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07.08.2015 22:42:37

Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Flüchtlingsklassen zu Schulbeginn Unterricht als Privileg FLORIAN PFITZNER, DÜSSELDORF

Bielefeld (ots) - Unbehagen herrscht in diesen Tagen bei einigen Schülern in Nordrhein-Westfalen. So schön die Sommerferien verlaufen sind, so schnell gingen sie mal wieder vorbei. Schon bald steht der erste Vokabeltest an, die erste Mathearbeit. Wer mag schon daran denken, wenn man zuallererst mal den alten Schlafrhythmus in Gang setzen muss? Sowieso lässt der Schaffensdrang so kurz nach dem Urlaub häufig zu wünschen übrig - der Rückkehrer-Blues. Missstimmung, mitunter sogar ein Anflug von Angst steigt derzeit auch bei manchen Eltern schulpflichtiger Kinder empor. In diesem Sommer nicht vorrangig wegen der verkürzten Gymnasialzeit ("Turbo-Abitur") und des damit verbundenen erhöhten Leistungsdrucks, der auf ihren Töchtern und Söhnen lastet. Ebenso stehen die Ungereimtheiten rund um den inklusiven Unterricht momentan eher in der zweiten Reihe des allgemeinen Interesses. Stattdessen denken viele Mütter und Väter über die Auswirkungen der landesweiten Flüchtlingsaufnahme auf den Schulalltag nach. Ungefähr 40 Schulturnhallen nutzt NRW zurzeit als Notunterkünfte, laut Schulministerin Sylvia Löhrmann soll das die "absolute Ausnahme" sein. Eine vierzigfache "absolute Ausnahme", ließe sich bissig einwenden. Ostwestfalen-Lippe bietet hilfesuchenden Menschen in sechs Hallen eine vorübergehende Bleibe. Faktisch steht der Unterricht damit unter dem Einfluss der zuletzt oft zitierten kleinen Völkerwanderung. Niemand kann darin einen Idealzustand sehen. Obwohl einige Bedenkenträger bei nahezu jeder Gelegenheit auf die angespannte Lage hinweisen, taugt der Umstand jedoch weder für Fatalismus noch für Dramatisierungen. Um sich das Verhältnis vor Augen zu führen, lohnt etwa ein Blick auf Bochum: Die Ruhrgebietsstadt zählt rund um ihre Schulen allein 39 Turnhallen. Die Zahl der belegten Sportsäle ist also verhältnismäßig gering. Übrigens wie die Zahl der Flüchtlingskinder (10.000). Angesichts von 2,5 Millionen Schülern in NRW sind Vorbereitungs- und Auffangklassen eher Einzelerscheinungen. Im ländlichen Raum sollen die Kinder voraussichtlich direkt in reguläre Klassen gehen. Womöglich gelingt die Integration so noch etwas zügiger. Wer es ernst meint mit dem beinahe schon überstrapazierten Wort der "Willkommenskultur", sollte sich ein Beispiel an den fast sechzig ehemaligen Lehrern nehmen, die dem Schulministerium in dieser Woche ihre Hilfe angeboten haben. Sie haben verstanden, worum es geht. Derweil muss sich die rot-grüne Landesregierung mit einiger Berechtigung den Vorwurf gefallen lassen, etwas spät auf die Herausforderungen reagiert zu haben. Wer die Entwicklungen in den Kriegs- und Konfliktregionen der Welt verfolgt hat, konnte sich ziemlich leicht ausrechnen, welchen außergewöhnlichen Aufwand Europa und die Bundesrepublik nun leisten müssen. Angst ist in dem Zusammenhang jedenfalls ein schlechter Ratgeber. Und auch das übliche Unbehagen der Schüler in NRW schwächt sich mit Blick auf die Flüchtlingskinder schnell ab. Sie dürften den Schulbesuch vielfach kaum als leidige Pflicht ansehen, sondern als Privileg. Allein in Syrien wurden durch den Krieg bisher 4.500 Schulen zerstört.

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