Geht Abwärtstrend weiter? |
31.01.2016 03:00:02
|
Schwellenländerkrise: Kollaps einer Kursfantasie
von Jörg Billina, Euro am Sonntag
Seit Jahresanfang haben die Schwellenländermärkte bereits zehn Prozent verloren. Der fast 900 Unternehmen umfassende MSCI Emerging Markets notiert mittlerweile auf dem niedrigsten Stand seit dem Jahr 2009. Ist damit, wie Investmentprofis Crashs umschreiben, schon genug "Blut geflossen" - oder fallen die Kurse weiter?
Vieles spricht dafür, dass die Verwerfungen anhalten. Den Schwellenländern drohe im Laufe des Jahres "ein schwerer Schock mit gewaltigen Folgen", warnt Mexikos Zentralbankchef Agustín Carstens. Die Politiker und Zentralbanken in den Emerging Markets müssten sich darauf einstellen, ihre Finanzmärkte massiv zu stärken.
Carstens fürchtet jedoch, dass Zinsmaßnahmen, Stützungskäufe für die Währungen und Interventionen an den Aktienmärkten nicht reichen werden, um das Geld ausländischer Investoren im Land zu halten. Nach Angaben der Investmentgesellschaft JP Morgan haben Anleger schon im vergangenen Jahr allein aus Emerging-Markets-Aktienfonds umgerechnet 68 Milliarden Euro abgezogen.
Auch Christine Lagarde, Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), schlägt Alarm: Die Schwellenländer müssten sich "neuen Realitäten" stellen. Wesentlich langsamer als zunächst gedacht nähern sich die Einkommen in den Emerging Markets den Niveaus in den Industriestaaten an. Doch genau daran hatte sich in den vergangenen Jahren die Kursfantasie für die aufstrebenden Länder entzündet. Jetzt macht sich Ernüchterung breit.
Wie sehr die wirtschaftliche Dynamik in den vor wenigen Jahren noch als Wachstumslokomotiven bezeichneten Staaten inzwischen abgenommen hat, zeigt sich vor allem in Russland und Brasilien. Beide Länder leiden unter dem drastischen Verfall der Rohstoffpreise, insbesondere bei Öl. Wie 2015 wird die wirtschaftlich wenig diversifizierte und von westlichen Sanktionen schwer getroffene russische Volkswirtschaft 2016 schrumpfen. Auch das von einem Korruptionsskandal erschütterte Brasilien verharrt in der Rezession.
Düster fallen zudem die Prognosen für Südafrika aus. Die Weltbank traut dem Land vor dem Hintergrund einer schweren Dürre, ums Überleben kämpfender Minenbetriebe, aber auch zunehmender politischer Instabilität maximal 1,5 Prozent Wachstum zu. Selbst Südafrikas Staatspräsident Jacob Zuma sagt: "Unsere Wirtschaft ist krank."
Es könnte noch schlimmer kommen. Nämlich dann, wenn die US-Notenbank ihren Zinserhöhungskurs fortsetzt, die Europäische Zentralbank und die Bank of Japan dagegen zusätzliche geldpolitische Lockerungen beschließen. Der Dollar würde dann weiter aufwerten, die Währungen der Schwellenländer dagegen noch schwächer tendieren. Südafrikas Rand beispielsweise verlor in den vergangenen sechs Monaten gegenüber dem Greenback 25 Prozent.
Den Emerging Markets fällt es aber schon jetzt schwer, ihre in Dollar aufgenommen Schulden zu bedienen. Die Investmentbank Renaissance Capital schätzt, dass 17 Schwellenländer in den kommenden zwölf Monaten von den Ratingagenturen in ihrer Bonität herabgestuft werden. Als gefährdet gelten unter anderem die Türkei, Südafrika, Kenia und Saudi-Arabien. Bereits im vergangenen Jahr hatte S & P Brasilien und Russland den Investment-Grade-Status aberkannt. Zugleich steigen die Zahlungsausfälle bei den Unternehmen. Die Ausfallrate beträgt mittlerweile 3,8 Prozent, das entspricht einem Anstieg von 40 Prozent innerhalb eines Jahres.
Auch aus den weniger entwickelten Grenzmärkten fliehen Investoren. Die Manager entsprechender Fonds hatten für einen Einstieg mit dem Argument geworben, die Frontier Markets wären kaum mit anderen Märkten korreliert. Die Börse in Nigeria aber, ein Schwergewicht im MSCI Frontier Markets, liegt seit Jahresanfang mit 20 Prozent zurück. Mit Argwohn verfolgen Anleger Pläne der Regierung in Abuja, das immer größer werdende Loch im Staatshaushalt nicht durch Einsparungen, sondern durch die Auflegung von Anleihen zu stopfen.
Wenn an den Märkten Panik herrscht, fehlt es üblicherweise nicht an Stimmen, die gerade dann zum Einstieg raten. Zu den "Trommlern" zählt derzeit Michael Hasenstab. Dies sei "die Einmal-in-zehn-Jahren-Chance". Wer sie nutze, werde belohnt, glaubt der Anlagechef der Fondsgesellschaft Templeton und weist auf günstige Aktienbewertungen und attraktive Bondrenditen hin.
Mit einem durchschnittlichen Kurs-Gewinn-Verhältnis von rund zehn für 2016 sind Emerging Markets in der Tat günstig, zudem lockt eine Dividendenrendite von drei Prozent. Zum Kauf reizen auch Anleihen. Eine in Dollar aufgelegte, bis 2024 laufende Staatsanleihe Brasiliens beispielsweise weist gegenüber der entsprechenden Bundesanleihe einen Renditeabstand von sieben Prozentpunkten auf.
Selbst gegenüber indischen Aktien ist Skepsis angebracht. Das Bruttoinlandsprodukt des ölimportierenden Landes wird in diesem Jahr nach Regierungsangaben voraussichtlich zwar um über sieben Prozent wachsen, doch Ende Dezember ist das Verbrauchervertrauen auf den niedrigsten Stand seit drei Jahren gesunken.
Indiens Bevölkerung beurteilt Finanzlage und Jobaussichten zunehmend pessimistisch. Die schwächere Binnennachfrage wiederum drückt auf die Stimmung der Unternehmer. Allmählich wächst die Unzufriedenheit mit dem seit 2014 regierenden Staatspräsidenten Narendra Modi - denn von seinen versprochenen Reformen hat er noch nicht viele umgesetzt.
Investor-InfoiShares MSCI Emerging Markets
Der ETF bildet die Wertentwicklung von 859 Unternehmen aus den Schwellenländern ab. Chinesische Aktien sind mit 27 Prozent gewichtet, etwa sechs Prozent entfallen auf brasilianische Werte. Eine nachhaltige Erholung dieser Börsen zeichnet sich aber bislang nicht ab. Anleger sollten daher abwarten, für einen Einstieg ist es noch zu früh.
Pioneer Emerg. Markets Bond
Manager Yerlan Syzdykov investiert in Unternehmens- und Staatsanleihen, die überwiegend auf Dollar lauten. Der durchschnittliche Kuponertrag der 375 Positionen beträgt 4,8 Prozent. Unter den Top-Ten-Werten finden sich Anleihen Argentiniens und Uruguays. Die breite Streuung reduziert Ausfallrisiken. Trotz des schwachen Starts sollte der Fonds das Jahr mit einem Plus abschließen.
Seit Jahresanfang haben die Schwellenländermärkte bereits zehn Prozent verloren. Der fast 900 Unternehmen umfassende MSCI Emerging Markets notiert mittlerweile auf dem niedrigsten Stand seit dem Jahr 2009. Ist damit, wie Investmentprofis Crashs umschreiben, schon genug "Blut geflossen" - oder fallen die Kurse weiter?
Vieles spricht dafür, dass die Verwerfungen anhalten. Den Schwellenländern drohe im Laufe des Jahres "ein schwerer Schock mit gewaltigen Folgen", warnt Mexikos Zentralbankchef Agustín Carstens. Die Politiker und Zentralbanken in den Emerging Markets müssten sich darauf einstellen, ihre Finanzmärkte massiv zu stärken.
Carstens fürchtet jedoch, dass Zinsmaßnahmen, Stützungskäufe für die Währungen und Interventionen an den Aktienmärkten nicht reichen werden, um das Geld ausländischer Investoren im Land zu halten. Nach Angaben der Investmentgesellschaft JP Morgan haben Anleger schon im vergangenen Jahr allein aus Emerging-Markets-Aktienfonds umgerechnet 68 Milliarden Euro abgezogen.
Auch Christine Lagarde, Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), schlägt Alarm: Die Schwellenländer müssten sich "neuen Realitäten" stellen. Wesentlich langsamer als zunächst gedacht nähern sich die Einkommen in den Emerging Markets den Niveaus in den Industriestaaten an. Doch genau daran hatte sich in den vergangenen Jahren die Kursfantasie für die aufstrebenden Länder entzündet. Jetzt macht sich Ernüchterung breit.
Wie sehr die wirtschaftliche Dynamik in den vor wenigen Jahren noch als Wachstumslokomotiven bezeichneten Staaten inzwischen abgenommen hat, zeigt sich vor allem in Russland und Brasilien. Beide Länder leiden unter dem drastischen Verfall der Rohstoffpreise, insbesondere bei Öl. Wie 2015 wird die wirtschaftlich wenig diversifizierte und von westlichen Sanktionen schwer getroffene russische Volkswirtschaft 2016 schrumpfen. Auch das von einem Korruptionsskandal erschütterte Brasilien verharrt in der Rezession.
Wachsende Zweifel an China
Vor allem aber geht Chinas Volkswirtschaft die Puste aus: 2016 sind nur noch 6,5 Prozent drin, prognostiziert die Weltbank. Es wäre der schwächste Zuwachs seit 26 Jahren. Eine Verlangsamung ist nach dem Aufschwung zwar normal und von Peking gewollt - Überkapazitäten sollen abgebaut, die Binnennachfrage soll gestärkt werden -, doch die Zweifel wachsen, ob Chinas Regierung der Umbau unfallfrei gelingt und sie gleichzeitig die taumelnden Aktienmärkte zu stabilisieren vermag. Der Shanghai Composite hat seit seinem Hoch im Juni vergangenen Jahres immerhin schon 40 Prozent eingebüßt.Düster fallen zudem die Prognosen für Südafrika aus. Die Weltbank traut dem Land vor dem Hintergrund einer schweren Dürre, ums Überleben kämpfender Minenbetriebe, aber auch zunehmender politischer Instabilität maximal 1,5 Prozent Wachstum zu. Selbst Südafrikas Staatspräsident Jacob Zuma sagt: "Unsere Wirtschaft ist krank."
Es könnte noch schlimmer kommen. Nämlich dann, wenn die US-Notenbank ihren Zinserhöhungskurs fortsetzt, die Europäische Zentralbank und die Bank of Japan dagegen zusätzliche geldpolitische Lockerungen beschließen. Der Dollar würde dann weiter aufwerten, die Währungen der Schwellenländer dagegen noch schwächer tendieren. Südafrikas Rand beispielsweise verlor in den vergangenen sechs Monaten gegenüber dem Greenback 25 Prozent.
Den Emerging Markets fällt es aber schon jetzt schwer, ihre in Dollar aufgenommen Schulden zu bedienen. Die Investmentbank Renaissance Capital schätzt, dass 17 Schwellenländer in den kommenden zwölf Monaten von den Ratingagenturen in ihrer Bonität herabgestuft werden. Als gefährdet gelten unter anderem die Türkei, Südafrika, Kenia und Saudi-Arabien. Bereits im vergangenen Jahr hatte S & P Brasilien und Russland den Investment-Grade-Status aberkannt. Zugleich steigen die Zahlungsausfälle bei den Unternehmen. Die Ausfallrate beträgt mittlerweile 3,8 Prozent, das entspricht einem Anstieg von 40 Prozent innerhalb eines Jahres.
Auch aus den weniger entwickelten Grenzmärkten fliehen Investoren. Die Manager entsprechender Fonds hatten für einen Einstieg mit dem Argument geworben, die Frontier Markets wären kaum mit anderen Märkten korreliert. Die Börse in Nigeria aber, ein Schwergewicht im MSCI Frontier Markets, liegt seit Jahresanfang mit 20 Prozent zurück. Mit Argwohn verfolgen Anleger Pläne der Regierung in Abuja, das immer größer werdende Loch im Staatshaushalt nicht durch Einsparungen, sondern durch die Auflegung von Anleihen zu stopfen.
Wenn an den Märkten Panik herrscht, fehlt es üblicherweise nicht an Stimmen, die gerade dann zum Einstieg raten. Zu den "Trommlern" zählt derzeit Michael Hasenstab. Dies sei "die Einmal-in-zehn-Jahren-Chance". Wer sie nutze, werde belohnt, glaubt der Anlagechef der Fondsgesellschaft Templeton und weist auf günstige Aktienbewertungen und attraktive Bondrenditen hin.
Mit einem durchschnittlichen Kurs-Gewinn-Verhältnis von rund zehn für 2016 sind Emerging Markets in der Tat günstig, zudem lockt eine Dividendenrendite von drei Prozent. Zum Kauf reizen auch Anleihen. Eine in Dollar aufgelegte, bis 2024 laufende Staatsanleihe Brasiliens beispielsweise weist gegenüber der entsprechenden Bundesanleihe einen Renditeabstand von sieben Prozentpunkten auf.
Zu früh für den Einstieg
Trotz des Expertenrats: Selbst Investoren, die eine gewisse Risikobereitschaft mitbringen, sollten mit einem Engagement so lange warten, bis sie ein Licht am Ende des Tunnels erkennen. Ein solches wäre beispielsweise die Stabilisierung des Ölpreises. Davon würde insbesondere die Börse in Moskau profitieren. Bislang jedoch ist Saudi-Arabien nicht bereit, sein Angebot auf dem Weltmarkt zu reduzieren. Auch ein politischer Wechsel in Brasilien und in Südafrika wäre ein Signal, um Positionen aufzubauen. Doch noch klammern sich Staatspräsidentin Dilma Roussef und Jacob Zuma weiterhin an die Macht.Selbst gegenüber indischen Aktien ist Skepsis angebracht. Das Bruttoinlandsprodukt des ölimportierenden Landes wird in diesem Jahr nach Regierungsangaben voraussichtlich zwar um über sieben Prozent wachsen, doch Ende Dezember ist das Verbrauchervertrauen auf den niedrigsten Stand seit drei Jahren gesunken.
Indiens Bevölkerung beurteilt Finanzlage und Jobaussichten zunehmend pessimistisch. Die schwächere Binnennachfrage wiederum drückt auf die Stimmung der Unternehmer. Allmählich wächst die Unzufriedenheit mit dem seit 2014 regierenden Staatspräsidenten Narendra Modi - denn von seinen versprochenen Reformen hat er noch nicht viele umgesetzt.
Investor-Info
iShares MSCI Emerging Markets
Besser abwarten
Der ETF bildet die Wertentwicklung von 859 Unternehmen aus den Schwellenländern ab. Chinesische Aktien sind mit 27 Prozent gewichtet, etwa sechs Prozent entfallen auf brasilianische Werte. Eine nachhaltige Erholung dieser Börsen zeichnet sich aber bislang nicht ab. Anleger sollten daher abwarten, für einen Einstieg ist es noch zu früh.
Pioneer Emerg. Markets Bond
Anleihen als Alternative
Manager Yerlan Syzdykov investiert in Unternehmens- und Staatsanleihen, die überwiegend auf Dollar lauten. Der durchschnittliche Kuponertrag der 375 Positionen beträgt 4,8 Prozent. Unter den Top-Ten-Werten finden sich Anleihen Argentiniens und Uruguays. Die breite Streuung reduziert Ausfallrisiken. Trotz des schwachen Starts sollte der Fonds das Jahr mit einem Plus abschließen.
Der finanzen.at Ratgeber für Fonds!
Wenn Sie mehr über das Thema Fonds erfahren wollen, finden Sie in unserem Ratgeber viele interessante Artikel dazu!
Jetzt informieren!
Wenn Sie mehr über das Thema Fonds erfahren wollen, finden Sie in unserem Ratgeber viele interessante Artikel dazu!
Jetzt informieren!
Weitere Links: