07.12.2020 20:30:38
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OTS: Börsen-Zeitung / Dreiviertel leer, Kommentar zum Brexit von Detlef Fechtner
Dreiviertel leer, Kommentar zum Brexit von Detlef Fechtner
Frankfurt (ots) - Deal or No deal - that's the question. Die
Brexit-Verhandlungen steuern auf ihren Showdown zu. Europaabgeordnete rechnen
vor, dass sie selbst im Falle einer zügigen Einigung erst zwischen den Jahren
über einen Vertrag abstimmen können. Die Zeit wird verdammt knapp. Die
Vorwetten, dass es noch mit einem Deal klappt, werden skeptischer. Das Glas ist
schon lange nicht mehr halbvoll, nicht einmal mehr halbleer. Das Glas ist längst
dreiviertel leer.
Gemach, geben Diplomaten zu bedenken. Ist es denn nicht in EU-Verhandlungen
immer so, dass eine Verständigung erst nach Marathonsitzungen mit
durchgeschwitzten Hemden erreicht werden kann, weil alle Akteure dann bis zur
letzten Sekunde hart gerungen haben?
Dieses Muster mag für viele Verhandlungen gelten. Die Brexit-Gespräche aber
waren von Beginn an atypisch. Etwa, weil der Übergang vom rhetorischen Geplänkel
zur konkreten Kontroverse zu lange vertagt wurde. Und weil es nicht nur keine
Fortschritte gab, sondern generell wenig Bewegung. So bietet die Tatsache, dass
noch über genau die gleichen Zankäpfel - Wettbewerbsbedingungen, Fangquoten,
Streitschlichtung - gerungen wird wie vor Monaten wenig Anlass zur Zuversicht.
Dass es trotzdem Gründe gibt, auf eine Einigung zu hoffen, hat damit zu tun,
dass ein No Deal für beide Seiten enorm schmerzhaft wäre - trotz aller
gespielten Gelassenheit. Dabei bereitet nicht so sehr die Sorge vor Lkw-Staus
Kopfzerbrechen - die lassen sich mit etwas Geschick in Grenzen halten. Die
Bedenken der Wirtschaft konzentrieren sich auch nicht auf mögliche Zölle - die
lassen sich managen. Nein, die Angst ist, dass zwischen dem britischen Pochen
auf Souveränität und dem europäischen Bewahren des Binnenmarkts der Handel
zwischen der EU und der Insel unter die Räder kommt, weil jede Verlässlichkeit
und Rechtssicherheit fehlt und nichttarifäre Hemmnisse den Warenverkehr bremsen
werden.
Die Europäer werden am Ende dieses Jahrhunderts nur noch 4 Prozent der
Weltbevölkerung ausmachen - das entspricht dem heutigen Anteil Indonesiens. Dass
der wirtschaftliche und politische Einfluss des Kontinents schwindet, ist
unausweichlich. Aber natürlich könnte sich der Bedeutungsverlust rapide
beschleunigen, wenn Europa es nicht fertig bringt, weiter als gemeinsamer
Wirtschafts- und Handelsraum aufzutreten. Weil viele, die verhandeln, wissen,
dass ein No Deal zwei Verlierer haben wird - und allenfalls Gewinner in Übersee
-, gibt es selbst dreieinhalb Wochen vor dem Stichtag noch einen Funken Hoffnung
auf einen Deal.
Pressekontakt:
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