16.02.2015 21:32:59
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Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Anklage eines ehemaligen SS-Unterscharführers
Was deutsche Staatsanwaltschaften jetzt aufarbeiten, haben die Generationen ihrer Vorgänger fahrlässig, vielleicht sogar vorsätzlich ignoriert. Der jüngst verstorbene Publizist Ralph Giordano hat es »die zweite Schuld« genannt, die nach Kriegsende einsetzende Verdrängung und Verleugnung der ersten Schuld, der Schuld der Deutschen am verbrecherischen Angriffskrieg, am Völkermord des Holocaust. Jahrzehntelang konnten sich Scharen von NS-Verbrechern unbehelligt ihres Daseins erfreuen, waren schon wenige Jahre nach der NS-Zeit wieder in Amt und Würden, als Juristen, Professoren, Verwaltungsangestellte, Arbeiter, Unternehmer.
Was die Ankläger von heute noch erreichen können, ist die späte, viel zu späte Anerkennung der Tatsache: Ja, es waren Verbrechen, ja, es gibt Täter, wir sind es den Nachfahren der Opfer schuldig, das Unrecht als Unrecht zu benennen und strafrechtlich zu ahnden. Dabei ist es völlig unerheblich, ob die greisen Vollstrecker des Führers tatsächlich hinter Gitter kommen oder eine Strafe aus gesundheitlichen Gründen ausgesetzt oder von ihr gar abgesehen wird. Es geht um das Urteil und das späte Eingeständnis, auch als symbolischer Akt. Ein Rechtsstaat wie die Bundesrepublik Deutschland, der auch auf der Maxime »Nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz« fußt, ist sich das schuldig.
Täter berufen sich auf den »Befehlsnotstand«. Man habe so handeln müssen, andernfalls sei man erschossen worden. Ein Mythos. Bereits in den Auschwitzprozessen 1963 konnten die Staatsanwälte nachweisen, dass kein SS-Mann wegen Befehlsverweigerung hingerichtet worden ist. Das Bundessozialgericht hat 2006 in einem Rentenstreit mit einem ehemaligen SS-Mann entschieden: »Gegen die Grundsätze der Menschlichkeit verstößt, wer 'arbeitsteilig' an der Vernichtung von Menschen durch Zwangsarbeit und massenhafte Tötung mitwirkt, indem er ein KZ bewacht.« Späte Einsicht. »Befehlsnotstand« entlaste nur denjenigen, der nach besten Kräften alles Zumutbare unternommen habe, um befohlene Verstöße gegen die Menschlichkeit zu vermeiden - etwa durch die Beantragung einer Versetzung, was auch in der SS möglich war.
Es gilt, was Journalist Heribert Prantl vor fünf Jahren anlässlich des Verfahrens gegen den mittlerweile verstorbenen SS-Mann John Demjanjuk formuliert hat: »Furchtbar ist nicht, dass heute noch Prozesse geführt werden. Furchtbar ist, dass der Staat jahrelang so säumig war.«
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Pressekontakt: Westfalen-Blatt Chef vom Dienst Nachrichten Andreas Kolesch Telefon: 0521 - 585261
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