22.02.2008 13:39:00

BÖRSENAUSBLICK/Südwärts

   FRANKFURT (Dow Jones)--Mit weiter fallenden Kursen in der kommenden Woche rechnen Händler für den deutschen Aktienmarkt. Die Erholung seit den Tiefs bei etwa 6.400 Punkten sei bei 7.060 Punkten vermutlich beendet worden, so Marktteilnehmer, die meinen, die positiven Impulse von der Berichtssaison liefen langsam aus. Die konjunkturelle Situation trübe sich weiter ein, und zugleich liefere der Anstieg der Rohstoff-Preise Zündstoff für ein Stagflationsszenario. Die Bullen hoffen, dass ein solches Szenario vermieden wird. Es hatte die Rezession 1973/74 geprägt, und die hatte viele Aktien-Indizes stark gedrückt.

   Hinzu kommen strukturelle Belastungen. Wer will es den Arbeitnehmern verübeln, dass sie in den Tarifverhandlungen nun ordentlich zulangen wollen? Die Jahre der Enthaltsamkeit auf der Arbeitnehmerseite hatten die deutschen Unternehmen wettbewerbsfähig gemacht. Da viele DAX-Vorstände die Erfolge dazu genutzt haben, sich Gehälter in die Taschen zu stecken wie früher nur erfolgreiche Entrepreneure, sollten die hohen Tarifforderungen nun nicht überraschen. Sie belasten aber weiter die Gewinnsituation auf der Aktienseite und dämpfen den Zinssenkungsspielraum der Europäischen Zentralbank.

   Vor allem aber hat der neue Steuerskandal dem Vertrauen in die Marktwirtschaft als Grundlage eines funktionierenden Börsenwesens einen schweren Schlag versetzt. Wer viel Geld verdient und dann Steuern hinterzieht, gehört bestraft. Wer etwas gegen das Steuersystem hat, kann sich eine andere Regierung wählen, die ein anderes Steuersystem durchsetzt. Wem das nicht gelingt, dem bleibt die Möglichkeit des Auswanderns, also der "Abstimmung mit den Füßen".

   Dass immer mehr Leistungsträger diesen Schritt machen, und bei weitem nicht nur Millionäre wie Beckenbauer, Müller oder Schumacher, ist ein klares Zeichen für den Handlungsbedarf in der Politik. Das Steuersystem ist ähnlich skandalös wie der Steuerhinterziehungsskandal, trotz und auch wegen der Gerechtigkeitsunkenrufe von links.

   Ist es gerecht, dass der Zinsertrag nach Abzug der Steuern unter der Inflationsrate liegt, also das Vermögen aufzehrt, obwohl das Bundesverfassungsgericht der Vermögenssteuer eine Abfuhr erteilt hat? Ist es gerecht, dass nur wenige Reiche mit Anwälten ihre Steuerbescheide für 1997 und 1998 offen gehalten und zu Unrecht bezahlte Spekulationssteuer zurückbekommen haben, während die Masse der Kleinanleger leer ausging? Ist es gerecht, dass Steuerprogression und Eingangssätze trotz steigender Inflationsraten über Jahre hinaus unverändert bleiben, während die Bemessungssätze der Sozialversicherungen jedes Jahr steigen?

   Warum gibt es in der Schweiz anscheinend wenig Steuerflüchtlinge und in Deutschland so viele, obwohl die Sozialabgaben in der Schweiz doch zum Teil höher sind als hier? Vermutlich weil die Schweizer ihr System innerlich akzeptieren. Hier wird es dagegen in weiten Kreise abgelehnt, von Gewerkschaftsvertretern über Unternehmensvorstände bis hin zu Politikern, aus allen Gruppen gibt es aus der Vergangenheit Vertreter, die ihre weißen Westen beschmutzt haben.

   Auch die Abgeltungssteuer wird an der fehlenden Akzeptanz nicht viel ändern. 25% sind vielleicht gerade noch vermittelbar, an die 30% wohl nicht mehr. So wird die Abgeltungssteuer wohl besonders eines zur Folge haben: eine neue Welle von Kirchenaustritten.

   Am Montag werden sich die Händler an den Aktienmärkten zunächst mit dem Wahlergebnis in Hamburg auseinandersetzen. Die Linkspartei gilt als Profiteur der Entwicklungen. Wie zu hören ist, wollen führende Vertreter der Ex-SED den Sozialstaat ausbauen, indem sie die Börsenumsatzsteuer wieder einführen. Vielleicht kann Liechtenstein dann eine Börse für deutsche Aktien aufbauen, wenn hinterzogene Steuergelder bald nach Singapur oder auf die Cayman Islands verlagert werden. "Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht", hat Heinrich Heine einst gedichtet.

   Aus technischer Sicht ist der Dax bei 6.650 Punkten unterstützt. Darunter müssen sich Anleger wohl auf einen Test der Jahrestiefs einstellen. Die Kurse beeinflussen könnten in der kommenden Woche der Chicago-Fed-Index und der Verkauf bestehender Häuser am Montag, der ifo-Geschäftsklima-Index und die US-Erzeugerpreise am Dienstag, der Auftragseingang langlebiger Wirtschaftsgüter und die Neubauverkäufe am Mittwoch, das US-BIP am Donnerstag und der Einkaufsmanagerindex aus Chicago am Freitag. Von den Unternehmen könnten unter anderem noch die Geschäftszahlen von Deutsche Telekom, Henkel, Suez, Vinci, Vivendi und Swiss Re für Impulse sorgen.

-Von Herbert Rude, Dow Jones Newswires; +49 (0)69 29725 217, herbert.rude@dowjones.com DJG/hru/mod/raz (END) Dow Jones Newswires

   February 22, 2008 07:34 ET (12:34 GMT)

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