24.06.2022 19:15:38
|
WDH/GESAMT-ROUNDUP/Wie Gaskrise überstehen?: EU-Staaten schauen auf Deutschland
(Im 2. Absatz wurde der Name des irischen Regierungschefs ergänzt.)
BERLIN/BRÜSSEL (dpa-AFX) - Drohende Engpässe bei der Gasversorgung stellen für Deutschland und die gesamte Europäische Union eine große Gefahr dar. Doch obwohl die Mitgliedsstaaten in einem Boot sitzen, ist ein gemeinsames Vorgehen in der Gaskrise kein leichtes Unterfangen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte am Freitag bei einem EU-Gipfel in Brüssel, es seien "alle Aktivitäten" unternommen worden, um Energie aus anderen Ländern als Russland zu importieren. Diese Anstrengungen müssten aber weiter beschleunigt werden. Das sei eine große Herausforderung. "Aber da werden wir uns unterhaken."
Irlands Regierungschef Micheal Martin warnte, man stehe "vor einem sehr schwierigen Winter". Das gilt auch für Deutschland, das zu denjenigen EU-Ländern gehört, die besonders abhängig von russischem Gas sind. In der EU schauen nun viele auf die Lage in der größten Volkswirtschaft der Union: "Wenn Deutschland in Probleme gerät, dann hat das auch einen enormen Einfluss auf alle anderen europäischen Länder, auch auf unser Land", sagte Belgiens Ministerpräsident Alexander De Croo.
Damit es dazu nicht kommt, haben Bundesregierung und Netzagentur zum Energiesparen aufgerufen. Jeder in der Industrie und privat könne dazu beitragen, sagte Netzagentur-Chef Klaus Müller im ARD-"Morgenmagazin". "Und ja, dazu gehört auch der Pulli, der Duschkopf, die Heizung ein bisschen runterstellen. All das hilft." Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck mahnte Firmen und Verbraucher, Gas zu sparen. Verbraucherministerin Steffi Lemke (beide Grüne) sagte, Unternehmen und öffentliche Einrichtungen seien genauso wie Haushalte gefordert.
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine Ende Februar gilt die Versorgung Europas mit Gas aus Russland als gefährdet. Schon jetzt hat Moskau die Lieferungen an Deutschland und andere EU-Staaten stark gedrosselt oder komplett gestoppt. Die EU versucht, ihre Abhängigkeit von Russland zu reduzieren. Die Bundesregierung rief am Donnerstag die Alarmstufe im Notfallplan Gas aus. Die Energiepreise sind schon stark gestiegen. Für den Fall, dass die russischen Gaslieferungen komplett ausfallen, gehen Ökonomen von einer Wirtschaftskrise aus.
Mit Sorge blicken Energieversorger und Politik auf die zehntägige Routinewartung der Pipeline Nord Stream 1, die am 11. Juli beginnt. Auf die Frage, ob er befürchte, dass Russland danach gar kein Gas mehr liefern werde, sagte Habeck beim Sender RTL: "Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, ich befürchte es nicht."
Sollte es so kommen, könnten die Gaspreise weiter stark steigen. Noch haben die Versorger kein "Preisanpassungsrecht". Aktiviert die Netzagentur einen bestimmten Mechanismus, könnten sie aber innerhalb einer Woche die höheren Preise an die Endverbraucher weiterreichen. Auch Preisgarantien, die etwa bei einjährigen Verträgen abgeschlossen werden, wären dann hinfällig. Mit dem Weiterreichen der Preise soll verhindert werden, dass Versorger zusammenbrechen. Netzagentur-Chef Müller warnte vor einer Verdopplung oder gar Verdreifachung der Gaspreise - und riet Verbrauchern, Geld zurückzulegen.
Doch was können die EU-Staaten gemeinsam gegen die Gasknappheit tun? Darüber gibt es Uneinigkeit. Zwar hatten sie sich bereits im März darauf verständigt, ihre Kaufkraft zu bündeln und gemeinsam Gas einzukaufen. Doch Länder wie Italien oder Belgien wollen deutlich radikalere Maßnahmen und dringen etwa auf einen Preisdeckel auf EU-Ebene, so dass Verbraucher entlastet würden. Spanien und Portugal haben dafür bereits nationale Ausnahmen. Ende Mai beauftragte der EU-Gipfel die EU-Kommission, weitere Möglichkeiten zur Eindämmung steigender Energiepreise zu prüfen - inklusive einer befristeten Preisobergrenze. Staaten wie Tschechien lehnen einen solchen Schritt jedoch ab, weil er ein Eingriff in den Markt wäre.
Der lettische Ministerpräsident Krisjanis Karins sagte am Freitag, Maßnahmen wie der gemeinsame Einkauf seien "wahrscheinlich eine mittel- bis langfristige Lösung". Am wichtigsten sei Unterstützung für diejenigen, die am meisten unter der hohen Inflation litten. Die schwedische Regierungschefin Magdalena Andersson warnte dagegen davor, Geld in die Taschen der Bevölkerung zu stecken. "Das würde die Inflation nur verstärken", sagte sie. Der Gas-Engpass in Europa und steigende Energiepreise werden auch Thema beim G7-Gipfel sein, bei dem Scholz ab Sonntag im bayerischen Elmau Gastgeber sein wird./mfi/DP/mis
Wenn Sie mehr über das Thema Aktien erfahren wollen, finden Sie in unserem Ratgeber viele interessante Artikel dazu!
Jetzt informieren!