24.06.2022 20:30:38

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Weizenmarkt in der Krise, ein Marktkommentar von Dieter Kuckelkorn

Frankfurt (ots) - Der Preis von Weizen, dem wohl wichtigsten Grundnahrungsmittel

der Welt, ist stark gestiegen. Auf Sicht von einem Jahr hat sich das Getreide um

sage und schreibe 74 Prozent verteuert. Ein solcher Preisanstieg dürfte in

weiten Teilen der Welt Hunger auslösen, die Situation lässt sich also als

dramatisch beschreiben. Regierungen in West und Ost äußern sich voller Besorgnis

und versprechen, alles Mögliche zu unternehmen, um die weltweite

Lebensmittelkrise zu entschärfen.

Dazu ist es allerdings erst einmal notwendig, die fundamentalen Gegebenheiten

und damit die Ursachen für den massiven Preisanstieg zu analysieren. Häufig wird

die These vertreten, die Krise sei eine direkte Folge des Ukraine-Kriegs. Eine

solche wegen der zeitlichen Koinzidenz auf den ersten Blick naheliegende These

lässt sich jedoch nur schwer mit den Fakten in Übereinstimmung bringen. So

erwartet die Landwirtschaftsorganisation FAO der Vereinten Nationen, dass die

Weizenernte in der Ukraine kriegsbedingt um im Vergleich zum Vorjahr 38 Prozent

oder 12,2 Millionen Tonnen zurückgeht. Dies macht allerdings ge­rade 1,6 Prozent

der weltweiten Weizenproduktion von ge­schätzten 770,8 Millionen Tonnen aus. Da

in anderen Teilen der Welt aktuell mehr Weizen angebaut wird, geht die

Weltproduktion gemäß der FAO-Schätzung auch nur um 0,7 Prozent zurück.

Der für die ukrainische Landwirtschaft zweifellos traumatische Rückgang fällt

somit weltweit kaum ins Ge­wicht, selbst wenn man berücksichtigt, dass es auch

um bereits im vergangenen Jahr geerntete ukrainische Weizenmengen geht, die sich

noch im Kriegsgebiet befinden und auf die Ausfuhr warten. Es wird geschätzt,

dass 30 bis 35 Millionen Tonnen Getreide - also nicht nur Weizen - von der

Ukraine exportiert werden könnten. Wer für die Blockade der Exporte die

Verantwortung trägt, darüber gibt es unterschiedliche Darstellungen. Die

ukrainische und die russische Regierung schieben sich gegenseitig die Schuld zu.

Die westlichen Bemühungen zur Beendigung der weltweiten Weizenkrise

konzentrieren sich derzeit darauf, den eingelagerten Weizen aus der Ukraine

herauszubekommen. Dazu will die Nato zahlreiche Kriegsschiffe ins Schwarze Meer

entsenden, die Geleitschutz für die Transporte fahren sollen - was die Türkei

bislang ablehnt, da Ankara eine Ausweitung des Ukraine-Kriegs auf die

Nato-Länder be­fürchtet. Am Markt gehen Spekulationen um, ein Hauptgrund für den

von den EU-Regierungen verfolgten Lö­sungsansatz sei, dass der in der Ukraine

gelagerte Weizen möglicherweise längst an europäische Agrarhändler und

EU-Kunden­ verkauft und von diesen bezahlt worden ist.

Sieht man sich die Entwicklung des Weizenpreises an, so fällt auf, dass der

Anstieg bereits 2017 begann, von einem Niveau von 4 Dollar je Scheffel bis auf 8

Dollar kurz vor dem Ausbruch des Kriegs. Der folgende Preissprung bis auf fast

12 Dollar ist zum einen das Ergebnis einer spekulativen Übertreibung, was daran

abzulesen ist, dass schon die - recht vagen - Hinweise auf einen Erfolg der von

der Türkei moderierten Verhandlungen über den Export des ukrainischen Getreides

den Weizenpreis bereits wieder unter die Marke von 10 Dollar gedrückt haben. Zum

anderen sind die westlichen Sanktionen für den Preissprung verantwortlich, die

den Transport russischen und weißrussischen Weizens und über die

Finanzsanktionen die Bezahlung für viele Länder unmöglich machen. Allein

Russland steuert 2022 rund 11 Prozent zur weltweiten Weizenmenge bei, etwa

doppelt so viel wie die USA. Nicht unterschätzt werden sollte auch die starke

Verteuerung von Düngemitteln durch die Sanktionen gegen die dominierenden

russischen und weißrussischen Düngemittelproduzenten sowie dass die

Düngerproduktion unter den explodierenden Gaspreisen leidet.

Daraus folgt, dass eine signifikante Entschärfung der Lebensmittelkrise erst

dann möglich ist, wenn der Ukraine-Krieg beendet und damit der Weg für einen

schrittweisen Ausstieg aus den Sanktionen frei wird.

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