06.08.2017 20:27:59

Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zur Rolle Weils in der VW-Affäre

Regensburg (ots) - In Niedersachsen gibt es ein Sprichwort: Wenn Volkswagen einen Schnupfen hat, dann hat das Land eine Lungenentzündung. Die Verflechtungen zwischen Europas größtem Autobauer und der Landespolitik gehen Jahrzehnte, im Grunde in die Gründungszeit des Unternehmens durch die Nationalsozialisten zurück. Hitler wollte mit einem Volkswagen für 1000 Reichsmark die Volksgenossen bei der Stange halten und ließ deshalb das Werk am Mittellandkanal errichten. Bald jedoch wurden dort nur noch Kübelwagen für die Wehrmacht produziert. Der bis in die 60er Jahre hinein erfolgreiche VW Käfer geht auf eine Entwicklung von Ferdinand Porsche zurück, der sich Hitler andiente. Unter dem VW-Patriarchen Heinrich Nordhoff feierte das lange Zeit landeseigene Unternehmen in den Jahren des Wirtschaftswunders zwar große Erfolge, doch es wurden auch Entwicklungen auf dem Weltmarkt verschlafen. Erst mit dem neuen Golf gelang Mitte der 70er Jahre eine Trendwende. Zuvor bereits sicherte das VW-Gesetz dem Land Niedersachsen, das über eine 20-prozentige Minderheitsbeteiligung an der Volkswagen AG verfügt, dass keiner der Anteilseigner mehr als 20 Prozent der Stimmrechte ausüben darf. Der wechselseitige Einfluss von VW und Regierung in Hannover - heute muss man sagen die Verfilzung beider Seiten - ist strukturell angelegt, war und ist politisch gewollt. Seit Jahrzehnten gibt es ein Kartell von Volkswagen und Landesregierung. Und zwar egal, wer in Hannover regiert hat, ob CDU oder wie jetzt die SPD mit Rot-Grün. Doch die Nähe der Politik zur Autoindustrie und umgekehrt ist beileibe nicht auf Niedersachsen beschränkt. Bayern liegen die Geschicke von BMW oder Audi ebenso am Herzen, wie sich Baden-Württemberg um Daimler oder Nordrhein-Westfalen um Ford kümmert. Die Konzernbosse finden zudem immer ein offenes Ohr im Kanzleramt, egal ob die Regierungschefs Helmut Kohl, Gerhard Schröder und jetzt Angela Merkel hießen. Dabei ist nicht die Frage, ob sich die Politik um die Interessen der Autobauer kümmert, die in beträchtlichem Maße Arbeitsplätze schaffen und zum Wohlstand beiträgt, sondern wie sie das tut. Der Dieselskandal hat gezeigt, dass die Kungelei in Hinterzimmern, dass lasche Kontrollen durch staatliche Behörden, wie etwa das Kraftfahrtbundesamt, die Abgasbetrügereien erheblich begünstigt haben. So wie Verkehrsminister Alexander Dobrindt, der sich eher als oberster Autolobbyist versteht, heikle Abgas-Prüfberichte vorab mit den Autokonzernen abstimmte, so hat der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil seine Regierungserklärung zum VW-Skandal vom Oktober 2015 zum Konzern nach Wolfsburg geschickt. Dort wurde sie an wichtigen Stellen kräftig weichgespült. Die jetzige Empörung darüber, dass sich der SPD-Regierungschef von Niedersachsen seine Landtagsrede von Volkswagen redigieren ließ, ist berechtigt. Hier machte sich der Bock zum Gärtner. Zugleich steckt hinter der jetzigen Attacke gegen Weil auch eine große Portion Scheinheiligkeit sowie Wahlkampfkalkül. Nicht nur Weil, sondern auch der Kanzlerinnen-Herausforder Martin Schulz und die SPD sollen möglichst klein gehalten werden. Der VW-Skandal verknüpft sich auf wundersame Weise mit dem derzeitigen politischen Ränkespiel in Hannover, dass durch eine verärgerte, abtrünnige Grünen-Abgeordnete ausgelöst wurde. Der Dieselskandal der deutschen Autoindustrie ist nur durch völlig Transparenz und die Übernahme der Verantwortung durch die Konzerne zu lösen, die politische Krise Niedersachsens nur durch baldige Neuwahlen.

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