09.11.2014 17:38:30
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Trauerfall Mauerfall - Politikroutine zum Gedenken
Von Stefan Lange
Der DDR-Bürgerrechtler Ehrhart Neubert muss wohl schon so eine Ahnung gehabt haben. Bei der zentralen Gedenkfeier zum 25. Jahrestag des Mauerfalls durfte er draußen in Kälte an der Bernauer Straße ein paar Worte sagen. Neubert, ein wacher Geist und allseits respektierter Kämpfer für die Friedliche Revolution, mahnte einen sorgfältigen Umgang mit dem Ereignis an. Das Gedenken an die Mauer, das Unrecht und die DDR dürfen nicht durch Rituale verwässert werden, machte Neubert deutlich. Anschließend übernahm die Politik das Zepter. Und es passierte genau das, wovor Neubert gewarnt hatte.
Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit und Kanzlerin Angela Merkel lasen von Redenschreibern routiniert gesetzte Worte vom Blatt ab. Der Gang über den ehemaligen Todesstreifen an der Bernauer Straße geriet zur Showveranstaltung, hochrangige Gäste konnten sich offenbar nicht mal die knapp zwei Stunden Veranstaltungsdauer am Riemen reißen und schliefen zwischendurch ein. Das Gedenken an den Mauerfall - die Politik machte es zum Trauerfall.
Merkel rückt Musterstellung in den Vordergrund
Merkel war sich nicht zu schade, auch noch den Mauerfall - während dem sie in der Sauna weilte - zum Beispiel für die Musterstellung Deutschlands in der Welt umzudeuten. Bereits am Samstag hatte es Bundeskanzlerin diesbezüglich ordentlich krachen lassen. Mit Blick auf den Branchentag des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (DEHOGA) am Dienstag machte die deutsche Regierungschefin in ihrem wöchentlichen Video-Podcast kostenfrei PR für die Hauptstadt und würdigte die Bedeutung Berlins als Touristenmagnet. Berlin habe nicht nur das Bild Deutschlands geprägt, sondern sei auch "fast ein Symbol für die Vereinigung Europas nach dem Kalten Krieg".
Am Sonntag wurde Merkel dann noch deutlicher. Der Mauerfall vor 25 Jahren sei eine "Botschaft der Zuversicht" für andere Länder, sagte die Kanzlerin. "Der Mauerfall hat uns gezeigt: Träume können wahr werden", machte sie den Menschen Mut, die gerade auf Flüchtlingsbooten übers Meer dümpeln oder in Bunkern Schutz vor Raketen suchen. Es war der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, der anlässlich seiner Europa-Rede am Sonntag bei der Konrad-Adenauer-Stiftung erklärte, es sei "eine Schande für Europa", wenn an den Außengrenzen Hilfesuchende ertrinken müssten.
"Nichts muss so bleiben, wie es ist, mögen die Hürden auch noch so hoch sein. Diese Erfahrung wollen wir mit unseren Partnern in der Welt teilen", frohlockte hingegen die Kanzlerin. Auch in Ländern wie Syrien oder Irak könnten Mauern fallen, "Mauern der Diktatur, der Gewalt, der Ideologie, der Feindschaft".
Zuvor hatte Merkel an die Pogromnacht und damit an die Nazi-Herrschaft erinnert, die bekanntlich nicht durch eine friedliche Revolution, durch Träume, sondern durch Krieg beendet wurde. Eine von rechtsradikalen Hooligans angekündigte Demonstration am Alexanderplatz war übrigens zuvor gerade abgesagt worden.
Auch Mauer-Trauer war an diesem Gedenktag angesagt, Merkel und Wowereit traten in einen bizarren Wettstreit darüber, wer das Bollwerk des Todes mehr vermisst. Die Kanzlerin zeigte Verständnis, dass nach dem 9. November 1989 von den Bürgern "sofort Hand an die Mauer gelegt worden sei". Innerhalb eines Jahres sei die Mauer aus dem Stadtbild verschwunden. "Der Wunsch war groß, dieses Schandmal zu tilgen", sagte Merkel.
Wowereit hingegen zeigte Verständnis für heutige Äußerungen, dass Berlin mehr von der Mauer hätte stehen lassen müssen. Aber die Mauer habe Familien getrennt und Menschen den Tod gebracht. "Deshalb gab es ein natürliches Gefühl: Weg damit", sagte Wowereit mit Blick auf die Situation vor 25 Jahren. "Das war vielleicht in dieser Rigorosität falsch aus heutiger Sicht", sei angesichts der damaligen Verhältnisse aber verständlich, sagte Wowereit, der seinen Rücktritt zeitlich extra hinter die Gedenkfeierlichkeiten gelegt hatte.
Ein natürliches Weg-Damit-Gefühl beschlich zunehmend auch die Beobachter der zentralen Gedenkveranstalter an der Bernauer Straße. Nach knapp zwei Stunden war der Spuk vorbei, und wer sich dann in Richtung Brandenburger Tor aufmachte, erlebte die wirklichen Feierlichkeiten zum Mauerfall wie eine Befreiung.
Schon seit Tagen war in der Hauptstadt ein seltener Zustand der Friedfertigkeit zu beobachten. Trotz Bahnstreiks und zahlreicher Straßensperrungen wegen der Feierlichkeiten wurde nicht wie üblich ständig gemotzt und gestänkert. Die Balloninstallation Lichtgrenze mit ihren mehr als 7.000, den Grenzverlauf nachzeichnenden weißen Leuchtkugeln versetzte tausende Menschen in Entzücken. Menschen aus dem In- und Ausland übrigens, die Hotellerie verzeichnete Medienberichten zufolge eine Auslastung von 98 Prozent.
Beim Bürgerfest am Brandenburger Tor eroberte das Volk dann seine Deutungshoheit über das Mauerfall-Jubiläum zurück. Am Freitag hatte Udo Lindenberg dort mit seinem Soundcheck die eigentliche zentrale Gedenkfeier schon mal inoffiziell eröffnet. Am Sonntag war dann kein Halten mehr, tausende Menschen strömten auf die Straße des 17. Juni und sorgten für heitere, natürliche Stimmung.
Die Bilder und Eindrücke waren zum Glück dazu angetan, den schiefen Auftritt der Politik ganz schnell vergessen zu lassen.
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November 09, 2014 11:07 ET (16:07 GMT)
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