21.11.2008 14:21:00
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ROUNDUP: Köhler geht mit Bankern ins Gericht und fordert radikale Reformen
FRANKFURT (dpa-AFX) - Bundespräsident Horst Köhler ist mit Deutschlands Bankern scharf ins Gericht gegangen und hat als Folge der Finanzkrise eine "grundlegende Erneuerung" der Branche gefordert. "Besinnen Sie sich wieder auf die Tugenden des soliden Bankiers - und ich sage bewusst Bankier und nicht Banker", sagte Köhler am Freitag in Frankfurt in einer Grundsatzrede vor führenden Managern. Die Schuld für die Krise sollte nicht bei anderen gesucht werden: bei den Amerikanern, die vielfach auf Pump gelebt haben, bei der US-Notenbank Fed, die mit niedrigen Zinsen Geld künstlich billig hielt, bei den Rating-Agenturen, die Ramsch-Kredite mit Höchstnoten edelten. "Lassen Sie auch die Phase hinter sich, in der Sie mit dem Finger auf andere Leute zeigen", forderte Köhler.
Commerzbank-Chef Martin Blessing räumte Fehler der Branche ein, warnte aber auch vor Überregulierung. Der Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB) und Vorsitzende des Commerzbank-Aufsichtsrates, Klaus Peter-Müller, sagte am Rande der Veranstaltung, er halte Köhlers Rede für "gut und richtig": "Es gibt Dinge, die wir objektiv falsch gemacht haben." Die Systeme zum Management von Risiken hätten nicht wie erwartet funktioniert, die Branche habe "zu komplizierte Produkte in den Markt gegeben". Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann nannte es die "größte Pflicht" der Finanzindustrie, alles zu tun, Fehler der Vergangenheit zu korrigieren und künftig zu vermeiden: "Die aktuelle Lage ist ernst."
"BRANCHE BLIND FÜR RISIKEN"
Köhler kritisierte, zu viele in der Finanzbranche hätten "die vielfältigen Warnungen in den Wind geschlagen und lieber mitgewettet, als gegen Fehlentwicklungen anzugehen". Er forderte: "Die Banken müssen sich bewusst machen: Zuallererst sind sie Treuhänder derer, die ihnen ihr Erspartes überantwortet haben." Nachdem sich die "ganze Branche offenbar so berauscht" habe an Renditen und darüber blind geworden sei für Risiken, seien nun Demut, Anstand und Bescheidenheit gefordert, betonte das Staatsoberhaupt. Bereits im Mai hatte Köhler die Finanzmärkte als "Monster" gegeißelt.
"Besinnen Sie sich auch wieder auf Ihre Funktion als Dienstleister für Ihre Firmenkunden. Lassen Sie vor allem unsere Mittelständler nicht im Stich", mahnte Köhler die Banker. Die seit Sommer 2007 tobende Finanzkrise greift zunehmend auf andere Branchen über: Etwa Autohersteller und Chemiekonzerne spüren ihre Folgen. Der Staat habe mit dem eilends geschnürten 500-Milliarden-Euro-Rettungspaket für die Banken Handlungsfähigkeit bewiesen, sagte Köhler. "Ich erwarte, dass das Bankgewerbe dieses mutige Angebot der Politik jetzt seinerseits mit Mut und Bewusstsein für die Gesamtsituation begleitet und nutzt."
BLESSING SETZT AUF DEN STAAT
Blessing räumte ein: "Banken und Finanzmarktteilnehmer überall haben Fehler gemacht." Blessing, der die zweitgrößte deutsche Bank seit Mitte Mai führt, sagte: "Wir müssen uns die bittere Realität vor Augen halten: Wir alle haben weltweit zu einem zu hohen Kreditniveau beigetragen und es toleriert." Eine Vertrauenskrise diesen Ausmaßes könne nur mit Hilfe des Staates gelöst werden.
Es brauche nun adäquate Gesetze und Regulierungen für die Branche, sagte der Commerzbank-Chef und verwies auf die Vereinbarung der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20), eine neue globale Finanzarchitektur zu entwerfen: "Wir begrüßen den weltweiten Regulierungsrahmen, der gerade ausgearbeitet wird." Zugleich warnte Blessing vor Überregulierung: "Das zugrundeliegende Prinzip der freien Märkte sollte nicht vergessen werden."
KÖHLER VERLANGT KRAFTAKT
Nach Köhlers Ansicht ist die Krise nur durch einen internationalen Kraftakt zu lösen. "Ich bleibe dabei: Die Dimension der Krise heute verlangt ein Bretton Woods II, eine Versammlung der Besten, die mit Sachverstand, Moral und politischem Willen systematisch an die Arbeit gehen." In dem amerikanischen Ort Bretton Woods war 1944 unter Führung der USA die Grundlage für die Weltwirtschaftsordnung nach dem Zweiten Weltkrieg gelegt worden.
"Ich plädiere für die Schaffung einer internationalen Aufsichtsorganisation, und ich halte es für richtig, dem Internationalen Währungsfonds die Wächterfunktion über die Stabilität des globalen Finanzsystems zu übertragen", sagte Köhler. Damit er diese Aufgabe erfüllen könne, solle der IWF mehr Unabhängigkeit bekommen. Köhler war selbst von 2000 bis 2004 Direktor des IWF./jb/DP/stw
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