15.07.2015 21:12:37
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Westdeutsche Zeitung: Ein Urteil über willige Vollstrecker
Düsseldorf (ots) - Der US-Politikwissenschaftler Daniel Jonah
Goldhagen sorgte 1996 für eine wütende Debatte in Deutschland. In
seinem Buch "Hitlers willige Vollstrecker" stellte der Amerikaner die
These auf, dass viele Deutsche, nicht nur Nazis, sich allzu gern und
aus freien Stücken am Holocaust, also der von Deutschland fabrikmäßig
geplanten und ausgeführten Vernichtung der europäischen Juden,
beteiligt haben. Am Beispiel einer Polizeieinheit belegt Goldhagen,
dass die Mörder ihr Werk übereifrig und mit Vernichtungswillen
erledigten - obwohl sie auch anders gekonnt hätten. Das hätte wohl
auch Oskar Gröning, der gestern wegen der Beihilfe zu 300 000 Morden
im Konzentrationslager Auschwitz zu vier Jahren Gefängnis verurteilt
worden ist. Eine andere Verwendung oder gar eine Versetzung an die
Front kam für den SS-Mann nicht infrage. Gröning hat sich aus Sicht
des Lüneburger Gerichts ohne Zwang dazu entschieden, an einem
Verbrechen teilzunehmen, dessen monströse Ausmaße er zumindest hätte
ahnen können. Mit vier Jahren Haft, die er vermutlich nicht antreten
muss, ist der ehemalige KZ-Scherge, trotz seiner späten Reue, gut
bedient. Das Lüneburger Urteil, es beschließt vermutlich einen der
letzten großen Holocaust-Prozesse, ist aber nicht wegen des
Strafmaßes von Bedeutung, sondern wegen seiner Begründung. Anders als
jahrzehntelang in deutschen Gerichten üblich, hat der Vorsitzende
Richter Franz Kompisch dem "Buchhalter von Auschwitz" nicht die
konkrete Beihilfe bei einzelnen Mordtaten nachgewiesen. Allein
Grönings freiwillige SS-Mitgliedschaft und seine Bereitschaft, an der
Todesrampe Dienst zu schieben, machen ihn zu Hitlers willigem
Vollstrecker. In 300 000 Fällen. Wenn der Präsident des Zentralrats
der Juden, Josef Schuster, mit Blick auf vergangene Prozesse von
Versäumnissen der Justiz spricht, muss man ihm da wohl beschämt
zustimmen. Von 6500 KZ-Wächtern aus Auschwitz sind in Deutschland
seit den 60er Jahren nur 49 verurteilt worden. Richter Kompisch sagte
gestern, man könne auch nach 70 Jahren Gerechtigkeit schaffen. Vier
Jahre Haft für einen Greis schaffen das nicht; aber der erklärte
Wille, auch die letzten noch lebenden NS-Täter vor Gericht zu
bringen. Wohl an.
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