13.07.2015 20:56:39
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Börsen-Zeitung: Kein Ruhmesblatt für Europa, Kommentar zu Griechenland
von Detlef Fechtner
Frankfurt (ots) - Gewiss, Euroland hat es irgendwie doch wieder
geschafft, den Streit zu beenden. Das ist zugegebenermaßen für sich
genommen schon etwas wert, denn die Fähigkeit zum Kompromiss ist eine
der Kernkompetenzen, auf die sich die EU etwas einbilden kann.
Auch dass mit der gestrigen Verabredung über die Bedingungen eines
neuen Hilfsprogramms ein Grexit (zumindest vorerst) abgewendet zu
sein scheint, ist keine Nickligkeit. Ein Ausscheiden von Hellas aus
dem Euro-Club wäre für die verbleibenden Euro-Länder ein riskantes
Experiment mit ungewissem Ausgang gewesen - und für Griechenland
selbst ein Desaster. Es hätte das Land in eine humanitäre Katastrophe
geführt. Nach dem gestrigen Tag muss nun erfreulicherweise erst
einmal niemand in Brüssel Lebensmittelpakete für Athen packen oder
Ärzte ohne Grenzen quer durch Europa schicken. So weit, so
erleichternd.
Das aber war es auch schon fast, wenn man sich das Positive der
vergangenen Monate, Wochen, Tage und schließlich Nächte vor Augen
führt. Denn Europa und die Eurozone haben sich während des
Verhandlungsmarathons ganz sicher nicht mit Ruhm bekleckert - weder
die Griechen noch ihre Gläubiger in den Hauptstädten und auch nicht
die Profi-Europäer in Brüssel. Nein, ganz im Gegenteil: Die Union hat
Kritikern und Spöttern viel Futter gegeben - und der Schaden ist
groß, den der viel zu späte Kompromiss hinterlässt. Jene Absprache,
die ja gerade nicht die Bezeichnung als Einigung oder als
Verständigung oder gar als Lösung verdient, weil sich die Beteiligten
auch gestern Vormittag nicht tatsächlich einig waren, nicht wirklich
Verständnis füreinander aufgebracht und eben auch keine echte Lösung
gefunden haben.
Sorglose Zockerei
Die griechische Regierung muss sich - fast schon zynische -
Sorglosigkeit im Umgang mit der eigenen Bevölkerung vorwerfen lassen.
Es gibt kein noch so gutes strategisches Motiv, das es rechtfertigt,
den heimischen Wählern vorzugaukeln, übermorgen werde alles gut,
sofern nur eine Mehrheit morgen mit Nein stimme. Es ist schlichtweg
verantwortungslos, in Zeiten geschlossener Banken und langer
Schlangen vor den Geldautomaten die diplomatischen Gesprächspartner
zu brüskieren. Und es geht gar nicht, wenn Regierungen auf Risiko der
Menschen, die sie gewählt haben, zocken und pokern, als wäre alles
nur ein großes Spiel.
Enttäuscht sind zudem alle jene, die gehofft hatten, eine Ablösung
von Pasok und Nea Dimokratia durch Syriza biete endlich die Chance zu
einer radikalen Abkehr von Vetternwirtschaft und Nepotismus im
Krisenland Griechenland. Die Regierung hat nicht einmal beweisen
können, dass sie den Namen "Linksbündnis" verdient, denn auch
sozialpolitisch war ein Richtungswechsel allenfalls in Ansätzen
erkennbar.
Kritik muss sich allerdings auch die Seite der Kapitalgeber
anhören. Der Sturm der Entrüstung in den sozialen Netzwerken über den
gestrigen Deal, der vielerorts als Diktat und Oktroi beschimpft
wurde, ist sicherlich im Ton wesentlich schärfer als das allgemeine
Meinungsbild.
Ärger über "Grexit auf Zeit"
Aber selbst in den traditionellen Medien und Volksparteien zeigten
viele ihren Unmut über interne Arbeitspapiere des
Bundesfinanzministeriums, in denen offen mit einem "Grexit auf Zeit"
gedroht wurde, oder über die Forderung nach Abgabe der Verantwortung
über staatliche Vermögenswerte. Da erinnerte die eine oder andere
Idee an populistische Vorschläge aus der Frühzeit der Krise - wie das
Verscherbeln der Inseln.
Die Profi-Europäer in der EU-Kommission und im Europaparlament
schließlich sorgten vor allem jetzt im Finale für Verwirrung, wenn
sie eigenmächtig Bewertungen twitterten, interne Papiere durchstachen
und ihre Vermittlerrolle politisch soweit dehnten, dass sie der
Annäherung und Kompromissfindung letztlich oftmals nicht dienten.
Welche Auswirkungen wird der Kompromiss vom frühen Montagvormittag
nun haben? Griechenland ist durch den Stillstand der vergangenen
Monate so sehr wirtschaftlich aus der Bahn geworfen, dass die
Rückkehr zu Wachstum und Überschüssen noch beschwerlicher wird. Viele
Griechen werden die schwierigen Lebensumstände den Kapitalgebern
ankreiden. Das Bekenntnis zur Eurozone in den Umfragen sollte niemand
überschätzen. Daraus spricht nicht Zuneigung, sondern Angst. Entfällt
die akute Sorge vor dem Grexit, wird wohl der Ärger über Euroland
wieder stärker in den Vordergrund rücken.
In den Geldgeber-Staaten sind die Bürger derweil ebenfalls von der
täglichen Brennpunkt-Sendung aus Brüssel erschöpft. Ihr Vertrauen in
die Funktionsfähigkeit der Union als Problemlöser dürfte weiter
geschwunden sein, ihr Appetit auf nächste Integrationsschritte
ebenso. Noch nachhaltigere Auswirkungen dürfte das Gezerre um
Griechenland in Großbritannien haben - scheinen doch sechs
Krisentreffen der Finanzminister und drei Gipfel binnen Tagen die
britischen EU-Kritiker zu bestätigen. Es ist kein Zufall, dass in
London zuletzt nicht bloß die Zeitungen mit den großen Lettern in
galligem Ton über den Umgang der Europäer untereinander lästerten.
Der Grexit mag zunächst abgewendet, aber der Brexit dürfte gleichsam
Fürsprecher gewonnen haben.
Nein. Ganz sicher hat sich die EU in der Griechen-Saga nicht von
ihrer glanzvollen Seite gezeigt. Der gestrige Kompromiss um fünf nach
zwölf mag Schaden begrenzt haben. Aber das "Friedensprojekt" Euro
bleibt als potenzieller Spaltpilz diskreditiert. Und Griechenlands
wirtschaftliche Stabilisierung ist - trotz neuer Milliardenhilfen -
weiter bloß Hoffnungswert.
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