30.12.2015 22:32:37
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Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar 2016 kann ein gutes neues Jahr werden Pioniergeist statt Kleinmut THOMAS SEIM
Bielefeld (ots) - Hinter uns liegt ein großartiges Jahr, denn
hinter uns liegt - anders als vor hundert Jahren - ein Jahr ohne
Krieg in Mitteleuropa. Vor uns liegt eine Zukunft mit großen
Möglichkeiten. Sicher sein können wir uns der guten Entwicklung
allerdings nicht. Es erfordert schon unser Engagement und die
Bereitschaft, sich den wichtigen und relevanten Zukunftsfragen zu
öffnen und die Verantwortung für die Gestaltung der Zukunft zu
übernehmen. Das größte Risiko für ein erfolgreiches Jahr 2016 ist der
Einzug des Sankt-Florian-Prinzips in den Alltag und die Politik -
nach dem Motto "Verschon' mein Haus, zünd' and're an". Es reicht
nicht, die Willkommenskultur für Flüchtlinge nur dann zu leben, wenn
es um die Ausgabe von Lebensmitteln und Kleidung in Auffanglagern
geht, sie aber in Zweifel zu ziehen, wenn der Bau eines
Flüchtlingsheims an der eigenen Grundstücksgrenze geplant wird. Es
reicht auch nicht, den Charme unserer Landschaften und Städte zu
preisen und Gäste aus aller Welt zur Bewunderung zu uns zu rufen,
zugleich aber einzigartigen Events auf der Weltbühne den Platz zu
verweigern - sei es aus Angst um die Sicherheit oder aus Sorge um
finanzielle Risiken. Es reicht schließlich nicht, die Weltlage aus
dem sicheren Vorgarten heraus mehr oder weniger klug zu beurteilen.
Wir werden mehr einbringen müssen, wenn wir die sicheren Verhältnisse
in 2015 auch für 2016 reklamieren wollen. Man kann dies alles auch
konkret benennen: In der derzeit weltweit attraktivsten Metropole
Berlin - aber nicht nur dort - werden dringend erforderliche
Neubaugebiete für Neubürger stets von Einwänden derjenigen
verhindert, die um den Wert ihrer Immobilie fürchten oder ein
generelles Ressentiment gegen Zuwachs in nächster Umgebung haben. Die
Schrebergartenkolonie "Oeynhausen" in Berlin-Charlottenburg etwa
sollte mehreren hundert Wohnungen weichen. Ein Bürgerentscheid
stoppte die dringend benötigte Wohnraumbeschaffung. Am gleichen Tag
legte ein Bürgerentscheid auch die Bebauung des ausgemusterten
Flughafens Tempelhofer Feld lahm. Natürlich haben die besitzenden
Bürger berechtigte Interessen, die zu berücksichtigen sind. Natürlich
sind Bürgerbegehren eine demokratische Errungenschaft. Aber diese
Bürger haben auch eine Verantwortung für die Weiterentwicklung der
Gesellschaft. Dazu ist ein fairer Ausgleich nötig. Das Ergebnis
dieses Ausgleichs darf nicht per Blockade jeden Fortschritt unmöglich
machen. Oder: Hamburg, dieses wunderbare Tor zur Welt, wird von den
eigenen Bürgern der Lächerlichkeit preisgegeben, weil man Olympische
Spiele für zu teuer und angesichts der aktuellen Flüchtlingslage für
zu unsicher hält. Zu teuer? Zu unsicher? Sind das die Leitfragen, die
man sich stellen und mit Ja beantworten darf, wenn man auch künftig
Weltstadt bleiben will? Kleinmut hat Hamburg nicht zur erfolgreichen
Hansemetropole gemacht. Das waren Risikobereitschaft und Pioniergeist
eines mutigen Weltbürgertums. Columbus hätte jedenfalls mit Kleinmut
und Kostenfurcht Amerika kaum entdeckt. Oder, mit Verlaub, etwas ganz
anderes, vermeintlich weiter Entferntes: Der Einsatz der Bundeswehr
vor Syrien und die Entsendung von Awacs-Luftüberwachung in die Türkei
folgen einer veränderten und sich rapide weiter verändernden Macht-
und Weltordnung. Putins Kurs der militärischen Stärke macht ihn in
Syrien und im Türkeikonflikt zum gefährlichen Repräsentanten
russischer Macht, auf den man wieder achten muss. Zugleich ziehen
sich die USA spürbar aus dem Konfliktmanagement in Nahost und
Südost-Europa zurück und konzentrieren sich auf den Pazifik.
US-Präsident Obama hatte dies übrigens bereits vor seiner in
Deutschland bejubelten Wahl angekündigt. Wer füllt nun das dort
entstehende Vakuum, wenn die USA als Ordnungsmacht ausfallen? Gefüllt
wird es so oder so. Europa - und damit auch Deutschland - wird sich
dort verantwortlich kümmern müssen, will man das Feld nicht Putin
oder dem Chaos überlassen. Dies auch deshalb - so schließt sich der
Kreis - weil ohne eine europäische Antwort auf Krieg und Krisen in
Nahost eine Entspannung der Flüchtlingssituation in der
Bundesrepublik kaum zu erreichen sein wird. Das ist der Sinn einer
EU. Vor uns liegt also ein wichtiges Jahr. Es hält großartige Chancen
für uns alle bereit. Sankt Florian wird uns allerdings nicht dabei
helfen, sie zu nutzen. Pioniergeist schon eher.
OTS: Neue Westfälische (Bielefeld) newsroom: http://www.presseportal.de/nr/65487 newsroom via RSS: http://www.presseportal.de/rss/pm_65487.rss2
Pressekontakt: Neue Westfälische News Desk Telefon: 0521 555 271 nachrichten@neue-westfaelische.de
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