaften wichtig findet. Und er erneuert Vorwürfe gegen VW und die Deutsche Bank. Speich macht seinem Ruf als aktiver Investor alle Ehre.

€uro am Sonntag: Herr Speich, wie wird man Aktionärs­vertreter, hat Union Investment einst ein Redner­talent in Ihnen entdeckt?
Ingo Speich:
Hauptversammlungen haben mir schon immer Spaß gemacht. Ich finde Einblicke in Unternehmen spannend, gerade persönliche Besuche. Es bereichert die Arbeit, wenn man nicht nur im Büro Zahlenkolonnen sichtet, sondern sich vor Ort umschaut. Dazu zählen Hauptversammlungen. Ich mag auch den Kontakt zu Kleinanlegern am Würstchenbüffet. Was den Ausschlag für mich gab, kann ich nicht sagen.

Wie lange sind Sie Aktionärsvertreter?
Meine erste Rede auf einer Hauptversammlung war 2007. Damals hatte ich mich aber eher sporadisch mit dem Thema beschäftigt. 2009 haben wir ­entschieden, Hauptversammlungen nicht mehr über die jeweiligen Sektor­analysten zu betreuen, sondern sie im Team für nachhaltige Investments anzusiedeln. Dabei fiel das Thema mir zu. Seitdem betreue ich es.


Warum werden Hauptversammlungen im Bereich Nachhaltigkeit betreut?
Hauptversammlungen sollen aus einer Hand betreut werden. Das soll einheitliche Standards schaffen. Ein Aspekt der Nachhaltigkeit ist Governance, also verantwortungsvolle Unternehmensführung, die bei Abstimmungen auf Hauptversammlungen von zentraler Bedeutung ist. Auch kann man in Deutschland nachhaltige Aspekte nicht in die übliche Tagesordnung und Abstimmungen von Hauptversammlungen einbringen. Das geht nur über Reden. Außerdem wollen wir Themen wie Vergütung, Frauenquote oder die Überlastung einzelner Aufsichtsräte mit zu vielen Mandaten auf großer Bühne auch gegenüber dem Aufsichtsrat ansprechen.

Wie viele Aktionärstreffen besuchen Sie im Jahr persönlich?
Union Investment stimmt jährlich auf rund 1.200 Hauptversammlungen weltweit ab. Zehn bis 15 besuche ich persönlich. Ich würde gern mehr machen, aber Hauptversammlungen kosten Zeit, gerade die im Ausland. Zuletzt war ich bei der Banco Santander in Spanien. Ich reise immer am Vorabend an und muss damit mindestens zwei Tage veranschlagen. Wenn man im Mai zur Hochsaison zusätzlich zum Fondsmanagement mehrere Hauptversammlungen besucht, geht der Monat mit Reisen, Reden und ein bisschen Schlaf sehr schnell vorbei. Und Reden sind nur die Spitze des Eisbergs. Abstimmungen, die Kommunikation mit Firmen, das Klären einzelner Tagesordnungspunkte - um all das müssen wir uns im Team kümmern.

Schreiben Sie Ihre Reden selbst?
Unsere Analysten liefern mit ihren Zahlen Argumente zum operativen Geschäft, wir im Team liefern die Nachhaltigkeitsaspekte. Alle beteiligten Kollegen müssen sich in der Rede wiederfinden, der Wortlaut muss aber zu mir passen. Ich muss hinter den Argumenten stehen, gerade wenn es um harte Forderungen wie die Absetzung von Managern geht. Über Gespräche stehen wir mit Firmen regelmäßig im Kontakt. Unser Abstimmungsverhalten und die Reden treffen sie nicht unvorbereitet.

Ihre Auftritte sind also nur Spektakel?
Spektakel finde ich überzogen formuliert. Wir möchten etwas bewegen. Und wir können ja Firmen in persönlichen Treffen nicht das eine sagen und auf der Hauptversammlung das Gegenteil tun. Auftritte auf Hauptversammlungen sind ein Kommunikationskanal, um bei einzelnen Aspekten öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen. Wir wollen zeigen, dass wir verantwortungsvolle Investoren sind. Ich bin kein Freund von Hinterzimmern, sondern rücke manche Themen bewusst ins Rampenlicht. Ich finde, Hauptversammlungen sollten ­einen höheren Stellenwert haben.

Inwiefern?
Ich würde mir wünschen, dass mehr ­Investoren Hauptversammlungen besuchen und die Chance nutzen, dass ihnen der gesamte Vorstand und Aufsichtsrat Rede und Antwort steht. Und Firmen sollten Hauptversammlungen nicht zu sehr in die Marketingecke stellen. Bei Konzernen wie Siemens kommen Tausende Aktionäre. Sie sind für Firmen ein wichtiges Publikum. Die Leute kommen ja nicht nur wegen der Würstchen.

Reden auf Hauptversammlungen leben vom Zuspitzen, Poltern und Zetern. Kostete das anfangs Überwindung?
Nein, ehrlich gesagt nicht. Zuspitzungen sind ein notwendiges Mittel, auch wenn ich bei ernsten Themen gern Gas rausnehme. Meine erste Rede 2007 habe ich bei Karstadt gehalten, damals war Thomas Middelhoff Chef und ich noch Einzelhandelsanalyst. Im Düsseldorfer Congress Center waren um die 2.500 Leute, da war ich natürlich angespannt. Aber es hat Spaß gemacht.

Was gibt für Sie den Ausschlag, gerade auf der Hauptversammlung eines bestimmten Unternehmens zu sprechen?
Bei einigen Unternehmen haben wir große Anteile, bei anderen wollen wir unser Paket aufstocken und dafür Veränderungen bewirken. Zu vielen haben wir lange Beziehungen, etwa zur Deutschen Bank, Siemens, Daimler, E.ON und RWE. Die sind gesetzt. Ein anderer Fall sind abgeschlossene Veränderungen. Bei TUI haben wir jahrelang den Rücktritt von Konzernchef Michael Frenzel gefordert. Als ihm Friedrich Joussen 2012 folgte, stockten wir unseren Anteil auf. Im Februar war ich dort, um einfach ein Fazit zu ziehen.
Und Sie mahnen Manager ab …
Ja, das ist in einzelnen Fällen richtig. Wir haben etwa bei Adidas vor zwei Jahren Vorstand und Aufsichtsrat nicht entlastet, da wir mit der Strategie unzufrieden waren. Wichtig ist aber, dass es mir immer um die Sache und nicht um die Personen geht.

Auch dem Vorstand der Deutschen Bank haben Sie 2015 die Entlastung verweigert. Wie beurteilen Sie die Aufräumarbeit von John Cryan?
Er hat bisher gute Restrukturierungsarbeit geleistet. Trotzdem hat die Aktie massiv gelitten, sogar mehr als andere Bankwerte. Die schlechte Wertentwicklung kann man nicht ­allein Cryan anlasten, da sie mit Altlasten zu tun hat. Er ist ja erst seit vergangenen Juli als Chef im Amt. Man muss ihm Zeit geben für die Arbeit, die über Jahre versäumt wurde.

Im Januar äußerten Sie aber Kritik, da Cryan nach Abschreibungen im Herbst erneut die Bilanz berichtigte.
Die Kapitalmarktkommunikation 2015 war ein Desaster. Es fing schon mit der wenig detailreichen "Strategie 2020" von Anshu Jain und Jürgen Fitschen an und ging mit den Abschreibungen im Herbst weiter.

Union Investment ist ein großer ­Aktionär der Deutschen Bank. Was erwarten Sie von Cryan?
Der Lackmustest für Cryan wird sein, wie er die Meilensteine der Deutschen Bank nach vorn definiert. Er muss zeigen, dass die Restrukturierung greift und das operative Geschäft nicht zu sehr darunter leidet. Wir wollen Klarheit, dass die Bank aus dem Tal herauskommt. 2015 hatte sie massiv Marktanteile im Investmentbanking verloren. Das darf nicht noch mal passieren.

Auch VW ist eine Großbaustelle. Dort gibt es kaum Fortschritte beim Aufklären des Dieselskandals.
Die Situation bei VW ist unbefriedigend. Natürlich haben wir den Dieselskandal nicht vorhergesehen. Aller­dings schnitt VW in unserer Nachhaltigkeitsanalyse schon davor schlechter ab als BMW und Daimler.

Woran lag das?
Das Vergütungsmodell für Vorstand und Aufsichtsrat bei VW ist eine Katastrophe - unter anderem, weil es zu stark auf Wachstum getrimmt ist. Auch über die absolute Höhe lässt sich diskutieren. Der Aufsichtsratsvorsitzende war auch auf Nachfrage nie zu sprechen und der Vorstandschef hat keine Investorentreffen mit uns absolviert. Die Transparenz war unabhängig vom Dieselskandal weit unterdurchschnittlich.

Hat sich seither manches geändert?
Leider nicht. Wir hatten bereits vor Bekanntwerden des Skandals den Wechsel von Ex-Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch an die Spitze des Aufsichtsrats bemängelt, weil uns die Abkühlungsphase zwischen den Ämtern fehlte. Pötsch war lange Finanzvorstand und damit an strategischer Stelle. Wie soll er glaubwürdig den Skandal aufklären? Ich glaube ja, dass Herr Pötsch das Bestreben dazu hat. Nur fehlt das Vertrauen des Kapitalmarkts. Sonst stünde die Aktie nicht da, wo sie jetzt steht.

Halten Sie Vorstandschef Matthias Müller für die richtige Wahl?
Er ist ähnlich zu sehen wie Herr Pötsch. Nach solchen Einschnitten ist es für Externe leichter, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.

Zurück zum Thema Nachhaltigkeit. Sie steuern auch zwei Nachhaltig­keitsfonds, einen Aktien- und einen Mischfonds. Warum liegt ­Ihnen das Thema so am Herzen?
Weil es sich auszahlt. Ich betrachte Nachhaltigkeit vor allem aus betriebswirtschaftlicher Sicht, nicht nur aus der grünen Ecke. Nachhaltigkeit hat mehrere Aspekte: Öko­logie, Soziales und Aufsichtsstruk­turen. Nachhaltiges Wirtschaften hilft, Reputationsrisiken zu vermeiden. Nehmen Sie die Textilindustrie: Werden Vorwürfe wegen Kinderarbeit gegen Hersteller bekannt, leidet das Geschäft.

Welcher DAX-Konzern wirtschaftet besonders nachhaltig, wer nicht?
Ganz nachhaltig ist keiner. BMW und Henkel kommen nahe dran. BASF schneidet bei der Transparenz gut ab, obwohl das Geschäftsmodell nicht nachhaltig ist. Besonders kritisch sehe ich K+S wegen der Umweltverschmutzung durch Dünger.

In Ihren beiden Nachhaltigkeitsfonds liegen je nur zweistellige Millionenbeträge. Zählt bei der Geldanlage doch Rendite um jeden Preis?
Nachhaltigkeit boomt bei Großanlegern. Dagegen sind private Anleger noch zurückhaltend. Bankberater haben ohnehin mit den Dokumentationspflichten zu kämpfen, da erhöht Nachhaltigkeit die Komplexität weiter. Bringt man Privatanlegern nachhaltige Kapitalanlage näher, sind viele grundsätzlich offen dafür.

Vielleicht liegt es auch daran, dass Nachhaltigkeit oft als Marketing­hülse eingesetzt wird und viele inzwischen schon bei dem Wort mit den Augen rollen?
Es gibt sicher ein Imageproblem. Manche ältere Führungskräfte haben sich noch nie mit Nachhaltigkeit beschäftigt oder sehen darin einen Marketingtrick. Investoren begreifen zunehmend, dass Nachhaltigkeit ein wichtiger Teil des Risiko­mana­ge­ments ist. So laufen Aktien von Banken mit hohen Klagerisiken schlechter als Werte von solchen mit niedrigen Klagerisiken. Umgekehrt lässt sich generell aus häufigen Unfällen und Skandalen oft schließen, dass intern Prozesse falsch laufen.

Skandale schlagen im Internet­zeitalter leicht hohe Wellen, auch an der Börse. Stehen Konzerne heute schneller am Pranger als früher?
Natürlich gab es früher auch Verfehlungen. Der Kapitalmarkt reagiert aber heute sensibler auf Skandale, weil sie sichtbarer sind und zunehmend monetäre Konsequenzen haben. Jeder kann mit dem Smartphone Missstände aufnehmen, und die Öffentlichkeit ist viel sensibler als früher. Auch Nachrichten aus aller Welt sind schneller verfügbar. Konzerne können sich der Nachhaltigkeit nicht mehr entziehen.

Aktionär:

Aktiver Kritiker

Ingo Speich ist einer der bekanntesten Aktionärsvertreter Deutschlands und spricht auf vielen Hauptversammlungen. Er mischt sich gern öffentlich ein - eine Seltenheit in Deutschland. Speich arbeitet seit 2004 im Portfoliomanagement von Union ­Investment. Dort kümmert sich der studierte Betriebswirt leitend um Abstimmungen und Reden des Fondsanbieters auf Aktionärs­treffen. Zudem ist er Experte für nachhaltige Investments.

Investor

Bewusster Geldverwalter

Speich lenkt daneben zwei Fonds für ­Privatanleger. Im UniNachhaltig Aktien Global und im Mischfonds UniRak Nachhaltig legt er nach sozialen und ökologischen Kriterien sowie Aspekten guter Unternehmensführung an. Bis zu 7.000 Unternehmen werden auf Nachhaltigkeit ­analysiert. Ausgeschlossen sind Firmen, die etwa ihr Hauptgeschäft mit Rüstung, Alkohol oder Tabak machen oder Menschenrechte verletzen. Die nachhaltigsten und ökonomisch stärksten Firmen kommen in Speichs Portfolio.

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