Fest im Glauben an hohe Zinsen hat das evangelische Stadtdekanat München rund 15 Millionen Euro in sogenannte Mittelstandsanleihen gesteckt - davon 5,5 Millionen in vier Unternehmen, die inzwischen pleite sind: in die Solarfirmen Solon und SAG Solarstrom, den Abfallverwerter FFK Environment und den Onlinehändler Getgoods. Ein Großteil dieses Geldes ist damit verloren.
Der Kirche geht es da nicht anders als Privatanlegern, die auf das Solidität verheißende Etikett "Mittelstand" vertraut und den vermeintlich guten Firmen von nebenan ihr Erspartes geliehen haben. Erst seit 2010 gibt es die auf Mittelstandsbonds spezialisierten Börsensegmente, mit der geringen Mindestanlage von 1.000 Euro zielen die dort emittierten Papiere auch auf Kleinanleger. Rund 100 Firmen haben hier Schuldtitel begeben - schon elf davon sind zahlungsunfähig.
"Würde das Anleihesegment der Mittelstandsanleihen wirklich den deutschen Mittelstand repräsentieren, müsste man sich Sorgen machen", sagt Markus Rohleder von der genossenschaftlichen DZ Bank. "Das Segment, so heterogen es auch sein mag, besteht überwiegend aus Anleihen, die im spekulativen Bereich anzusiedeln sind", stellt der Anleiheanalyst fest, der jüngst den Markt in einer Studie untersucht hat.
Für Anleger heißt das: Sie dürfen Mittelstandsanleihen keinesfalls als sichere Zinsbringer, quasi als Festgeldersatz, sehen. Die weit überwiegende Mehrzahl der Papiere ist hoch riskant und nach Einschätzung von €uro am Sonntag nicht zu empfehlen. Allerdings gibt es auch einige Papiere, die bei vertretbarem Risiko eine vernünftige Rendite bieten und die als ertragsträchtige Beimischung für ein breites Bonddepot interessant sein können. Aktuelles Beispiel dafür ist die Anleihe des Automobilzulieferers Neue Zahnradwerk Leipzig GmbH (siehe Investor-Info). Wegen solcher Unternehmen wäre es auch fatal, wenn das Segment nicht überleben würde, weil es in Sippenhaft genommen wird - für die Insolvenzen und Skandale, die sich zuletzt eben massiv gehäuft haben.
Gegen den Finanzchef des evangelischen Stadtdekanats ermittelt mittlerweile die Staatsanwaltschaft. Viel zu tun hat die Justiz in diesem Anleihesegment auch aufseiten der Emittenten.
Besonders krass: die Zeitarbeitsfirma HKW Personalkonzepte. Sie hatte im November zunächst kommentarlos die Zinszahlung verschoben, dann beteuert, das Geld würde bald kommen - und im Dezember schließlich Insolvenzantrag gestellt. Ein - verglichen mit dem Umsatz relativ hoher - Bankkredit wurde nicht bilanziert, entdeckt hat das erst der vorläufige Insolvenzverwalter. Und das Geld aus der Anleihe wurde an mehrere Unternehmen weitergereicht, die mit dem Geschäftsführer verbunden sind. Nach der Pleite hatten die Anleihegläubiger deshalb darauf keinen Zugriff. Für die Anleger bedeutet all das wohl: Totalverlust. Für die Staatsanwälte: Arbeit.
Viel zu tun für die Justiz
Über einen Mangel daran kann sich die Justiz sowieso nicht beklagen. Der insolvente Onlinehändler Getgoods etwa beschäftigt die Ermittler ebenso wie der pleite gegangene Windparkbetreiber Windreich.
Auch bei nicht insolventen Firmen wie dem zur Internetgruppe Unister gehörenden Reiseanbieter Travel24 gibt es einiges zu tun: Die Staatsanwaltschaft erhob im Januar Anklage gegen Vorstand und Aufsichtsratschef. Unerlaubtes Betreiben von Versicherungsgeschäften, Steuerhinterziehung und strafbare Werbung lauten die Vorwürfe. Im Dezember 2012 gab es schon Durchsuchungen, der Anleihekurs brach ein. Nach erneutem Besuch der Ermittler im Dezember 2013 sackte der Preis weiter ab.
Verdächtige Kursbewegungen
Sogar die Vereinigten Staaten hat derweil der Außenhandelsfinanzierer Deutsche Forfait gegen sich aufgebracht. Das Unternehmen steht auf einer Liste des US-Finanzministeriums mit Firmen, die gegen die Iran-Handelssanktionen verstoßen haben sollen. Die Manager bestreiten das zwar, was zunächst aber nichts an der Konsequenz ändert: Die Deutsche Forfait darf keine Finanzgeschäfte mehr in den USA tätigen. Zusammen mit Steuerrückstellungen ergeben sich daraus hohe Sonderlasten für 2013, die das Unternehmen tief in die roten Zahlen drücken. Am Mittwoch gab es eine Gewinnwarnung, die Führung rechnet unterm Strich mit einem Verlust von bis zu 3,3 Millionen Euro. Die offizielle Erklärung kam indes erst, als die Kurse von Aktie und Anleihe längst deutlich nachgegeben hatten.
Dass die Notierung der Nachricht vorauseilt, ist ein oft zu beobachtendes Phänomen bei Mittelstandsanleihen. Zuletzt war dies auch Ende Januar bei Strenesse so. Die Modefirma hat eine Anleihe emittiert, die nicht in einem der speziellen Mittelstandssegmente gelistet ist, sondern im Freiverkehr gehandelt wird. Abends informierte das Familienunternehmen darüber, dass die Anleihe Mitte März nicht zurückgezahlt werden könne und die Gläubiger einer Laufzeitverlängerung zustimmen sollten. Bereits im Tagesverlauf war der Bond eingebrochen; die Bafin nimmt den Kursverlauf wegen möglicher verbotener Insidergeschäfte unter die Lupe.
Einen Sprung nach oben machte dagegen der Anleihekurs des Solarzulieferers 3W Power kurz vor Weihnachten. Und zwar schon Stunden vor der spätabendlichen Nachricht, dass das Unternehmen die Zinsen für die Anleihe doch zahlen und die Gläubiger nicht wie eigentlich geplant um Stundung bitten wolle.
Eine mögliche Erklärung für solche vorzeitigen Kursreaktionen ist, dass bei Anleihen von mittelgroßen Unternehmen oft ein Teil der Schuldtitel im Besitz von Personen aus dem Umfeld der Firma ist. Und wenn diese einen Informationsvorsprung haben, zögern sie offensichtlich nicht, diesen auch zu nutzen. Weil das Volumen der Anleihen häufig klein und der Handelsumsatz an der Börse gering ist, reagieren die Kurse schnell heftig, andere Investoren schließen sich an, der Kurs schießt in die Höhe oder stürzt ab.
Und sind die Notierungen erst mal im Keller, werden die Anleihen rasch zum Spielball von Spekulanten - zweistellige Prozentzuwächse an einem Tag, gefolgt von zweistelligen Verlusten am nächsten sind nicht selten - gerade bei Papieren von insolventen Firmen. Zwar können sich hier auch interessante Chancen für mutige Investoren ergeben - mit einem Anleiheinvestment, das auf regelmäßige Zinszahlungen abzielt, hat das aber nichts mehr zu tun.
Wichtige Infos für Anleger
Gegen derlei Kursturbulenzen oder etwaige kriminelle Energie in der Führungsetage des Emittenten ist kein Anleger gefeit. Aber jeder Anleger ist selbst dafür verantwortlich, das Unternehmen, dem Geld geliehen werden soll, genau unter die Lupe zu nehmen. Wichtige Hinweise auf Risiken können dabei die Berichte der Ratingagenturen liefern. Allein auf die Buchstabenkombination der Bonitätsnote sollten sich Anleger jedoch nicht verlassen.
"Zum Zeitpunkt der Emission verfügten selbst die mittlerweile ausgefallenen Bonds über relativ gute Ratings", sagt DZ-Bank-Analyst Rohleder. Und das, obwohl der Zeitraum zwischen Emission und Insolvenz relativ kurz war. Zuletzt war allerdings zu beobachten, dass die Ratingagenturen bei ihren Beurteilungen neuer Emittenten strenger waren als beim Start des Segments.
Das hat auch die Anleihe der MS Deutschland zu spüren bekommen. Sie ist seit einigen Wochen ohne Rating unterwegs, nachdem die Agentur Scope wegen stockender Informationen ihre Note zurückgezogen hat. Bei der Emission 2012 gab es ein "A", was für ungläubiges Staunen gesorgt hatte. Im vorigen Herbst ging es dann gleich um vier Stufen hinunter auf ein immer noch gutes "BBB-". Damit die Anleihe nun im Entry Standard der Börse Frankfurt bleiben darf, muss bald ein neues Rating her, diese Woche wurde das Analysehaus Feri damit beauftragt. Das Ergebnis darf man mit Spannung erwarten. Viel hängt vom Wertgutachten für den in die Jahre gekommenen Kreuzfahrtdampfer ab, mit dem der Bond besichert ist. Die "Traumschiff"-Anleihe gehört zu jenen Titeln, vor denen die Redaktion seit geraumer Zeit warnt - weil der Glaube an verlässliche Zinszahlung und Tilgung hier leider fehlt.
Investor-Info
Schwarze Liste
Finger weg!
Neben den Anleihen von bereits insolventen Firmen, deren Kurse zum Spielball von Spekulanten geworden sind, gibt es eine ganze Reihe anderer Emittenten von Mittelstandsanleihen, um die Anleiheanleger lieber einen Bogen machen sollten. Zum Teil sind die Kurse der aufgeführten Papiere bereits abgestürzt. Einige Anleihen notieren aber auch noch um oder sogar über pari. Anleger, die investiert sind, sollten daran denken, ihr Kapital in Sicherheit zu bringen.
Attraktive Anleihen
Zur Beimischung geeignet
Einige Mittelstandsanleihen bieten ein gutes Verhältnis von Rendite und Risiko. Auch diese Papiere sollten aber höchstens eine Beimischung in einem breit aufgestellten Anleiheportfolio sein. Bei - durchaus soliden - Firmen wie dem Pflegeheimbetreiber Senivita oder dem Verlag Bastei Lübbe, deren Kurse weit über pari notieren, können investierte Anleger auch Gewinne mitnehmen; Neuengagements sind dort teils wegen hoher Kurse unattraktiv.
Neuemission
Hoffen auf den Eisbrecher
Der Automobilzulieferer Neue Zahnradwerk Leipzig GmbH (NZWL) wagt sich als erstes Unternehmen dieses Jahr mit einer Neuemission an den Markt für Mittelstandsanleihen. Am Montag startet die Zeichnungsfrist (ISIN: DE000A1YC1F9). 25 Millionen Euro sollen zusammenkommen für die Expansion nach China, zum Wachstum an bisherigen Standorten und zum kleinen Teil zum Ablösen von Verbindlichkeiten. Wie die Emission läuft, dürfte Signalwirkung haben - 2014 darf als Jahr der Bewährung für das Bondsegment gesehen werden. Die NZWL bietet bis 2019 einen Zins von 7,5 Prozent. Zahlenwerk und Strategie des Unternehmens - ein wichtiger Partner ist Volkswagen - machen einen guten Eindruck. Anleger, die sich der großen Abhängigkeit von der Autokonjunktur bewusst sind, können zeichnen.
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