07.06.2022 19:56:38
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OTS: Börsen-Zeitung / Vorteil Berlin, Kommentar zu Fintech von Anna Sleegers
Vorteil Berlin, Kommentar zu Fintech von Anna Sleegers
Frankfurt (ots) - Du bist verrückt, mein Kind, Du musst nach Berlin, heißt es in
einem Gassenhauer, der bisweilen fälschlicherweise dem österreichischen
Komponisten Franz von Suppè zugeschrieben wird. Den Drang nach Berlin verspürt
auch die Deutsche Bank, der aus dem russischen Überfall auf die Ukraine die
Notwendigkeit erwachsen ist, einen neuen Standort zu finden für die bislang in
Moskau angesiedelten IT-Experten. Den Umzug an den Main mag man den kreativen
Köpfen aus einer der gesuchtesten Branchen offenbar nicht zumuten - auch wenn es
der hessischen Landesregierung und anderen Förderern des Finanzplatzes gewiss
besser gefallen hätte.
Ob die Entscheidung, rund 1 000 Arbeitsplätze in Berlin statt in der
Bankenmetropole anzusiedeln, buchstäblich mit Verrücktheit zu tun hat, darf
bezweifelt werden. Naheliegender ist es, dass die Deutsche Bank auf die
geografische wie auch kulturelle Nähe zwischen Moskau und Berlin gesetzt hat.
Beiden Städten muss kein Attribut vorangestellt werden, um als Metropole
durchzugehen. Wer sich die Mühe macht, Visa für russische IT-Fachleute zu
beantragen, wird kaum riskieren wollen, dass diese bei nächster Gelegenheit
wieder von der Stange gehen, um wieder Hauptstadtluft zu atmen.
Ein weiteres Argument für die Standortwahl dürfte sich aus einem Umstand
ergeben, der auf die zweite Zeile des Hauptstadtschlagers verweist: Wo die
Verrückten sind, dort gehörst Du hin. Tatsächlich gibt es nirgendwo in
Deutschland so viele Fintechs wie in Berlin. Dabei sind die Zeiten, in denen es
die billigen Mieten und der Faktor Nachtleben waren, die Gründerinnen und
Gründer anlockten, längst vorbei. Inzwischen sind die Größe und die Vielfalt der
Szene zum ausschlaggebenden Kriterium geworden.
Neben der größten Einhornherde beherbergt die Hauptstadt mit der Technischen
Universität Berlin auch eine der gründungsstärksten Hochschulen Deutschlands.
Nicht jedes Spin-off, das sich mit Unterstützung des Centre for Entrepreneurship
an den Markt wagt, schreibt Erfolgsgeschichte. Der Berliner Standortförderung
jedoch, die sich wohl auch infolge des historisch bedingten Mangels an
privatwirtschaftlichen Unternehmen bereits in den frühen 1980er Jahren auf
Gründer konzentrierte, kann man den Erfolg kaum absprechen. An Leuten mit
frischen Ideen, Abstand zum herkömmlichen Bankgeschäft und auch dem Mut zum
Scheitern herrscht kein Mangel. Ein optimales Umfeld für einen Koloss wie die
Deutsche Bank, der sich neu erfinden will.
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