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Bankenkrise geht weiter 22.09.2013 03:00:01

Ökonom Hellwig: Banken zocken, Steuerzahler blecht

von Wolfgang Ehrensberger, Euro am Sonntag

€uro am Sonntag: In Ihrem Buch erklären Sie die Finanzmarktregulierung für gescheitert. Steuern wir auf eine neue Krise zu?
Martin Hellwig:
Derzeit sind die Banken noch vorsichtig, auch weil sie noch so viele Leichen im Keller abzuarbeiten haben. Wenn man aber Geschichten etwa über den sogenannten „Londoner Wal“ hört, der der UBS Milliardenverluste eingebrockt hat, fragt man sich: Sind wirklich alle so vorsichtig? Spätestens beim nächsten Boom bieten die neuen Regeln keinen wirksamen Schutz gegen eine Neuauflage der Lehman-Pleite. Lehman kann sich dann jederzeit wiederholen.

Gleichzeitig ächzen die Banken unter einem immer engeren Regulierungskorsett. Was läuft schief?
Nach 2008 haben wir weder in Europa noch in den USA wirklich ein großes Aufräumen gehabt bei den Banken — anders als es etwa die Schweden 1992 gemacht haben. Sie haben die Banken verstaatlicht, die Vermögenswerte genau aussortiert und dann die unbelasteten Banken wieder privatisiert. Im Gegensatz dazu haben wir beispielsweise in Deutschland mit Ausnahme der WestLB alle kritischen Banken erhalten — mit der Folge, dass es noch immer zu viele Überkapazitäten gibt, als dass eine Bank verlässlich Geld verdienen kann. Deshalb müssen die Institute auch immer wieder zocken, um zu überleben.

Wo liegen die größten Risiken?
Zunächst bei Banken in Ländern, in denen es Immobilienblasen gegeben hat, also beispielsweise in Spanien. Offiziell haben die spanischen Banken heute einen Abschreibungs­bedarf von 65 Milliarden Euro. Es gibt Schätzungen, die auf das Zwei- bis Vierfache kommen.

Und in Deutschland?
Die deutschen Banken sind mit 98 Milliarden Euro bei Schiffsfinanzierungen dabei, zum Teil mit sehr großen Einzelengagements. Das betrifft insbesondere die HSH Nordbank mit 26 Milliarden Euro und die Commerzbank mit 19 Milliarden Euro. Die Seeschifffahrt ist in der Krise, und die Banken reden sich diese Krise schön.

Die HSH Nordbank bestreitet doch nicht die Krise und sie fährt die Schiffsfinanzierung herunter und sagt, sie habe für Ausfälle ausreichend Vorsorge getroffen.
HSH Nordbank hat ein Schiffsfinanzierungs-Portfolio von 26 Milliarden Euro. Darauf hat die Bank tatsächlich sehr wenig abgeschrieben. Gleichzeitig beträgt das Eigenkapital gerade mal fünf Milliarden Euro. Wenn man sich vor Augen führt, dass Lloyds Schiffskredite mit 50 Prozent Abschlag verkauft, dann muss man sich überlegen, ob HSH Nordbank nicht überschuldet ist — selbst mit den Staatsgarantien.

Haben Sie für die Commerzbank ähnliche Perspektiven?
Die Commerzbank ist zwar insgesamt größer als die HSH Nordbank und hat mehr Eigenkapital. Nur hat diese Bank in den letzten zwei Jahren ihr Eigenkapital an die Grenze des Zulässigen gebracht, um die Staatshilfe abzulösen. Die dafür erforderlichen Eigenkapitalerhöhungen haben die Aktionäre so sehr belastet, dass es schwer sein wird, noch einmal an den Markt zu gehen. Die Commerzbank ist darauf angewiesen, dass es keine neuen Schocks gibt und dass sie mit viel Geduld über die Zeit die Überschüsse erwirtschaftet, die nötig sind, um die Abschreibungen nicht nur bei Schiffskrediten, sondern auch im Immobilienbereich zu bewältigen.

Die deutsche Finanzaufsicht bescheinigt den Banken eine deutlich bessere Kapitaldecke als vor der Krise. Sehen Sie keine Fortschritte?
Da möchte ich einen Satz von Martin Wolf in der „Financial Times“ zitieren: „Wenn man eine Zahl Nahe null nimmt und sie mit drei multipliziert, ist das Ergebnis immer noch nicht sehr groß.“

Was meinen Sie konkret?
Verdreifacht wurde die Relation des Eigenkapitals zu den risikogewichteten Anlagen. Die Banken haben da­rauf reagiert, indem sie ihr Risiko­gewichtsmanagement „optimieren“. Mit der Folge, dass das Eigenkapital relativ zur Bilanzsumme nicht wesentlich angestiegen ist. Vor der Krise redeten wir über ein Eigenkapital von ein bis drei Prozent der Bilanzsumme bei den großen Banken. In diesem Frühjahr hat alle Welt gestaunt, als die Deutsche Bank ihre Eigenkapitalquote mit einer Aktienemission von 2,5 auf drei Prozent ihrer gesamten Anlagen hochgebracht hat. Mit anderen Worten: Dieses Haus finanziert immer noch 97 Prozent seiner Anlagen mit Schulden. Das ist ziemlich genau die Quote, die Lehman Brothers vor dem Zusammenbruch hatte.

Um Banken nachhaltig zu stabilisieren, fordern Sie Eigenkapitalquoten von 20 bis 30 Prozent. Wie soll das praktisch gehen, wenn die Deutsche Bank schon drei Prozent nur mit einem Kraftakt hinkriegt?
Wenn die Banken profitabel sind, könnten sie diese Kapitalbasis ohne Weiteres in wenigen Jahren aus ihrem Gewinn heraus aufbauen. Das Problem ist: Wir haben zu wenig Banken, die profitabel sind. Das heißt: Der Finanzsektor in Europa und weltweit muss erst einmal schrumpfen.

Ihr Fazit für die deutsche Bankenlandschaft?
Wir haben in Deutschland enorme Überkapazitäten, auch weil es aufgrund der Sonderstellung der Landesbanken und aufgrund der Staatshilfen keine Marktbereinigung gegeben hat. Solange diese Überkapazitäten nicht bereinigt sind, so lange müssen wir damit rechnen, dass weiter gezockt wird und dass am Ende der Steuerzahler erneut für Milliardenverluste aufkommen muss. 

zur Person:

Martin Hellwig
Der gebürtige Düsseldorfer, Jahrgang 1949, war von 2000 bis 2004 Chef der Monopolkommission, seit 2004 ist er Direktor am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn. Außerdem leitet Hellwig den wissenschaft­lichen Beirat im EU-Systemrisiko-Rat. Ende September erscheint sein Buch „Des Bankers neue Kleider – was bei Banken wirklich schief­läuft und was sich ändern muss".

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