14.06.2013 20:30:01
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Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum 17. Juni 1953
Bielefeld (ots) - Taksim-Platz, Tahrir-Platz, Potsdamer Platz: Die
zwei großen Plätze in Istanbul und Kairo sind Inbegriff
aufbegehrender, selbstbewusster Menschen, die sich nicht in ihr Leben
hineinreden lassen wollen. Taksim und Tahrir stehen für ein Volk, das
keine Angst vor selbstherrlichen Machthabern hat. Aber der Potsdamer
Platz? Er war vor 60 Jahren der Resonanzboden eines heute fast
vergessenen Rufes nach Freiheit, der erstaunlich viele Parallelen zum
aktuellen Geschehen aufweist. Hier wie da versucht ein Staat zu
gängeln, werden vermeintliche Provokateure aus dem Ausland haftbar
gemacht und, damals wie heute, wird auf der Straße mit aller Härte
von Staats wegen zugeschlagen. Am 17. Juni 1953 waren der Potsdamer
Platz und die dort mündende Leipziger Straße das Zentrum eines
unglaublichen Aufruhrs im jungen Arbeiter- und Bauernstaat.
Zehntausende hatten schon vier Jahre nach dessen Gründung die Nase
voll vom angeblichen neuen Deutschland. Auch dieser Aufstand
entzündete sich an einem Bauprojekt. Der Funke sprang in kürzester
Zeit auf 400 Orte und 600 Betriebe in der gesamten DDR über. So wie
in der Türkei die Re-Islamisierung den Menschen eine Vorgeschmack auf
die Scharia verschafft, so betrieb der SED-Staat damals die
Intensivierung des Sozialismus. Bei aller Unterschiedlichkeit des
religiös begründeten Islamismus und der marxistisch-leninistischen
Ideologie haben beide Denkschulen am Ende überraschend viel gemein.
Nahezu identisch erleben die Menschen eine unerbittliche
Staatsführung, die stur und provokant gegen das eigene Volk vorgeht.
Enteignungen, Zwangskollektivierungen und die Abschaffung letzter
Reste von Meinungsfreiheit trieben 1953 die Menschen in der DDR auf
die Straße. Das Fass zum Überlaufen brachte eine zentral verfügte
Erhöhung der Arbeitsnormen. Sie wurde als das verstanden, was sie
war: eine Gehaltssenkung um zehn Prozent. Der Aufstand endete mit dem
Tod von mindestens 50, möglicherweise auch mehr als 100 Menschen. Es
rollten Panzer und es sollte 36 Jahre dauern, bis viele den Ruf
wagten: »Wir sind das Volk.« Der 17. Juni 1953 verblasst heute vor
den beiden anderen Wegmarken Mauerfall und Wiedervereinigung. Gegen
das Vergessen richten sich an diesem Wochenende zahlreiche
Veranstaltungen. Das ist gut so. Es wird aber kaum mehr Wirkung haben
als der Vorschlag, in Berlin neben der großen »Straße des 17. Juni«
künftig einen kleinen »Platz des 17. Juni« zu haben. Im Westen wurde
der arbeitsfreie Feiertag zugunsten des 3. Oktober abgeschafft. Im
Osten mussten die Menschen 1990 erst wieder lernen, was 1953 in ihren
Städten und Betrieben geschah. Dabei können alle Deutschen auf ihre
Landsleute von damals mehr als stolz sein.
Originaltext: Westfalen-Blatt Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/66306 Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_66306.rss2
Pressekontakt: Westfalen-Blatt Nachrichtenleiter Andreas Kolesch Telefon: 0521 - 585261
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