30.12.2015 20:50:39

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Börsen-Zeitung: Jahr der Täuschungen, Kommentar zum Jahreswechsel von

Claus Döring

Frankfurt (ots) - Der Globalisierung, seit vielen Jahren

verlässliche Triebkraft der Weltwirtschaft, geht die Puste aus. Das

Wachstum in China hat an Dynamik eingebüßt, die Konjunktur in Asien

insgesamt, in Europa und den USA dümpelt vor sich hin und die

Emerging Markets zählen seit Jahren schon zu den Verlierern. Wie

immer, wenn Wachstum erlahmt und nicht mehr für jeden ein größeres

Stück vom Kuchen sicher ist, werden die Verteilungskämpfe härter. Sie

geben Renationalisierung und Abschottung Auftrieb. In freien Märkten

werden dann weniger die Chancen gesehen, sondern die Risiken einer

politischen und ökonomischen Unterdrückung durch die Stärkeren.

Das spürten die USA im zu Ende gehenden Jahr beispielsweise mit

dem wachsenden Widerstand gegen das Freihandelsabkommen TTIP oder der

Aufkündigung des Safe-Harbor-Paktes mit der EU. Das spürte Europa an

den Grexit-, Brexit- und anderen Ausstiegsdebatten. Und das spürte

auch Deutschland: Als Geldgeber für überschuldete Euro-Länder ist es

willkommen; geht es aber um gemeinsame Pflichten wie

Haushaltsdisziplin oder Verteilung und Finanzierung des

Flüchtlingszustroms, ist es mit der Solidarität in Europa nicht weit

her. Immer mehr Anhänger eines vereinten Europas wie auch der

gemeinsamen Währung fühlen sich nach den Erfahrungen des Jahres 2015

mit vielen uneingelösten Reformversprechungen getäuscht.

Als große Täuschung hat sich jedenfalls die Strategie der

Notenbanken erwiesen, mit Nullzinspolitik und Gelddrucken Konjunktur

und Investitionen ankurbeln zu können. Die amerikanische Notenbank

hat endlich das Ende dieses Wahnsinns eingeläutet, obwohl die USA

weit davon entfernt sind, wieder die Konjunkturlokomotive spielen zu

können. Da sich die Notenbanken inzwischen weltweit ungeniert in den

Dienst der nationalen Konjunkturpolitik stellen und dem

Abwertungswettlauf frönen, könnte der US-Zinswende schon bald die

Rolle rückwärts folgen.

An den Finanzmärkten wird die Volatilität damit die neue

Normalität bleiben. Ausgerechnet auf diese unberechenbaren

Finanzmärkte sollen sich nach dem Willen der EU-Kommission die

Unternehmen noch stärker verlassen, wenn es um ihre Finanzierung

geht. Den amerikanischen Kapitalmarkt vor Augen, glaubt man in

Brüssel, mit einer ähnlichen Finanzierungskultur auch die EU

beglücken und die Abhängigkeit von der Kreditfinanzierung senken zu

müssen. Nachdem Bankenunion und Überregulierung die Bedingungen für

Bankfinanzierungen erschwert haben, sollen jetzt mit Einführung einer

Kapitalmarktunion die Anleger in die Bresche springen. Eine Hoffnung,

die wohl enttäuscht wird. Denn für Pferde, die nicht saufen wollen,

spielt es keine Rolle, wie voll die Tränke ist, ob sie bei der Bank

oder an der Börse steht und wer die Tränke beaufsichtigt.

Selten sind die Grenzen staatlicher Überwachung so drastisch vor

Augen geführt worden wie mit dem Abgasskandal von Volkswagen. Die

Täuschungskultur in Wolfsburg hat nicht nur die Governance-Defizite

in diesem Familienunternehmen mit Staatsbeteiligung offenbart,

sondern auch das Gütesiegel "Made in Germany" in Misskredit gebracht.

2015 wird als Jahr der Täuschungen und mancher Enttäuschung in

Erinnerung bleiben.

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