25.07.2021 15:55:38

ROUNDUP: Diskussion über Corona-Einschränkungen für Ungeimpfte

BERLIN (dpa-AFX) - Angesichts rasant steigender Corona-Zahlen ist eine neue Diskussion über Einschränkungen für Menschen ohne Impfung entbrannt. Sollten die Neuinfektionen weiter so zunehmen, müssten sie ihre Kontakte wieder reduzieren, sagte Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) der "Bild am Sonntag". "Das kann auch bedeuten, dass gewisse Angebote wie Restaurant-, Kino- und Stadionbesuche selbst für getestete Ungeimpfte nicht mehr möglich wären, weil das Restrisiko zu hoch ist", warnte er. CDU-Chef Armin Laschet bremste sogleich: Der Vorschlag müsse noch einmal erörtert werden.

Braun äußerte seine Sorge über die zunehmenden Infektionen: "Die Zahl der Neuinfektionen steigt noch schneller als in den vorherigen Wellen", sagte er und rief die Bürger eindringlich zum Impfen auf. Dafür gebe es zwei Argumente: Die Impfung schütze zu 90 Prozent vor einer schweren Corona-Erkrankung. "Und: Geimpfte werden definitiv mehr Freiheiten haben als Ungeimpfte", sagte Braun.

Dagegen betonte Unions-Kanzlerkandidat Laschet im ZDF-Sommerinterview: "Ich halte nichts von Impfpflicht und halte auch nichts davon, auf Menschen indirekt Druck zu machen, dass sie sich impfen lassen sollen." Das Prinzip, dass man entweder geimpft, getestet oder genesen sein müsse, um bestimmte Dinge zu tun, sei richtig. "In einem freiheitlichen Staat gibt es Freiheitsrechte, nicht nur für bestimmte Gruppen", betonte Laschet.

Priorität müsse haben, möglichst viele Bürger von der Impfung zu überzeugen. "Wenn wir dann im Herbst sehen, die Impfquote ist immer noch viel zu niedrig, finde ich, muss man dann weiter nachdenken. Aber nicht jetzt", sagte der CDU-Chef. Auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich kritisierte Braun. "Mit Drohungen werden wir auf der anderen Seite das Impfverhalten einzelner nicht nachhaltig verändern", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) dagegen hält auch eine Impfpflicht inzwischen für denkbar - allerdings nicht in nächster Zukunft. "Für alle Zeiten kann ich eine Impfpflicht nicht ausschließen", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. "Es ist möglich, dass Varianten auftreten, die das erforderlich machen."

Seit zweieinhalb Wochen steigt die Sieben-Tage-Inzidenz in Deutschland wieder kontinuierlich an. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) von Sonntagmorgen lag sie zuletzt bei 13,8. Demnach meldeten die Gesundheitsämter dem RKI binnen eines Tages 1387 Corona-Neuinfektionen - vor einer Woche hatte der Wert bei 1292 Ansteckungen gelegen.

Die Infektionszahlen stiegen derzeit jede Woche um 60 Prozent, sagte Braun. Sollte sich die Impfquote nicht enorm verbessern oder sich das Verhalten der Bürger ändern, könne es Ende September jeden Tag 100 000 Neuinfektionen und eine Inzidenz von 850 geben. Auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte vor einer Inzidenz von 800 im Oktober gewarnt. Erfahrungsgemäß werden viele Bürger bei so stark steigenden Infektionszahlen allerdings vorsichtiger.

Die Inzidenz war in der Pandemie bisher Grundlage für viele Einschränkungen. Derzeit wird aber diskutiert, ob die Grenzwerte angesichts der steigenden Impfquote verändert werden müssen - man also mehr Infektionen akzeptieren kann, wenn die Menschen im Schnitt weniger schwer erkranken.

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) machte sich für neue Kriterien stark. Die Inzidenz sage heute "viel weniger über die Gefahr einer Erkrankung und die mögliche Belastung des Gesundheitssystems aus als noch vor einem halben Jahr", sagte sie der "Rheinischen Post" (Samstag). Sie solle mit der Lage in den Krankenhäusern verknüpft werden - damit, wer eingeliefert werde und wer auf eine Intensivstation müsse. Kretschmann gab zu bedenken, hohe Infektionszahlen seien immer riskant. "Je schneller das Virus zirkuliert, desto häufiger wird es mutieren", sagte er.

Mit Blick auf die Ministerpräsidentenkonferenz, die möglicherweise vorgezogen wird, will Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) mit den unionsgeführten Ländern rasch über seine Pläne für ein Schüler-Impfprogramm sprechen. "Deshalb habe ich die Ministerpräsidenten der B-Länder vorsorglich für diesen Dienstag zu einer Schalte eingeladen", sagte er der "Augsburger Allgemeine" (Montag). "Außerdem brauchen wir dringend eine verbindliche Formel aus Inzidenzwert, Impfquote und belegten Krankenhausbetten, um zu wissen, ab wann Maßnahmen ergriffen werden müssen - und welche Rechte sich für Geimpfte daraus ergeben", sagte Söder weiter. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte am Donnerstag in Aussicht gestellt, die nächste, eigentlich erst für Ende August vorgesehene Ministerpräsidentenkonferenz zur Corona-Pandemie vorzuziehen.

Kanzleramtschef Braun hält einen erneuten Lockdown nicht für nötig, solange die Impfstoffe gegen die Delta-Variante helfen. Eine hohe vierte Welle hätte wegen massenhafter Quarantäne aber Auswirkungen auf Betriebe. "Und bei Nicht-Geimpften wird es Testpflichten und bei hohen Infektionszahlen weitere Verschärfungen geben müssen." Das halte er für rechtlich zulässig, weil der Staat das Gesundheitswesen funktionsfähig halten müsse.

Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe dagegen, dies wäre "die Einführung der Impfpflicht durch die Hintertür" und klar verfassungswidrig. AfD-Fraktionschefin Alice Weidel warf Braun vor, die Gesellschaft in Bürger erster und zweiter Klasse zu spalten. Derzeit ist nach RKI-Angaben etwa jeder Zweite in Deutschland vollständig geimpft.

Das Virus könne trotzdem noch einmal genauso gefährlich zurückkommen wie im vergangenen Herbst, warnte Kretschmann. "Treten Varianten auf, gegen die der Impfstoff nicht mehr so wirksam ist - sind wir sofort in einer anderen Situation." Impfen sei daher für ihn Bürgerpflicht. "Das sollte jeder verantwortlich denkende Mensch einfach tun."/tam/DP/he

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