DAX
18.03.2022 19:35:38
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Gewinnkonsens auf der Kippe, Marktkommentar von Christopher Kalbhenn
Frankfurt (ots) - Die furchtbaren Nachrichten über das menschliche Leid und die
Zerstörungen, die der Angriff Russlands in der Ukraine anrichtet, entsetzen die
Welt. Ungefähr drei Wochen nach dem Beginn des Krieges beginnt noch etwas
anderes deutlich zu werden. Die ökonomischen Folgen des Krieges und der
Sanktionen gegen den Aggressor Russland - darunter sehr stark steigende
Energiepreise, eine Verschärfung der Lieferkettenprobleme und der Ausfall des
russischen Marktes für viele Unternehmen - machen sich in der gesamten
Weltwirtschaft und insbesondere in Europa zunehmend stärker bemerkbar. Durch den
Krieg, so die OECD, wird das globale Wachstum in diesem Jahr um mehr als einen
Prozentpunkt niedriger ausfallen und die Inflation sich um mindestens zwei
zusätzliche Prozentpunkte erhöhen. Die steigenden Preise für Metalle könnten
laut der OECD in vielen Wirtschaftszweigen für Probleme sorgen, so im Flugzeug-
und Fahrzeugbau sowie in der Halbleiterproduktion. Die durch den Krieg
ausgelöste Angebotsverknappung bei Rohstoffen verschärfe die Lieferstörungen.
Insbesondere Europa und nicht zuletzt Deutschland mit seiner engen
wirtschaftlichen Verzahnung mit Osteuropa bekommen die Auswirkungen immer
stärker zu spüren, wie die Nachrichten der zurückliegenden Tage deutlich zeigen.
So hat etwa das Institut für Weltwirtschaft seine Prognose für das deutsche
Wachstum in diesem Jahr von 4 % auf 2,1 % gesenkt: "Der Krieg in der Ukraine
führt zu hohen Rohstoffpreisen, neuen Lieferengpässen und schwindenden
Absatzmöglichkeiten." 60 % der Unternehmen, so der Deutsche Industrie- und
Handelskammertag, melden zusätzliche Lieferkettenstörungen durch den Krieg.
Ähnlich die Nachrichten aus wichtigen Branchen. So hat der Verband der
Chemischen Industrie seine Prognosen über Umsatz- und Produktionsanstiege von 5
% bzw. 2 % kassiert. Mehr als die Hälfte der Mitgliedsunternehmen erwartet nun
einen Umsatz- und Produktionsrückgang. Der Verband Deutscher Maschinen- und
Anlagenbau hat seine Produktionswachstumsprognose für dieses Jahr von 7 % auf 4
% gekappt.
All dies kann nicht ohne Folgen für die Aktienmärkte bleiben. Die
Marktteilnehmer müssen sich wohl von der Vorstellung verabschieden, dass die
Gewinne der börsennotierten deutschen Unternehmen nach dem Sprung des Vorjahres
2022 moderat, d. h. im hohen einstelligen Prozentbereich weiter wachsen werden.
Derzeit scheint der Dax nach dem von dem Krieg ausgelösten Kurseinbruch mit
einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 12,9 auf Basis der
Konsensgewinnschätzungen für das laufende Jahr relativ günstig bewertet zu sein.
Allerdings beruht das KGV auf einer Konsensschätzung für den aggregierten
Dax-Gewinn je Aktie, der nach wie vor bei etwas mehr als 1 100 Punkten liegt und
sich damit im Vergleich zum Jahresbeginn praktisch nicht verändert hat. Damit
ist absehbar, dass die Kriegsfolgen erst noch eingearbeitet werden müssen und
die Konsensschätzung sinken wird.
Nun ist der Indexkonsens ein träger Indikator. Die vielen Einzelaktienanalysten,
die ihn speisen, passen ihre Gewinnprognosen nicht auf einen Schlag per
Knopfdruck an, sondern müssen zunächst neu rechnen. Erschwerend kommt hinzu,
dass sie noch gar nicht richtig abschätzen können, wie groß der Anpassungsbedarf
nach unten sein wird. Niemand weiß, wie lange der Konflikt anhalten und wie groß
der ökonomische Schaden letztlich ausfallen wird. Die Commerzbank hat immerhin
eine Top-down-Schätzung vorgenommen und geht nun davon aus, dass die Gewinne der
Dax-Unternehmen in diesem Jahr nicht wie vom Konsens unterstellt um nahezu 7 %
zulegen, sondern um 5 % sinken werden. Die Berichtssaison zum ersten Quartal,
die in ein paar Wochen beginnt, wird sehr spannend sein. Wahrscheinlich wird der
Gewinnkonsens merklich sinken, wenn die Zahlenwerke die ersten Spuren der
Kriegsfolgen offenlegen und die Unternehmen sich in ihren Ausblicken an die neue
Realität anpassen.
Entscheidend für das Ausmaß der Prognosereduzierungen wird allerdings die
weitere Entwicklung des Krieges sein. In den Wochen bis zum Beginn der
Berichtssaison kann viel passieren. Insofern werden auch die
Unternehmensberichte und die sinkenden Analystenschätzungen den Aktienmarkt
nicht zwangsläufig stark unter Druck setzen. Würde sich ein Kompromiss zwischen
der Ukraine und Russland bzw. ein Waffenstillstand konkreter abzeichnen, würde
der Dax auch bei sinkenden Gewinnprognosen durch die Decke gehen. Sicher ist
nur, dass der Aktienmarkt auch in den nächsten Wochen starke Kursschwankungen
zeigen wird.
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