02.06.2024 17:52:38

WDH/ROUNDUP 4/Mit Helis und Booten: Süddeutschland kämpft gegen die Fluten

(Tippfehler im ersten Absatz behoben)

AUGSBURG/SCHWÄBISCH GMÜND (dpa-AFX) - Ein Mann trägt einen Menschen durch schmutzig-braune Fluten. Helfer, bis über die Hüften im Wasser, schieben ein Schlauchboot mit Geretteten. Wer helfen kann, der hilft. Das Hochwasser hat den Süden Deutschlands in nie gekannte Weise getroffen. Rund 40 000 Einsatzkräfte sind allein in Bayern unterwegs. Ein Feuerwehrmann kommt ums Leben, als er mit anderen eine Familie aus ihrem umspülten Haus holen will.

Nichts ist vor Fluten sicher

Wie aus Eimern schüttet es. Seit Freitagabend dauert der Kampf gegen die Fluten an - und am Sonntag ist noch kein Ende in Sicht. Vielerorts steigen die Pegelstände dramatisch an - bei Straubing wird der Scheitel der Donau erst zur Wochenmitte erwartet - dabei soll höchste Meldestufe schon am Montag überschritten werden.

Viele Orte scheinen nicht mehr sicher. Altenheime werden ebenso geräumt wie ein Gefängnis mit hundert Häftlingen in Memmingen. Teils fällt das Handynetz aus. In Babenhausen im Unterallgäu schlagen die Behörden vor, wer Hilfe brauche und keinen Notruf absetzen könne, solle ein weißes Laken oder Tuch zum Fenster heraushängen. Oder - wenn möglich - sich am Fenster bemerkbar machen.

Neue Rekordwerte

Teils werden neue Rekord-Wasserstände erreicht. HQextrem - bisher wusste mit dem Wort wohl kaum jemand etwas anzufangen. Jetzt aber sorgt es für angespannte Mienen bei Rettungskräften und Verantwortliche in den Krisenstäben, die ununterbrochen tagen: Das HQextrem übersteigt noch das sogenannte HQ100, das ein Hochwasser bezeichnet, das im statistischen Mittel einmal in 100 Jahren erreicht oder überschritten wird.

Es sei "ein unberechenbares Hochwasser", das es so seit Beginn der Aufzeichnungen nicht gegeben habe, sagt etwa der zuständige Kreisbrandrat im Landkreis Pfaffenhofen an der Ilm, das Gesicht von Anspannung gezeichnet. "Der Markt Reichertshofen wird aktuell überflutet. Wir können nichts mehr tun."

Habeck und Söder im Katastrophengebiet

Mit ernsten Gesichtern stehen Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nebeneinander - sie sind in dem Ort eingetroffen, kurz nachdem ein Damm gebrochen ist. Unaufhaltsam strömt das Wasser heran. Ein Polizeisprecher sagt über die besonders bedrohten Gebiete des Landkreises Pfaffenhofen an der Ilm an dem Fluss Paar: "Wir konzentrieren uns auf Rettung von Menschen und Tieren, der Schutz von Sachwerten steht nicht mehr im Vordergrund." Selbst ein Teil des Krisenstabs ist zeitweise eingeschlossen. In insgesamt elf Landkreisen herrscht der Katastrophenfall.

Hubschrauber knattern über den überschwemmten Gebieten. An Seilwinden holen die Crews Menschen aus Häusern, die anders nicht mehr zugänglich sind, etwa in Babenhausen im Unterallgäu. "Es wurde immer mehr, und wir hatten keine Chance mehr", berichtet ein Anwohner über die Wassermassen. Die Menschen hätten schließlich im höchsten Tempo das Haus verlassen müssen.

Der ADAC holt zusätzlich zwei Helis mit Seilwinden aus anderen Teilen Deutschlands, besetzt mit erfahrenen Crews, die schon beim Hochwasser im Ahrtal geholfen haben. Bundeswehrsoldaten füllen unter Hochdruck Sandsäcke - die am Ende oft das Wasser nicht aufhalten können. Nachbarn gehen beim Auspumpen von Kellern zur Hand.

Feuerwehrmann kommt im Hochwasser um

Wie gefährlich das Helfen werden kann, zeigen zwei Unfälle. Ein 42 Jahre alter Feuerwehrmann stirbt in der Nacht zum Sonntag in den Fluten, als er mit drei Kollegen bei einer Rettungsaktion mit dem Schlauchboot kentert. Ein anderer Feuerwehrmann wird am Sonntag vermisst. In Allershausen im oberbayerischen Landkreis Freising wird bei Stromarbeiten ein 27 Jahre alter Beschäftigter eines Energieunternehmens lebensgefährlich verletzt.

Autobahnen müssen streckenweise gesperrt werden, am Samstag ist es die A3 nahe Regensburg, am Sonntag die A9 bei Manching. Selbst erfahrene Polizeibeamte sind konsterniert. Auch für die Polizei sei ein Hochwasser dieses Ausmaßes in diesem Bereich neu, sagt ein Sprecher.

Erdrutsch lässt ICE entgleisen

Auch Bilder von Überschwemmungen aus Baden-Württemberg zeigen das Ausmaß des Dauerregens. Bei Schwäbisch Gmünd unweit von Stuttgart stranden Passagiere am Samstagabend in einem Kindergarten, nachdem zwei Waggons ihres ICE durch einen Erdrutsch entgleist waren. Der Zug war auf dem Weg von Köln nach München. Die Fahrgäste kommen laut Deutscher Bahn mit einem Schrecken davon. Verletzt wird demnach niemand. Die Strecke ist über Stunden gesperrt.

"Es hat ein bisschen gerumpelt. Dann war eigentlich alles gut geregelt, keine Panik, alle waren ruhig. Die Einsatzkräfte waren schnell da und haben sich gut um uns gekümmert", sagt Passagierin Elena Fabian. Sie und die anderen Fahrgäste wurden mit Bussen etwa nach Stuttgart gebracht.

Bodenseekreis-Gemeinde unter Wasser

In eine Seenlandschaft hat der Fluss Schussen die Gemeinde Meckenbeuren im Bodenseekreis verwandelt. Die Menschen in der rund 13 000-Anwohner-Gemeinde erleben am Samstagabend ein Jahrhunderthochwasser. Der Pegelstand habe mit 4,86 Metern einen neuen traurigen Rekordwert erreicht, sagt eine Gemeindesprecherin. Die Wassermassen hatten Straßen, Häuser und auch eine Schule geflutet. Rund 1300 Menschen sollten ihre Häuser verlassen. Bodensee-Touristen landen auch in einem Schutzraum der Gemeinde mit 100 Betten.

"Der Schaden ist immens", sagt die Sprecherin. Das letzte schlimme Hochwasser erlebten die Menschen dort 2021. Kindergärten, Vereinsheimen und eine Kegelhalle seien erst vor kurze wieder instand gesetzt worden. Man hoffe nun auf weiter sinkende Pegelstände. Erst danach könne es ans Aufräumen gehen - schon wieder./sd/DP/stw

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