03.06.2022 19:26:38
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Rezessionssorgen nehmen zu, Marktkommentar von Kai Johannsen
Frankfurt (ots) - Nun ist sie da: die Acht vor dem Komma. In der gerade
abgelaufenen Woche ist die Inflationsrate für die Eurozone bekannt gegeben
worden. Im Schnitt dürfen die Verbraucher für ihren Warenkorb nun 8 % mehr
ausgeben als vor Jahresfrist. Treiber dieser Teuerung sind sicher noch
pandemiebedingte Faktoren, aber in erster Linie nun der Ukraine-Krieg und die
damit im Zusammenhang stehenden Energie- und Rohstoffpreisexplosionen. Sie
sorgen zu Recht für viel Kopfzerbrechen. Investoren und vor allem Verbraucher
sorgen sich, dass es mit den Teuerungsschüben noch weitergehen könnte und vor
allem fragen sie sich, wie sie diese noch schultern sollen. Rufe nach einem
Gegensteuern, das zum Teil wie im Falle der US-Notenbank schon eingesetzt hat,
werden immer lauter. Auch die Europäische Zentralbank (EZB) soll im Urteil
vieler Marktbeobachter und Volkswirte nun reagieren und die kreditpolitischen
Zügel straffen, um der Inflation wieder Herr zu werden, die mittlerweile auf das
Vierfache des Zielwertes von um die 2 % gestiegen ist. Und wahrscheinlich wird
die EZB diesem Druck auch nachgeben und im dritten Quartal die Leitzinsen
anheben.
Und wie fiel die Reaktion an den Märkten aus? Doch wohl eher sehr moderat.
Mancher hatte vielleicht befürchtet, dass, wenn die Acht vor dem Komma steht, es
zu heftigen Reaktion an den Finanzmärkten kommt, also raus aus risikobehafteten
Assets, rein in sichere Häfen. Doch: Pustekuchen. Kein Ausverkauf bei Aktien.
Kein Abschmieren an den Devisenmärkten. Der Goldpreis schoss auch nicht durch
die Decke. Die Bundrenditen gingen auch nicht auf Tauchstation.
Aber die laufenden Verzinsungen der sicheren Benchmarkpapiere der Eurozone
schossen in Erwartung eines verschärften geldpolitischen EZB-Kurses auch nicht
nach oben. Die Renditen der Bundestitel setzten sich zwar weiter von ihrem
historischen Tief ab, aber der kräftige Sprung nach oben blieb aus. Es erinnerte
alles mehr an eine gelassene Reaktion. Der Markt scheint sich so langsam an das
Inflationsthema gewöhnt zu haben, könnte man nach diesen Inflationsdaten
durchaus meinen. Und von den Bondmärkten kam auch noch ein positives Signal, und
zwar vom Segment der Unternehmensanleihen aus den USA. Erstmals in diesem Jahr
wiesen die Anleihen der US-Firmen wieder positive Erträge auf. Hört, hört! Das
galt nicht etwa nur für ein Segment, sondern für Investment-Grade-Corporates und
die High-Yielder der US-Firmenlandschaft gleichermaßen (Letztere weisen ein
Rating von "BB" oder tiefer auf). In den Monaten zuvor wurden sie immer nur
abgestraft, fanden sich also auf den Verkaufslisten der Anleger wieder. Denn
unter dem Eindruck von Pandemie, Rohstoffpreisexplosionen sowie einhergehenden
Inflationsschüben, Lieferkettenproblemen sowie Ukraine-Krieg und negativen
wirtschaftlichen Implikationen trennten sich Anleger von Unternehmensbonds aus
den USA und nicht nur aus jenem Währungsraum.
Hinter dem nun wieder aufgeflammten Interesse steht zweierlei. Zum einen
ermutigen die gesunkenen Kurse der Papiere zum Einstieg, das ist bei Aktien
nicht anders. Zum anderen steht dahinter auch die Erwartung, dass es die Firmen
in Sachen Leitzinsverschärfung in den USA nicht so stark treffen wird, sie also
unter Leitzinserhöhungen der US-Notenbank nicht so stark leiden müssen. Aber
warum?
Das liegt auf der Hand. Mehr und mehr gehen Anleger davon aus, dass die
wirtschaftlichen Implikationen angefangen von der Pandemie bis hin zum
Ukraine-Krieg auf längere Sicht die Inflationsfolgen dieser Faktoren überlagern
werden. So ist für manche Bankhäuser die Rezession in Europa, aber auch in
anderen Volkswirtschaften Ende kommenden Jahres schon der Base Case. Und wenn
die EZB im dritten Quartal dieses Jahres mit den Leitzinsanhebungen beginnt und
Ende nächsten Jahres bereits die Rezession nicht mehr nur Befürchtung am Markt,
sondern bereits Realität ist, ist selbstredend nicht viel Zeit vorhanden, die
Leitzinsen heraufzusetzen, einerseits um der Inflation Einhalt zu gebieten,
andererseits um sich einen Puffer für die wirtschaftliche Abkühlung oder gar
Talfahrt zu schaffen - will heißen: Spielraum für dann erforderliche
Zinssenkungen zu schaffen. Und in diesem Umfeld werden die Bondrenditen auch
nicht so stark steigen, die Refinanzierungskosten der Unternehmen nicht noch
mehr erhöht und damit die Fähigkeit, den Schuldendienst gut leisten zu können,
für die Unternehmen nicht eingeschränkt. Bleibt eigentlich nur abzuwarten, wie
heftig die Rezession ausfällt und wie stark die Unternehmen auf der Erlösseite
getroffen werden. Das könnte wiederum sehr unangenehm werden.
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