18.03.2018 21:07:42
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Stuttgarter Zeitung: Kommentar zur Russland-Wahl: Putins Bruch mit den Bürgern
Stuttgart (ots) - Die Endergebnisse liegen erst an diesem
Montagmorgen vor. Aber darauf warten? Bei einer Wahl, die Monate
vorher bereits entschieden worden ist? Auf die paar Prozentpunkte
mehr oder weniger kommt es bei dem inszenierten russischen Referendum
über den Amtsinhaber Wladimir Putin nicht an. Alles ist auf ihn und
seine Politik zugeschnitten, ein Nachfolger, selbst in Putins Sinn,
ist nicht in Sicht. An eine Alternative zu ihm ist vorerst nicht
einmal zu denken. Doch die Fragen danach dürften die Kreml-Strategen
in den kommenden sechs Jahren beschäftigen. Dies ist eine
Herausforderung für das Land, das in den vergangenen zwei Jahrzehnten
einiges dafür getan hat, den politischen Wettbewerb abzuschaffen. Der
65-jährige Putin ist und bleibt für die meisten im Land Russlands
Retter vor all dem Bösen in der Welt, auch ganz ohne offensichtliche
Manipulationen am Wahltag. Dafür greift der lange Arm des Systems,
den der einstige Geheimdienstagent über die Jahre hat aufbauen
lassen, rechtzeitig ins Geschehen ein - und hat vor dieser Wahl ohne
Wahl so aggressiv Werbung für eine Teilnahme an der Abstimmung
betrieben, dass viele Russen den Urnengang tatsächlich als das
Begleichen ihrer Schuld gegenüber dem Regime verstanden. Der mächtige
Staatsapparat hat längst bewirkt, dass viele im Volk freiwillig auf
ihre Beteiligung am politischen Geschehen verzichten. Ein gewisser
Wohlstand, den Putin ihnen in seinen ersten beiden Amtsperioden
schenkte, weil auch die Rohstoffpreise an den Weltmärkten gerade
günstig für ihn ausfielen, war der Lohn für die Apathie. Zumal das
sowjetische Verständnis, man halte sich aus der Politik heraus, wenn
man ein ruhiges Leben führen will, in den Köpfen und Verhaltensweisen
der Menschen bis heute weiterlebt. Die Russen erklären den Hang zu
einem Landesvater, der mit starker Hand führt, gern mit ihrer
vermeintlich anderen Mentalität, die es eben nötig habe, dass ihnen
gesagt werde, wo es langgehe. Sonst sei die Ordnung dahin. Das
Anderssein, die mantraartig wiederholte russische Besonderheit ist
identitätsstiftend im Land. Es wird mit Selbstbewusstsein vor sich
hergetragen, mit einem Stolz, der den großen Minderwertigkeitskomplex
kaum zu verstecken weiß. Es ist ein Kampf mit allen Mitteln, um
endlich von der Weltgemeinschaft wahr- und ernst genommen zu werden,
denn das Regime will zwar kein Schmuddeljunge sein, verhält sich aber
wie ein solcher. Und die Ordnung nach innen wie nach außen bröckelt
längst. Die Rohstoffpreise sind gefallen, die Sanktionen und
Gegensanktionen nehmen den Russen soziale Sicherheiten weg. Die
Korruption grassiert wie eh und je. Die Russen sind selbst die
größten Kläger über all das, was im Land nicht funktioniert. Und doch
nehmen sie den oft mühsamen Alltag lieber hin als wirkliche Reformen
für ein etwas entspannteres Leben zu fordern. Sie sehen die
Alltagssorgen nicht verbunden mit den Entscheidungen der Politik.
Diese sind wie losgelöst voneinander, was viele der Russen aber
keineswegs stört. Der Bruch zwischen dem Machtapparat und den
Menschen, die Gleichgültigkeit, ist aber katastrophal. Sie nehmen es
fast schon dankend hin, dass ihnen die TV-Propaganda den täglichen
Brei an beschönigenden Nachrichten samt Drohgebärden gen Wesen
serviert, aus dem sie die Stärke ihres Landes zu schöpfen glauben.
Nach außen hin pflegt Moskau so sehr sein Gangster-Image, dass ihm
der Westen tatsächlich alles zutraut, selbst wenn Beweise fehlen. Die
Kommunikation mit dem Kreml gestaltet sich seit der Annexion der Krim
schwer, weil es keine gemeinsame Basis mehr für Gespräche zu geben
scheint. In den kommenden sechs Jahren dürfte die Schärfe im Ton noch
zunehmen, weil sich Russland in die Ecke gedrängt fühlt und aus der
empfundenen Isolation heraus eines bestens beherrscht: drohen.
OTS: Stuttgarter Zeitung newsroom: http://www.presseportal.de/nr/48503 newsroom via RSS: http://www.presseportal.de/rss/pm_48503.rss2
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