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22.01.2015 21:16:47

OTS: Börsen-Zeitung / Börsen-Zeitung: All-in, Kommentar zur EZB von Mark Schrörs

Börsen-Zeitung: All-in, Kommentar zur EZB von Mark Schrörs

Frankfurt (ots) - Es war lange Zeit so etwas wie das Tabu

schlechthin in Euroland - aber nun ist es Realität: Die Europäische

Zentralbank (EZB) kauft für Hunderte Milliarden Euro Staatsanleihen

aller Euro-Länder. Quantitative Easing, kurz QE, lautet das

Zauberwort. EZB-Präsident Mario Draghi und die Mehrheit im EZB-Rat

wollen damit nach eigener Lesart jegliche Deflationsgefahr im Keim

ersticken. Der Schritt ist aber nicht so alternativlos, wie ihn

Draghi & Co. darstellen; der Nutzen kaum so groß, wie die

QE-Apologeten behaupten; dafür aber die Risiken so immens, wie es die

Kritiker monieren. Draghi geht volles Risiko - "All-in", hieße das

beim Poker - und läuft Gefahr, am Ende mit leeren Händen dazustehen.

Und völlig entzaubert.

Bitte keine Hysterie

Keine Frage, die EZB hat zuvor schon Staatstitel gekauft - von

2010 bis 2012 im Zuge des Securities Markets Programme (SMP), vor

allem griechische, italienische und spanische Papiere. Das Votum pro

QE aber hat eine ganz neue Qualität - und das nicht nur wegen der

Volumina: Staatsanleihekäufe werden zum "normalen" Instrument der

EZB.

Was vielen Euro-Hütern unruhige (Tag-)Träume beschert, ist die im

Dezember auf -0,2% abgesackte Inflation. In den ersten Monaten 2015

könnte es sogar noch weiter nach unten gehen. Aber wer die Eurozone

damit in einer Deflation wähnt, neigt zur Hysterie. Der Fall unter

die Nulllinie ist zuvorderst dem Verfall der Ölpreise geschuldet.

Eine sich selbst beschleunigende Abwärtsspirale, in der die

Verbraucher in Erwartung sinkender Preise Käufe aufschieben und das

die Wirtschaft lähmt, ist weiterhin nicht erkennbar.

Überhaupt scheint eine solche Negativspirale wie in den 1930er

Jahren weit weniger oft vorzukommen, als es manch alarmierte Warnung

vermuten lässt. Die BIZ, die Zentralbank der Zentralbanken, warnt zu

Recht, das Deflationsrisiko zu überschätzen und mit einem aggressiven

Gegensteuern mehr Schaden anzurichten als Nutzen zu stiften. Wenn

eine Geldschwemme zu neuen Finanzexzessen führt, geht das schnell

nach hinten los.

Natürlich ist es für die EZB ein Problem, wenn die Inflation das

Ziel von knapp 2 % derart deutlich verfehlt. Aber dafür gibt es gute

Gründe - neben dem Ölpreisverfall die Preis- und Lohnanpassungen in

den Krisenländern. Die EZB täte gut daran, weniger Energie auf

politische Winkelzüge zu verwenden und stattdessen klar zu machen,

dass sie die zurückgehenden Inflationsraten gut begründen kann und

diese großteils positive Effekte haben. Das würde mehr Vertrauen

schaffen als das Beschwören einer Deflationsgefahr oder eine

kurzatmige Geldpolitik. Und was viele zu vergessen scheinen: Die

Geldpolitik ist auch ohne QE so locker wie nie zuvor. Geld gibt es

quasi zum "Nulltarif".

Auf jeden Fall aber sollte sich niemand der Illusion hingeben,

dass QE nun wie eine Art Allheilmittel wirkt. Die Effekte auf die

Realwirtschaft im Euroraum scheinen limitiert: Die Renditen der

Staatsanleihen befinden sich bereits auf historischen Tiefs, der Euro

hat schon stark abgewertet. Zudem dominiert die Kreditvergabe über

Banken, nicht über die Kapitalmärkte. Und wer sagt überhaupt, dass

die EZB in Zeiten eines großen Anlagenotstands genug Verkäufer

findet, zumindest bei soliden Papieren und zu vernünftigen Preisen?Es

ist nun eine große Gefahr, dass Draghis letztes Ass nicht sticht -

und das ohnehin sinkende Vertrauen der Euro-Bürger in die EZB als

Garant für eine stabile Währung vollends schwindet.

Entscheidend ist es deshalb, dass die Politik endlich ihrer

Verantwortung gerecht wird: Wichtiger als jede neue

Liquiditätsspritze ist jetzt die Reparatur des Finanzsystems,

wichtiger als weiter sinkende Renditen sind Strukturreformen,

wichtiger als eine schwächere Währung sind solide Finanzen. Und wenn

es doch eines Impulses für die Nachfrage bedarf, sind

zukunftsgerichtete Investitionen nun sicher das bessere Mittel als

mehr billiges Geld. Also: Berlin, Paris, Brüssel - übernehmen Sie!

Leider aber schwindet mit jeder neuen EZB-Hilfe der Reformeifer - da

kann Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) noch so vehement das

Gegenteil einfordern.

Die andere große Gefahr schließlich ist, dass Staaten ihr Heil

noch mehr in Schulden suchen. Draghi mag da noch so auf Distanz zur

Fiskalpolitik gehen - die Kommentare aus vielen Hauptstädten sind

entlarvend: Viele sähen die EZB gerne in der Rolle eines ultimativen

Kreditgebers. Und die EZB wird sich solchen Begehrlichkeiten immer

weniger entziehen können.

Ein Problem dabei hat die EZB nun ein wenig umschifft. Den

Großteil der Käufe tätigen die nationalen Zentralbanken auf eigenes

Risiko. Das kommt nicht zuletzt deutschen Sorgen vor einer

Umverteilung fiskalischer Risiken über die EZB-Bilanz entgegen - also

quasi vor "Eurobonds durch die Hintertür". Aber zum einen kommt es

eben doch zu einem kleinen Teil zu einer solchen Vergemeinschaftung

und zum anderen lässt sich hinterfragen, was diese Lösung am Ende

wert ist, wenn es zu einem Zahlungsausfall kommt. Und schließlich ist

das Ausdruck mangelnder Einigkeit. Bedenken über einen ersten Schritt

zur Renationalisierung der Geldpolitik sind nicht von der Hand zu

wiesen.

Der Kern der Malaise

Das führt letztlich zum Kern der Malaise: Die EZB muss immer

wieder als Ausputzer der Handlungsunfähigkeit und -unwilligkeit der

Politik herhalten und Konstruktionsschwächen der Eurozone kaschieren.

Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Welche Währungsunion wollen wir

wirklich? Wie sehr sind wir bereit, füreinander einzustehen? Die

Politik hat aktuell wenig Appetit, solche zentralen Fragen zu stellen

- und schon gar nicht, sie zu beantworten. Aber das ist essenziell

für die Zukunft der Währungsunion. Es ist Aufgabe der demokratisch

legitimierten Politik, solche Antworten zu geben - und nicht die der

Notenbank.

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Telefon: 069--2732-0

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