Dow Jones
14.07.2010 15:54:17
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IMK: Nationale Leistungsbilanz als neues Stabilitätspakt-Kriterium
BERLIN (Dow Jones)--Das Institut für Makroökonomik und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung fordert bei der "dringend" notwendigen Reform des europäischen Stabilitätstlitäts- und Wachstumspaktes die nationale Leistungsbilanz als neuen Indikator zur Beurteilung der Stabilität eines Landes einzuführen. "Statt sich wie bisher lediglich auf zwei isolierte Kenngrößen - die Defizitquote von 3% und die öffentliche Schuldenstandsquote - zu stützen, muss die Finanzsituation von Staat und Privatsektor in einem EU-Land künftig gemeinsam analysiert werden", heißt es in der am Mittwoch in Berlin veröffentlichten Untersuchung.
Das IMK schlägt vor, in einem reformierten Pakt die Obergrenze für das Haushaltsdefizit durch eine Obergrenze für die nationalen Leistungsbilanzsalden (Überschüsse und Defizite) zu ersetzen. Sie sollten einen Wert plus 2% und minus 2% des Bruttosozialproduktes (BIP) nicht überschreiten.
Liegt die Leistungsbilanz eines Eurolandes außerhalb des 2%-Korridors, sieht das IMK-Modell ein mehrstufiges Verfahren vor. Länder mit Leistungsbilanzüberschüssen werden aufgefordert, ihre Binnennachfrage zu stimulieren. Die Regierung muss einen geeigneten Mix aus expansiver Fiskalpolitik sowie Investitionsanreizen und Strukturreformen entwickeln. Defizitländer hingegen wird empfohlen, einen Mix aus restriktiver Fiskalpolitik und Anreizen zu verstärktem Sparen im privaten Sektor zu verfolgen.
Die Europäische Kommission soll jährlich prüfen, ob die Empfehlungen befolgt werden und sich die Leistungsbilanzsalden in Richtung des Zielkorridors bewegen. Ist der innerhalb von drei Jahren erreicht, endet das Verfahren. Gelingt es nicht, greifen Sanktionen: Den Regierungen der betroffenen Länder werden von der Eurogruppe verbindliche Pfade für ihre Staatsausgaben vorgegeben. Defizitländern könnte bindend vorgeschrieben werden, Einsparungen oder Steuererhöhungen umzusetzen.
Der bisherige Pakt habe die Krise nicht aus dem Grund verhindern können, dass er nicht streng genug gewesen sei, um eine unsolide Haushaltspolitik zu bremsen. "Wir haben Stabilität und Wachstum der Eurozone mit einem Mechanismus absichern wollen, der dazu gar nicht in der Lage ist, weil er entscheidende wirtschaftliche Ungleichgewichte ausblendet", sagte der Wissenschaftliche IMK-Direktor Gustav A. Horn.
Spanien und Irland etwa, die gegenwärtig als Risikostaaten an den Finanzmärkten gehandelt würden, hätten ihre öffentliche Verschuldung in den vergangenen Jahren deutlich gesenkt. Irland habe mit Ausnahme des Jahres 2002 stets Haushaltsüberschüsse erzielt, Spanien immerhin von 2005 bis 2007. Dieses nach den Regeln des Euro-Pakts "gleichsam mustergültige Verhalten" der Fiskalpolitik sei jedoch von einer wachsenden Verschuldung des Privatsektors und einer sinkenden internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen begleitet worden.
Unter dem Strich seien in Irland und Spanien, wie auch in Griechenland und Portugal, die Leistungsbilanzdefizite gewachsen. Die akute Krise der Staatsfinanzen sei sowohl in Spanien als auch in Irland losgebrochen, als der Staat in der Finanz- und Wirtschaftskrise auf das Platzen von Kreditblasen und einen Nachfrageeinbruch im Privatsektor reagieren musste. "De facto wurden private in staatliche Schulden umgewandelt, so dass die öffentlichen Schuldenstandsquoten rasant in die Höhe schnellten", analysiert das IMK.
"Das Beispiel von Spanien und Irland zeigt: Entscheidende Fehlentwicklungen hat der Stabilitätspakt gar nicht erfassen können, weil er sich einseitig auf Defizite in den Staatsfinanzen konzentriert und Defizite im Privatsektor außen vor lässt", sagt IMK-Direktor Horn.
Die aktuellen Reformvorschläge aus EU-Kommission und Europäischer Zentralbank gehen nach IMK-Einschätzung in die falsche Richtung. Wenn an den "falschen Regeln" des gescheiterten aktuellen Paktes festgehalten werde, diese lediglich verbindlicher durchgesetzt und damit alle EU-Länder gleichzeitig auf einen Sparkurs verpflichtet würden, drohten dem Euroraum kurzfristig ein konjunktureller Rückschlag und ein weiterer Anstieg der Arbeitslosigkeit. Längerfristig wäre ein Auseinanderbrechen der Währungsunion zu befürchten, warnen die IMK-Wissenschaftler.
Webseite: www.boeckler.de
-Von Beate Preuschoff, Dow Jones Newswires, +49 (0)30 - 2888 4122, beate.preuschoff@dowjones.com DJG/bep/kth (END) Dow Jones Newswires
July 14, 2010 09:23 ET (13:23 GMT)
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