08.11.2014 18:15:32

In Klein-Berlin wollen sie ihre Mauer nicht mehr

   Von Harriet Torry

   MÖDLAREUTH - Während ganz Deutschland in diesen Tagen den Fall der Mauer vor 25 Jahren feiert, lebt das Bollwerk in einem kleinen bayerischen Dorf fort: Mödlareuth. Gelegen beiderseits der Landesgrenze von Bayern nach Thüringen verpassten amerikanische Soldaten, die zu Zeiten des Kalten Krieges in der Region stationiert waren, dem Dörfchen den Beinamen "Klein-Berlin".

   Vier Jahrzehnte nämlich verlief die Grenze mitten durch das Dorf, seit 1966 wie seinerzeit auch in Berlin, als Betonmauer. Und zum Teil gibt es sie immer noch. Mödlareuth ist die einzige deutsche Gemeinde, die partiell immer noch von einer Mauer geteilt wird.

   Auf den ersten Blick war es eine schlaue Entscheidung, die Mauer dort stehen zu lassen, als Touristenattraktion. Doch einige der Bewohner haben mittlerweile genug von der Mauer in ihrem Dorf. Denn das Bauwerk ist nach wie vor monströs, auch wenn es den Grenzübertritt" von Bayern nach Thüringen inzwischen nicht mehr verhindert.

   Die rund 50 Mödlareuther leben mit einer Betonmauer, die 700 Meter lang und 10 Meter hoch ist und mit allem Bösartigen ausgestattet wurde, was dem DDR-Regime zur Abschreckung notwendig erschien: Stacheldraht, Todesstreifen und zwei Wachtürme.

   Die Mauer ist heute ein Freilichtmuseum mit großer Anziehungskraft. Rund 65.000 Menschen kommen jedes Jahr nach Mödlareuth auf der Suche nach den Spuren des Kalten Krieges. Gesichtet werden sogar Reisegruppen aus Südkorea. Die koreanische Halbinsel ist bekanntlich selbst von Teilung gezeichnet.

   Den Kalten Krieg nie richtig beendet

   "Für die Gemeinde ist das belastend", sagt Dieter Rebelein, Fraktionschef der Linken im Kreistag des Saale-Orla-Kreises. "Jedes Jahr kommen die Journalisten mit Kameras und stellen die gleichen Fragen", jammert eine Mödlareutherin in der Dorfkneipe. "Irgendwann wollen die Leute nicht mehr darüber diskutieren. Das sind nicht nur freundliche Geschichten".

   Wirtschaftlich lohnt sich das Mauer-Geschäft für das kleine Dorf kaum. Außer dem Dorfkrug gibt es kein Hotel und kein Souvenirgeschäft trotz der vielen Besucher. Nicht einmal ein Süßigkeitenkiosk zieht den in Bussen angekarrten Schülern das Taschengeld aus ihren Portemonnaies.

   Schon direkt nach der Wende wollte ein Teil der Mödlareuther, dass auch bei ihnen die Mauer niedergerissen wird und der graue Riegel verschwindet. Doch die besondere Situation der Teilung innerhalb des Dorfes machte Mödlareuth zu einem besonders geeigneten Beispiel für die Schrecken der deutschen Teilung insgesamt.

   Und so wurde aus dem Weiler ein Museum mit angeschlossenem Dorf. Die Mauer nach so langer Zeit doch noch zu beseitigen, ist wohl praktisch unmöglich geworden. Und so geht der Kalte Krieg in Mödlareuth nie richtig zu Ende.

   Eine Seite gehört nach wie vor zu Bayern, die andere zu Thüringen. Beide Ortsteile" haben bis heute zwei Bürgermeister, zwei Vorwahlen und unterschiedliche Nummernschilder. Je nachdem ob sie in Ost- oder Westmödlareuth wohnen, sprechen die Einheimischen in einem anderen Dialekt. Sie sind in der Trennung vereint.

   Die Unterschiede zwischen Ost und West, sie reichen nicht nur in Mödlareuth weit. Im reichen Bayern ist die Arbeitslosigkeit mit 4 Prozent nur halb so hoch wie in Thüringen. Die Bayern wählen seit Kriegsende mehrheitlich die konservativen Christsozialen, während in Thüringen ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der DDR ein Politiker der SED-Nachfolgepartei wahrscheinlich nächster Ministerpräsident wird. Während der Osten massiv an Bevölkerung eingebüßt hat, leben heute in Bayern 1,4 Millionen Menschen mehr als 1990.

   In Mödlareuth wurde es nie dunkel

   Als der Eiserne Vorhang noch kein Museum war, muss das Leben für die Menschen in dem geteilten Örtchen extrem bedrückend gewesen sein. Es wurde praktisch nie dunkel, weil die DDR-Grenztruppen die Mauer nächtens mit Scheinwerfern erhellten. Schwere Dieselgeneratoren lärmten die ganze Nacht. Den Ost-Mödlareuthern war es nicht erlaubt, etwas über den antikapitalistischen Schutzwall hinweg zu rufen. Außerhalb der Ortschaft, wo sich an die Mauer ein Sperrzaun mit Minenfeld und Selbstschussanlage anschloss, war es verboten, den Menschen auf der westlichen Seite zuzuwinken.

   "Wenn die Grenzsoldaten mit Hunden aus dem Nebel erschienen, kann ich kaum beschreiben, was für ein Erlebnis von Unsicherheit das war", sagt der Heimatforscher Horst Zippel, der früher häufiger im gespaltenen Dorf zu tun hatte.

   Wenn ältere West-Mödlareuther den Wunsch verspürten, die andere Seite zu besuchen, mussten sie eine 3-stündige Reise in Kauf nehmen, um dorthin zu gelangen, wo sie früher einen Stein hinwerfen konnten. In Klein-Berlin nämlich gab es keinen Grenzübergang.

   Karin Mergner, die früher in der Landwirtschaft gearbeitet hat, will die anhaltende Spaltung nicht akzeptieren. "Wir sind ein Dorf", sagt die Rentnerin. Im Wendeherbst 1989 riefen die Demonstranten schließlich "Wir sind ein Volk". Vor allem in Mödlareuth hinkt die Realität den Hoffnungen von damals hinterher. Klaus Grünzner, der Bürgermeister von West-Mödlareuth, drückt es technischer aus. Der Angleichungsprozess sei viel langsamer gegangen als damals die Wiedervereinigung, sagt er.

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   November 08, 2014 10:30 ET (15:30 GMT)

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