Roche und Co. im Fokus |
26.02.2017 18:06:56
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Biotechnologie-Aktien: Wo es frische Kaufsignale gibt
So wie die Automobilindustrie in manchen Jahren auf den neuen Golf wartet oder Mobilfunkhersteller auf das nächste iPhone, so schielen auch der Pharmasektor und Healthcare-Investoren auf die nächsten marktbewegenden Produkteinführungen. Für dieses Jahr steht hier ein Medikament von Roche ganz oben auf den einschlägigen Ranglisten der Branche: Ocrevus gegen Multiple Sklerose (MS) soll in Zukunft Spitzenumsätze von knapp über vier Milliarden Dollar pro Jahr erzielen.
Aber nicht nur deshalb messen Branchenexperten dem Start von Ocrevus, das aller Voraussicht nach am 28. März in den USA zugelassen wird, so große Bedeutung bei. Das neue Produkt wird den Markt für Multiple-Sklerose-Medikamente vergrößern und gleichzeitig auch die Marktanteile der Wettbewerber durcheinanderwirbeln.
Das macht das Thema für Anleger spannend: Der ohnehin angeschlagene Platzhirsch Teva beispielsweise muss womöglich dem Druck von aktivistischen Investoren nachgeben und in zwei Firmen aufgespalten werden. Das bietet Potenzial für eine Turnaroundspekulation. MS-Spezialist Biogen gerät ebenfalls unter Druck und könnte sich nach Übernahmezielen umschauen - oder selbst eines werden.
Jahrzehntelang Medikamente
Multiple Sklerose ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen. In Deutschland sind schätzungsweise 120.000 bis 140.000 Menschen davon betroffen, darunter etwa doppelt so viele Frauen wie Männer. Aus bis heute ungeklärten Gründen greift das Immunsystem dabei den Schutzmantel der Nervenzellfortsätze an. Diese sogenannten Myelinscheiden spielen aber bei der Signalübertragung zwischen Nervenzellen eine wichtige Rolle. Deshalb können Schäden daran eine Vielzahl von Beschwerden auslösen. Häufig sind dies Sehstörungen, Taubheitsgefühle an den Extremitäten bis hin zu Bewegungseinschränkungen und Verlust der Blasen- und Darmkontrolle.
Die ersten Symptome treten in der Regel vor dem 40. Lebensjahr auf. Heilbar ist MS nicht, aber die Lebenserwartung liegt nur wenig unter der von Gesunden: Es ist eine chronische Krankheit, bei der Patienten über Jahrzehnte Medikamente einnehmen. Das Marktvolumen liegt bei gut 20 Milliarden US-Dollar pro Jahr.
Multiple Sklerose kann schubförmig oder "primär-progredient", also sich fortlaufend verschlechternd, verlaufen. Von der zweiten Form sind nur 15 Prozent der Patienten betroffen, doch bisher gab es für sie kein Medikament, das Besserung versprach. Genau das wird Roches Ocrevus ändern. Als erster Wirkstoff überhaupt vermag es das Fortschreiten dieser Krankheitsvariante und damit die Zunahme körperlicher Behinderungen aufzuhalten.
Zusätzlich wurde Ocrevus auch bei Patienten mit schubförmiger MS getestet, wo es sich als erheblich effektiver in der Unterdrückung von Krankheitsschüben erwies als die bisherige Standardbehandlung.
Das Auftauchen dieser neuen Konkurrenz trifft die israelische Teva zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Teva stellt mit Copaxone eines der immer noch am häufigsten verschriebenen MS-Medikamente her, hat aber jüngst Gerichtsverfahren verloren, mit denen billigere Generikakonkurrenz vom Markt ferngehalten werden sollte. Mit Copaxone erzielt Teva ein Fünftel des gesamten Umsatzes. Dazu kommt: Die Übernahme von Allergans Generikageschäft für 40,5 Milliarden Dollar im vergangenen Jahr brachte bisher nur Probleme und hohe Schulden ein. Vorvergangene Woche verließ auch noch Vorstandschef Erez Vigodman das Unternehmen.
Institutionelle Investoren wie Janus Capital wollen eine Aufspaltung Tevas in ein Markenprodukt- und ein Generikaunternehmen erreichen. Gut möglich, dass es unter einem neuen Chef dazu kommt. Zumindest können die Teva-Aktionäre ihre Erwartungen kaum noch weiter zurückschrauben: Innerhalb der vergangenen zwölf Monate ist der Kurs um 33 Prozent eingebrochen.
Preisdruck von Versicherungen
So dramatisch ist die Situation bei der US-Firma Biogen nicht. Sie produziert gleich fünf MS-Medikamente, darunter eine der insgesamt drei erhältlichen Pillen. Alle anderen Arzneien werden gespritzt oder als Infusion verabreicht.
Allerdings: Der Absatz steigt nur noch langsam. Preiserhöhungen sind angesichts der pharmakritischen Aussagen von Präsident Donald Trump riskanter geworden. Zudem spielen die Krankenversicherungen konkurrierende Hersteller zunehmend gegeneinander aus, um Rabatte zu verhandeln. Und bereits 2018 könnte der US-Konzern Celgene ein effektiveres orales MS-Medikament auf den Markt bringen und den Wettbewerb verschärfen.
Biogen besitzt jedoch einen Puffer gegen all diese Herausforderungen: Die Firma wird bis zu 24 Prozent Beteiligung an den Ocrevus-Umsätzen erhalten, weil sie bei der Entwicklung mitgewirkt hat. Gleichzeitig hat das Unternehmen mit einem soeben zugelassenen Medikament gegen eine seltene, genetisch bedingte Muskelerkrankung und der Hoffnung auf einen Blockbuster gegen Alzheimer zwei Asse im Ärmel. Rund 14 Milliarden Cash geben aber auch Flexibilität für Zukäufe. Nicht zuletzt gilt Biogen selbst als Übernahmeziel für eins der großen Pharmaunternehmen.
Multiple-Sklerose-Patienten erwarten den neuen Hoffnungsträger Ocrevus indes mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Denn Ocrevus ist, vom Molekül her betrachtet, eigentlich nur eine modernisierte Version von Roches Krebs- und Arthritismedikament Rituxan. Auch dieses stellte bereits vor neun Jahren seine Wirksamkeit gegen MS eindrucksvoll unter Beweis. Doch Roche stoppte die Entwicklung für die Indikation MS nach dieser Studie und startete mit Ocrevus neu bei null. Der Beweggrund dafür dürfte das Auslaufen der Patente für Rituxan ab 2013 gewesen sein.
Der Nachfolger Ocrevus genießt jetzt deutlich länger Patentschutz, sodass sich die Investitionen in eine Zulassung für MS wohl in jedem Fall wieder hereinholen lassen. Die Patienten mussten dafür länger auf das Medikament warten und werden wohl deutlich mehr zahlen müssen als für Rituxan-Nachahmerprodukte.
Investor-Info
Roche
Solider Pharmawert
Mit den in einigen Jahren erwarteten Spitzenumsätzen von gut vier Milliarden Dollar spielt das MS-Medikament Ocrevus eine wichtige Rolle für Roches zukünftiges Wachstum. Denn mehreren höchst erfolgreichen Produkten aus dem Bereich Krebstherapie droht bald Konkurrenz durch Biosimilars. Insgesamt ist die Pipeline der Schweizer aber gut gefüllt. Die Titel sind vom Kurs-Gewinn-Verhältnis für 2017 her günstiger bewertet als zum Beispiel Novartis. Dazu kommt noch eine Dividendenrendite von derzeit deutlich über drei Prozent.
Biogen
Aussichtsreicher Biotech-Titel
Das amerikanische Biotechunternehmen könnte durch den Roche-Launch zwar Marktanteile verlieren, die Umsatzbeteiligung dürfte den Effekt jedoch mildern. Analysten sehen großes Potenzial im gerade zugelassenen Medikament Spinraza gegen eine seltene Muskelerkrankung und natürlich in dem Alzheimer-Wirkstoff in der letzten klinischen Entwicklungsphase. Der neue Chef scheint außerdem M & A-Transaktionen gegenüber deutlich aufgeschlossener als sein Vorgänger.
Teva Pharmaceuticals
Klarer Sanierungskandidat
Dass sich die Situation beim israelischen Generikariesen noch weiter verschlechtert, ist langsam schwer vorstellbar. Das ist eine Einstiegsgelegenheit für risikobereite Anleger. Der nächste Vorstandschef muss die Schuldenlast senken und für neues Wachstum sorgen - vielleicht durch die Aufspaltung des Konzerns in zwei separate Unternehmen. Die Zahlen zum vierten Quartal fielen immerhin schon besser aus als erwartet: Der Gewinn pro Aktie stieg um acht Prozent.
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