15.06.2009 18:09:00

FOKUS: Wandel am Kfz-Haftpflichtmarkt bringt weniger Kündigungen

Von Rüdiger Schoß Dow Jones NEWSWIRES FRANKFURT (Dow Jones)--Am deutschen Markt für Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungen deutet sich scheinbar ein Gezeitenwechsel an. Mit der Allianz SE, München, hat jetzt auch der Marktführer vom 1. Januar als traditionellem Versicherungsbeginn Abschied genommen. Doch auch wenn der flexiblere Vertragsbeginn auf den ersten Blick mehr Kündigungen und damit mehr Bewegung im Machtgefüge verspricht, rechnen Branchenexperten damit, dass die Abkehr vom festen Vertragstermin eher zu weniger Kündigungen führen wird.

   Spürbar werde der Abschied vom 1. Januar als Stichtag in der Kfz-Haftpflichtversicherung ohnehin erst langfristig, vermutet Christian Hamann, Analyst bei der Hamburger Sparkasse: "Kurzfristig geht die Wirkung gegen Null, weil sie nur im Neugeschäft wirksam ist. Viele Kunden lassen ihre Verträge aber bekanntlich weiterlaufen." Hamann, der die Allianz mit "Kaufen" bewertet und ein Preisziel bei 100 EUR hat, will seine Ertragsprognose für die Allianz deshalb auch nach der Ankündigung eines flexibleren Versicherungsbeginns unangetastet lassen.

   Mit dem Marktführer Allianz werden sich auch andere Versicherer von der sogenannten Hauptfälligkeit der Verträge zu Jahresbeginn verabschieden. "Die flexiblere Hauptfälligkeit ist eine gute Möglichkeit, den Verwaltungsaufwand übers Jahr gleichmäßiger zu verteilen. Wir werden diese Möglichkeit in absehbarer Zeit ebenfalls nutzen", kündigte Edgar Martin, zuständiger Bereichsleiter der R+V Versicherung an. Nachdem sich die zur Ergo gehörende Victoria als erste vom traditionellen Versicherungsbeginn verabschiedet hatte, kündigte in der vergangenen Woche auch Karl-Walter Gutberlet, Privatkunden-Vorstand der Allianz, sein Unternehmen werde die Kunden nicht länger zwingen, als Hauptfälligkeit den 1. Januar zu wählen.

   Auch die Allianz will mit dem Schritt nach eigenen Angaben ihren Verwaltungsaufwand entzerren, sagt ein Allianz-Sprecher. Der unterjährige Vertrag werde zu dem tagesaktuell gültigen Regionaltarif geschlossen. Eine Änderung des Schadenfreiheitsrabatts, die traditionell ebenfalls zum Jahreswechsel festgestellt wird, werde dann nicht mehr im Januar, sondern nach 12 Monaten eingepreist. In Deutschland verlängern sich Kfz-Haftpflichtverträge automatisch.

   Der deutsche Kfz-Markt ist unter den Versicherungen hart umkämpft. Direktversicherer bieten für die fast 50 Mio Kraftfahrzeuge seit Jahren preiswerte Tarife über Telefon und Internet an und setzen so einige etablierte Anbieter unter Druck. In den vergangenen Jahren verlor die Allianz deshalb Marktanteile. Branchenberechnungen zufolge betrug der Marktanteil der Allianz gemessen am Prämienvolumen Ende 2007 etwa 16,8%, HUK Coburg und AXA folgten mit 10,7% beziehungsweise 4,8% auf den Plätzen. Genaue und jüngere Zahlen sind nicht zu erhalten, und die Angaben der Anbieter erweisen sich bei genauer Prüfung zumeist als nicht vergleichbar.

   Für den Verbraucher könnte es künftig durch den Wegfall eines einheitlichen Kündigungstermins allerdings unübersichtlich werden, vermutet Alois Schnitzer, Sprecher des zweitgrößten Kfz-Versicherers HUK Coburg. So hätten sich die Medien auf die Hauptfälligkeit zum Jahreswechsel eingestellt und in der Vergangenheit zumeist kurz vor dem Kündigungstermin Marktübersichten veröffentlichten. Viele der durchschnittlich drei bis vier Millionen Autofahrer, die jährlich die Kfz-Versicherung wechselten, seien erst durch diese intensive Berichterstattung auf den Gedanken zum Wechsel gekommen, so Schnitzer.

   Der Versicherungswechsel eines Autobesitzers ist für die Versicherer besonders misslich, weil die Kfz-Haftpflicht in Deutschland als perfekte Einstiegsversicherung zum Abschluss weiterer Geschäfte gilt. Oftmals ist sie die erste Versicherung, die ein junger Erwachsener selbst abschließt. "Der Versicherer hat so eine gewissen Chance, später beim Bezug der ersten Wohnung oder der Altersvorsorge einen Fuß in der Tür zu haben", sagt der HUK-Sprecher.

   Zudem wird der Werbeaufwand für die kleineren Anbieter im Markt deutlich höher. Bislang sei es "einfach gewesen für die Konkurrenz, zum Jahresende mit wenig Streuverluste eine Marketingoffensive kurz vor dem Kündigungstermin zu starten," so ein Branchenexperte, der namentlich nicht genannte werden will. Die Abkehr vom einheitlichen Starttermin mache jetzt eine ständige Werbepräsenz notwendig, um wechselwilligen Kunden als Alternative zu dienen. Die neue Regelung werde daher "den Wettbewerbsdruck für die Allianz sogar reduzieren", so der Branchenexperte.

   Hinzu kämen vermutlich sogar finanzielle Nachteile für die Kunden. "Wer im Mai ein Auto kaufte, bekam eine 7-Monatspolice und zur Hauptfälligkeit die Jahrespolice", so ein weiterer Experte. Die Jahrespolice sei bislang preiswerter ausgefallen, wenn der Kunde bis zum Jahreswechsel unfallfrei blieb und die Jahrespolice daher mit einer günstigeren Schadenklasse versehen wurde. Zukünftig werde er jedoch erst nach Ablauf von 12 Monaten seit Vertragsbeginn in eine günstige Schadenklasse heruntergestuft. Da nur fünf Promille der Versicherungsnehmer nicht in den Genuss einer Rabattierung kommen, zahlt das Gros der Versicherer künftig länger den Einstiegstarif: "99,5% der Kunden haben also einen Nachteil von einer unterjährigen Versicherung."

- Von Rüdiger Schoß, Dow Jones Newswires, +49 (0)69 29725 117, ruediger.schoss@dowjones.com

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   June 15, 2009 11:37 ET (15:37 GMT)

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