12.03.2017 10:30:00
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Ökonom Djuricin: Serbiens Wirtschaft blutet aus vielen Wunden
Serbiens Wirtschaft hänge in einer ewigen Übergangsphase fest, sagte Djuricin im Gespräch mit der APA. Durch die geopolitische Krise in den 1990er-Jahren und wirtschaftspolitische Fehleinschätzungen zu Beginn dieses Jahrhunderts sei die Industrieproduktion um 60 Prozent gefallen und der Beitrag der Industrie zur gesamten Wirtschaftsleistung von 31 auf 15 Prozent gesunken. Waren früher in der serbischen Industrie noch mehr als eine Million Menschen beschäftigt, so sind es heute nur noch 170.000.
Trotz ermutigender Anzeichen in jüngerer Zeit sei die Gefahr, dass die Wirtschaft in der Rezession verharrt, noch nicht entschärft. Über dem Land hänge permanent das Damoklesschwert einer Insolvenz. Die letzte Nahtod-Erfahrung dieser Art habe Serbien 2013 überlebt: Nach Einschätzung des Finanzministeriums sei das Land damals nur 87 Tage von der Zahlungsunfähigkeit entfernt gewesen. "Um der drohenden Pleite zu entgehen, hat man jahrelang immer mehr Schulden aufgenommen. So ein politischer Pragmatismus ist aber nicht wirtschaftlich nachhaltig", sagt Djuricin. Serbiens Verschuldung sei mit 74 Prozent des BIP nicht besonders hoch, "aber wir haben eine impotente Wirtschaft. Man kann sich verschulden, aber nur, wenn man dadurch das Wachstum der Wirtschaft und die Produktion ankurbelt. "Es ist aber unethisch, die Zukunft kommender Generationen zu opfern, indem man die Fehler der Gegenwart auf diese Weise korrigiert."
Zu den "blutenden Wunden", die die serbische Wirtschaft schwächen, gehören laut Djuricin vor allem die laufenden Subventionen an mehr als 500 staatliche Verlustbetriebe und die Finanzierung der Pensionen aus dem Staatsbudget. Viele Ökonomen - auch er selbst - würden sich dafür aussprechen, solche Verlustbetriebe lieber in die Pleite zu schicken statt wie bisher "tote Pferde zu satteln". "Diese Unternehmen werden schon seit mehr als 20 Jahren restrukturiert, Serbien hat 1991 mit den Privatisierungen begonnen."
Ein gigantisches Problem sei auch das Pensionssystem, sagte Djuricin. Die laufenden Pensionsbeiträge würden nicht ausreichen, die Pensionen zu finanzieren, es seien daher ständig Zuschüsse aus dem Budget notwendig. "Serbien hat eine der ältesten Bevölkerungen der Welt, das Durchschnittsalter beträgt 42,2 Jahre. Dazu kommt eine Geburtenrate von nur 1,4 Kindern pro Frau, notwendig wären aber eine Rate von mindestens 2,17 Kindern, damit die Bevölkerung nicht schrumpft." Auch die Finanzierung des Gesundheits- und des Bildungssystems sei gefährdet, aber besonders gefährlich für Serbien sei die Tatsache, "dass die Pensionisten zwar für die Politik relevant sind, aber nicht für die Wirtschaft".
Der prominente Ökonom sieht zwar ermutigende Zeichen für Serbiens Zukunft, doch an jeder positiven Kennzahl hängt auch ein "Aber". Das Land habe nun zwei Jahre lang ein positives Wirtschaftswachstum gehabt - aber 2016 habe man erst wieder das BIP-Niveau des Jahres 2008 erreicht. Die öffentliche Verschuldung und die Auslandsschulden seien rückläufig, aber gemessen an der geringen wirtschaftlichen Produktivität noch immer zu hoch. Die ausländischen Direktinvestitionen seien volatil und nicht hoch genug, um ein dynamisches Wirtschaftswachstum zu generieren. Der Anteil der faulen Kredite sei im Vorjahr zwar von 21 auf 19,5 Prozent gesunken, das sei aber zu langsam und die Stabilität des Finanzsystems sei nach wie vor gefährdet.
Die Fortschritte in der Exportwirtschaft seien unübersehbar, der Anteil der Ausfuhren am BIP betrage 35 Prozent, aber für ein nachhaltiges Wachstum wären mindestens 50 Prozent notwendig. Die soziale Ungleichheit sei in der Transformationsphase gewachsen und wegen der restriktiven Budgetpolitik habe die Entwicklung der Löhne in den letzten vier Jahren nicht mit dem Wirtschaftswachstum Schritt halten können. Das Einkommensniveau sei in Serbien deutlich niedriger als in den zentraleuropäischen Ländern und es gebe keine Annäherung an des EU-Niveau - dafür wäre bis 2030 ein jährliches Wirtschaftswachstum von 6 Prozent notwendig, sagt Djuricin - das sei aber fast unmöglich, was auch die Integration des Landes in die EU verzögern könnte.
Die EU sei für Serbien ein "bewegliches Ziel", weil sie selbst ernste Probleme habe. "Es gibt Intellektuelle, Politiker und Länder, die das Gefühl haben, von dieser Plattform nicht mehr profitieren zu können."
Dragan Djuricin ist ordentlicher Professor für strategisches Management und strategische Finanzen an der Universität Belgrad und befasst sich insbesondere mit den Volkswirtschaften der Transformationsländer in Mittel- und Osteuropa. Darüber hinaus ist er für den Beratungskonzern Deloitte in Serbien als Non-Executive Chairman tätig.
(Schluss) ivn/ggr
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