25.02.2022 20:30:38

OTS: Börsen-Zeitung / Im Worst Case, Marktkommentar von Christopher Kalbhenn

Im Worst Case, Marktkommentar von Christopher Kalbhenn

Frankfurt (ots) - Nach dem Schock durch den Angriff Russlands auf die Ukraine

haben sich die Aktienmärkte zum Wochenschluss erholt. Gestützt wurden sie von

der Meldung, dass Russland zu Verhandlungen mit der ukrainischen Regierung

bereit sei, was auf ein Ende der Kämpfe hoffen ließ. Ein schwacher Trost, denn

Gespräche mit Kiew hätte Moskau auch ohne eine militärische Aggression führen

können - und so auch das entstandene menschliche Leid verhindern. Aus Sicht der

Marktteilnehmer ist bis auf weiteres Vorsicht angesagt. Denn die Lage bleibt

überaus unsicher, und es ist mit anhaltend starken Kursschwankungen zu rechnen.

Auf jeden Fall ist mit der Invasion nun der Worst Case eingetreten, dessen

Wahrscheinlichkeit zuvor niedriger veranschlagt wurde als die einer

diplomatischen Lösung des Konflikts.

Für die Aktienmärkte bedeutet das nach dem Zins- und Inflationsschock den

nächsten schweren Schlag und damit Abstriche an den für dieses Jahr erwartbaren

Anlageerträgen. Wenig verwunderlich haben Analysten nun begonnen, ihre

Indexziele gerade für die europäischen Aktienmärkte zu kappen. Dazu zählt die

Bank of America, die schon zuvor, unter Hinweis auf steigende Realzinsen und

nachlassende konjunkturelle Dynamik, einen Rückgang des derzeit bei 454 Zählern

liegenden Stoxx Europe 600 auf 430 Zähler prognostiziert hatte. Trotz des

Rückgangs des Index im Vergleich zu seinem Januar-Hoch um 11 Prozent ist es nach

Auffassung der Strategen noch zu früh, für europäische Aktien zuversichtlich zu

werden. Vielmehr sehen sie nun zusätzliche Risiken, darunter einen

Energiepreisschock, der das Wachstum des Euroraums um einen halben Prozentpunkt

reduzieren könnte, und haben daher ihr Indexziel auf 410 Punkte gesenkt.

Andere Häuser beurteilen die fundamentalen Rahmenbedingungen zuversichtlicher

und rechnen weiterhin mit einem ansprechenden Wachstum der Wirtschaft und der

Unternehmensgewinne als Basis für einen guten Aktienjahrgang. So ist das Global

Wealth Management der UBS der Auffassung, dass dies keine Zeit ist, für Aktien

ausgesprochen skeptisch zu werden. Die Anlegerstimmung sei bereits negativ,

zumindest ein Teil der Risiken sei bereits eingepreist, und eine Kombination aus

einem globalen Wachstum über Trend und sinkender Inflation könnte das Bild aus

Sicht der Investoren schnell günstiger aussehen lassen. Das Institut rät zu

Portfolio-Absicherungsstrategien, weil nicht auszuschließen sei, dass höhere

Inflationserwartungen die Fed zu einer ausgesprochen restriktiven Linie zwingen

und es durch die Entwicklung in der Ukraine zu Verwerfungen an den globalen

Energiemärkten kommt. Es glaubt jedoch zum einen, dass es Faktoren gibt, die auf

den russischen Präsidenten Putin hemmend wirken werden, nämlich seine eigene

Einschätzung der Kosten einer umfassenderen militärischen Kampagne in Bezug auf

Ressourcen, ukrainischen Widerstand und politischen Rückhalt in Russland. Zum

anderen glaubt UBS Global Wealth Management, dass sowohl Europa als auch Putin

an fortgesetzten Gaslieferungen interessiert sind. 2019 seien 20 Prozent des BIP

und 40 Prozent der Staatseinnahmen Russlands auf den Energiesektor entfallen.

Das Institut glaubt daher, dass Putin weiterhin die Ukraine mit

unterschiedlichsten Maßnahmen destabilisieren wird, aber nicht so weit gehen

wird, dass Energiesanktionen des Westens ausgelöst werden.

Auch die DZ Bank beurteilt die Aussichten zuversichtlich, wenngleich sie ihre

Jahresendprognose für den Dax nun von 18000 auf 17000 Zähler reduziert hat. Die

globale Zinswende und das aktuelle Kriegsgeschehen belasteten den Aktienmarkt

stärker und nachhaltiger als ursprünglich erwartet. Die Marktvolatilität werde

auf eine neue Höhe getrieben und auch hoch bleiben. Die aktuelle Gemengelage

überschatte jedoch die Tatsache, dass die überregionalen Unternehmensgewinne

kontinuierlich wüchsen und die Erwartungen für die Folgejahre zunähmen. Dies

werde aufgrund erhöhter Risikoprämien in den Aktienkursen nicht adäquat

reflektiert und bilde vor allem für Zykliker eine "stille Bewertungsreserve" -

Aktienkurspotenzial, das durch eine Verbesserung des Investorensentiments

entladen werden könne. "Unter der Annahme einer zeitlichen Begrenzung sowohl für

die Russland-Ukraine-Krise als auch für die globalen Corona-Beschränkungen sehen

wir noch im ersten Halbjahr 2022 von den aktuellen Index-Levels aus ein

überregional positives Kurspotenzial. Krisenbedingte Risikoprämien sollten

sukzessive ausgepreist werden."

Pressekontakt:

Börsen-Zeitung

Redaktion

Telefon: 069--2732-0

www.boersen-zeitung.de

Weiteres Material: http://presseportal.de/pm/30377/5157022

OTS: Börsen-Zeitung

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