02.09.2010 15:48:15
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Börse Frankfurt-News: Roth: Goodbye USA? (Kolumne)
Einst standen die Sportler der USA bei Olympischen Spielen immer auf dem Treppchen und oft wurde sogar die amerikanische Nationalhymne im Anschluss gespielt. Die USA spielten immer die erste Geige und das war auch der Anspruch den sie an sich hatten. Im Sport, in der Unterhaltungsindustrie und in der militärischen Stärke ist das so geblieben. Aber als Wirtschaftslokomotive haben sie den Platz an der Sonne zuletzt - auch aufgrund der Finanzkrise - eingebüßt. Einige Experten glauben, dass die Weltökonomie auch ohne Amerika wachsen kann. Andere glauben das nicht und warnen davor die Rolle der USA zu unterschätzen. Wie geht es mit der Weltwirtschaft ohne ihren angeschlagenen Anführer weiter?
Die USA sind mit einer jährlichen Wirtschaftsleistung von über 14,5 Billionen US-Dollar immer noch bei weitem die stärkste Wirtschaftskraft der Welt. Über 310 Millionen Menschen konsumieren so stark wie kein anderes Land der Welt. Aber mit der Wirtschaftsdynamik vergangener Tage ist es vorbei, denn sie haben jahrelang nur auf Pump gelebt und das ist nun Geschichte. Der aufgehäufte Schuldenberg lässt ein "weiter so" schlicht und ergreifend nicht mehr zu.
Lassen Sie uns mal zusammen einen Blick auf das laufende Konto der USA wagen. Oder auf das "Land der unbegrenzten Schuldenmacherei", wie andere es nennen. 13,3 Billionen Staatsschulden US-Dollar, 16,2 Billionen US-Dollar private Schulden. Dazu kommen zukünftige Belastungen durch Rückstellungen wie für Pensionen, Sozialversicherungen, Zinsen, Tilgung und vieles mehr. Zusammen ergibt das einen implizierten Schuldenstand von sage und schreibe 53,9 Billionen US-Dollar. Und es wird immer mehr. Alleine die Neuverschuldung des US-Staates beträgt dieses Jahr 1,36 Billionen US-Dollar.
Dieser gigantische Schuldenberg erklärt, weshalb die Amerikaner nun umdenken müssen. Denn die Welt ist nicht mehr bereit, diesen Pump zu finanzieren. Als Reaktion der Bürger auf die unsichere Zukunft stieg die eigentlich chronisch niedrige Sparquote der US-Amerikaner auf das aktuelle Rekordniveau von über 6 Prozent. Die Bürger sparen ihr Geld. Der Konsum ist aber der Motor der US-Wirtschaft und macht 65 Prozent der Wirtschaftskraft aus. Man kann sich also denken, dass bei einer Arbeitslosenquote von ca. 10 Prozent und den aktuellen Rahmenbedingungen der Verbrauch weiter rückläufig sein wird. Die Industrieproduktion trägt hingegen lediglich 12,5 Prozent zum BIP bei.
Wo also soll das Wachstum in Zukunft herkommen? Barack Obama hat das auch erkannt und will nun die Exportquote der USA wieder steigern, indem er das produzierende Gewerbe stärker fördert. Die schnelle Rettung von General Motors ist deshalb mehr als ein Prestigeobjekt der US-Regierung. Doch ein ganzer Industriezweig, der seit zwanzig Jahren brachliegt, kann nicht innerhalb von fünf Jahren wieder aufgebaut werden. Dieses Projekt braucht Zeit.
Derzeit steht es also schlecht um die ehemalige Wirtschaftslokomotive. Nach anfänglichen Erfolgen der mit Konjunkturpaketen teuer erkauften wirtschaftlichen Erholung stagniert nun das US Wachstum. Der Arbeitsmarkt hat kaum auf die Erholung reagiert und die Arbeitslosenquote verharrt weiterhin auf hohem Niveau. Der Immobilienmarkt bleibt fragil, denn die Verkaufszahlen sind weiter rückläufig. Das erwartete Wirtschaftswachstum liegt offiziell nur bei maximal 3 Prozent pro Jahr, trotz noch laufender Konjunkturstimulation. Das ist für eine Erholung am Arbeitsmarkt zu wenig.
Und was passiert nach dem Konjunkturpaket? Die Möglichkeiten der Gegenwehr von Politik und FED erscheinen ausgereizt und das gibt wenig Grund zur Hoffnung. Da überrascht es nicht, dass die Finanzmärkte derzeit schon die mögliche US-Rezession durchspielen. Aber was geschieht mit der Weltkonjunktur im Falle einer US-Rezession?
Einige Experten glauben, dass die Weltökonomie sich seit 2007 bereits so weit von Amerika abgenabelt hat, dass eine derartige US-Flaute das Weltwirtschaftswachstum nicht einbrechen lassen würde. Es wird - nicht ganz zu Unrecht - damit argumentiert, dass sich die Struktur der Weltwirtschaft in den letzten drei Jahren dramatisch verändert hat. Die Schwellenländer haben an Einfluss und Stärke massiv hinzugewonnen. Sie vereinen bereits den größten Anteil der Weltwirtschaft auf sich. Mittlerweile stellen sie, mit oft zweistelligen jährlichen Zuwachsraten, über 50 Prozent der Weltökonomie da. Dazu kommen die vitalen Industrieländer (wie Deutschland und Frankreich) mit bis zu 3 Prozent Wachstum im Jahr.
Insgesamt spiegeln diese Industriestaaten mit moderatem Wachstum nochmals 25 Prozent der Weltwirtschaft wieder. Das alleine zeigt bereits deutlich eine Verschiebung des ehemaligen Status Quo. Es hat sich also in der Tat einiges in der Welt verändert seit 2007.
Eine geringere Abhängigkeit zu den USA ist wünschenswert, aber dennoch wird Amerika weiterhin eine übergeordnete Rolle in der Weltwirtschaft spielen und das sollte man nicht unterschätzen. Bei einer Bevölkerungszahl von 310 Millionen ist man immer eine Größe von internationalem Gewicht. Es ist richtig, dass die Dynamik vorerst nicht mehr hauptsächlich von den USA ausgehen wird. Die Wirtschaftsdynamik geht zukünftig immer mehr von den bevölkerungsreichen Schwellenländern aus. Aber dennoch liegt der Anteil der US Amerikaner am Welthandel immer noch um die 18 Prozent. Die US Wirtschaft wird weiterhin ihren Einfluss geltend machen und ihre Position intensiv gegen aufsteigende Nationen verteidigen. Und damit bleibt uns auch der Dollar noch lange Zeit als die Weltreservewährung erhalten.
Sollte Amerikas Wirtschaft weiterhin - wenn auch nur gering - wachsen, so sehe ich keine unmittelbare Bedrohung für die weltweite Konjunkturerholung. Als Lokomotive des Wachstums darf man Amerika schon lange nicht mehr ansehen. Solange der Kreislauf von Investitionsgütern, Produktion und Konsum intakt ist, besteht keine akute Gefahr für die Erholung der Weltökonomie.
Sollte allerdings Amerika in die Rezession driften, so wird das keinesfalls die Weltwirtschaftkreisläufe unbeeindruckt lassen. Alleine die psychologischen Auswirkungen eines "Double Dip" würden die weltweite Nachfrage einbrechen lassen und wären für die Finanzmärkte verheerend. Besonders Deutschlands Wirtschaft wäre von einer US-Rezession betroffen. Denn obwohl wir innerhalb der Finanz- und Wirtschaftskrise wieder zu einer effektiven und effizienten Wirtschaftskraft geworden sind, sind wir direkt und indirekt extrem anfällig. Denn zum einen stehen wir mit unserem starken Export von Investitionsgütern am Anfang des Weltwirtschaftskreislaufs und bekämen eine Rezession mit Zeitverzögerung zu spüren. Zum andern ist die USA unser zweitgrößter Handelspartner ist und dort würde wir direkt eine Abkühlung der Weltökonomie verspüren. Noch geht es nicht ganz ohne US-Wachstum.
Wir werden also auch in Zukunft Amerikaner auf dem Siegertreppchen sehen und ihre Nationalhymne hören. Die Weltwirtschaft verändert sich aber aktuell dramatisch und es wird immer schwieriger für Amerika - aber auch für Europa - gegenüber den Schwellenländern den Vorsprung zu verteidigen.
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© 2. September 2010 / Oliver Roth
* Oliver Roth ist Chefhändler und Börsenstratege der auf mittelständische Unternehmen fokussierten Close Brothers Seydler Bank AG. Die Bank gehört seit 2005 zu der an der Londoner Börse gelisteten Close Brothers Group plc, London. Die Geschäftsfelder der Close Brothers Seydler Bank sind Designated Sponsoring, Corporate Finance, Aktien-Sales und Research, der Handel in Aktien und Renten, sowie die Skontroführung auf der Frankfurter Wertpapierbörse in über 2100 in- und ausländischen Aktien- und Rententiteln. Roth arbeitet seit 1990 an der Frankfurter Wertpapierbörse und ist seit 1996 bei der Close Brothers Seydler Bank AG.
(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.)
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