09.10.2019 13:44:45

Chemische Industrie kann und will bis 2050 klimaneutral werden

Von Ulrike Dauer

FRANKFURT (Dow Jones)--Die deutsche chemische Industrie kann und will bis 2050 den Kohlendioxid-Ausstoß fast vollständig reduzieren und so das Ziel der Bundesregierung, bis 2050 weitgehend treibhausgasneutral zu werden, unterstützen. Allerdings erfordert dies milliardenschwere Investitionen in neue, CO2-emissionsfreie Produktionstechnologien vor allem bei Basischemikalien. Darüber hinaus wird die Umstellung auf neue, strombasierte Verfahren den Strombedarf der Branche aus erneuerbaren Quellen exorbitant steigern. Entscheidend für den Weg und die Schnelligkeit des nach Umsatz drittgrößten deutschen Industriezweigs in Richtung Klimaneutralität seien daher dauerhaft niedrige Stromkosten und eine Unterstützung durch die Politik. Dies teilte der Verband der Chemischen Industrie (VCI) mit, der mehrere Szenarien für die Branche auf dem Pfad zur Treibhausgasneutralität in einer Studie untersuchen ließ.

"2050 ist eine weitgehend treibhausgasneutrale Chemieproduktion in Deutschland technologisch vorstellbar. Dafür müssen aber alle Voraussetzungen stimmen: Unternehmen können die Transformation hin zu null Emissionen nur vorantreiben, wenn sie in jeder Phase wettbewerbsfähig bleiben und über große Mengen erneuerbaren Stroms zu niedrigen Kosten verfügen können", sagte Klaus Schäfer, Vorsitzender des VCI-Ausschusses Energie, Klimaschutz und Rohstoffe und Chief Technology Officer der Covestro AG.

Alternative Prozesse benötigen wesentlich mehr Strom

Schäfer betonte vor allem die Notwendigkeit niedriger Strompreise angesichts des elffachen Strombedarfs der alternativen Verfahren in der komplett CO2-neutralen Chemikalienherstellung. "Die neuen Verfahren sind in Deutschland vor 2050 nur bei Stromkosten von 4 Cent pro Kilowattstunde wirtschaftlich. Davon sind wir heute weit entfernt." Die Studie habe ergeben, dass bereits 50 Prozent höhere Stromkosten - also 6 Cent je Kilowattstunde - bei den meisten chemischen Verfahren die Wirtschaftlichkeit auf einen Zeitraum deutlich nach 2050 verschieben würde, so Schäfer. Die Politik werde daher über die heutigen Entlastungs- und Carbon-Leakage-Regeln hinaus weitere Maßnahmen in die Wege leiten müssen, um die Stromkosten für die Industrie zu dämpfen und sie wettbewerbsfähig zu erhalten, sagte Schäfer.

Chemische Industrie beim Thema CO2 zweifach betroffen

Die chemische Industrie ist beim Thema CO2 zweifach betroffen. Zum einen benötigen die heutigen Verfahren viel Energie, bei deren Erzeugung Treibhausgase emittiert werden. Zum anderen emittiert der in den Produkten enthaltene Kohlenstoff CO2. Für 2020 schätzt die VCI-Studie die CO2-Emission der Branche auf 112,8 Millionen Tonnen.

Laut Schäfer sind die CO2-freien Verfahren zur Herstellung von Basischemikalien heute prinzipiell bekannt, sie müssten aber für die großtechnische Verwendung noch weiterentwickelt und marktreif gemacht werden. Ihr Einsatz sei ab Mitte der 2030er Jahre denkbar. Dazu gehören neue Methoden der Kreislaufführung, eine CO2-freie Wasserstoffherstellung und die Nutzung von CO2 als Rohstoff.

Untersucht wurde in der Studie die CO2-freie Herstellung von sechs Basischemikalien, darunter Chlor, Ammoniak, Methanol und Harnstoff, die mehr als 80 Prozent der CO2-Emissionen der chemischen Industrie erzeugen.

Alleine für die Herstellung der sechs Grundchemikalien müssten die Unternehmen von 2020 bis 2050 rund 45 Milliarden Euro zusätzlich investieren, ergab die Studie, die durch die Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie (DECHEMA) und das Beratungsunternehmen FutureCamp erstellt wurde. Der Strombedarf würde ab Mitte der 2030er Jahre zudem noch einmal rasant ansteigen und mit 628 Terawattstunden jährlich etwa das Niveau der gesamten deutschen Stromproduktion 2018 erreichen.

Ammoniak-Herstellung am CO2-intensivsten

Das CO2-intensivste Produktionsverfahren in der Chemie in Deutschland ist laut VCI derzeit die Herstellung von Ammoniak, der unter anderem Ausgangsstoff für Dünger, Polyamidfasern und Isocyanate in Schaumstoffen ist.

Derzeit wird Ammoniak überwiegend aus Stickstoff und Wasserstoff mittels eines Katalysators unter hohem Druck und hoher Temperatur hergestellt. Alternativ kann die Herstellung auch über Stickstoff aus der Luft und Wasserstoff erfolgen. Der Wasserstoff würde allerdings aus Wasser über Elektrolyse oder aus Erdgas über Methanpyrolyse gewonnen, laut VCI beides Prozesse mit einem hohen Energiebedarf.

Der VCI vertritt 1.700 Chemieunternehmen in Deutschland. Um diese bei der Transformation zu unterstützen, will der VCI eine neue Experten-Plattform einrichten.

"Die deutsche Chemie bekennt sich zur gesellschaftlichen Aufgabe Treibhausgasneutralität. Wir wollen diesen Weg bis 2050 erfolgreich beschreiten. Dabei wollen wir als deutsche Branche die Speerspitze der technologischen Transformation der globalen Chemieindustrie bilden", sagte VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup.

Zwischen 1990 und 2017 hat die deutsche Chemieindustrie laut VCI die Treibhausgasemissionen um 48 Prozent gesenkt. 2018 setzte die Branche 203 Milliarden Euro um und beschäftigte rund 462.500 Mitarbeiter.

Kontakt zur Autorin: ulrike.dauer@wsj.com; @UlrikeDauer_

DJG/uxd/sha

(END) Dow Jones Newswires

October 09, 2019 07:45 ET (11:45 GMT)

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