06.08.2013 21:44:58

Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Gustl Mollath: Zurück zur Souveränität von Pascal Durain

Regensburg (ots) - Gustl Mollath ist frei. Das ist ein wichtiges Zeichen dafür, dass die Justiz bereit sein muss, Fehler zuzugeben.

Diese Nachricht überraschte nicht nur Gustl Mollath: Der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg hat den Beschluss des Landgerichts Regensburg aufgehoben - der 56-Jährige bekommt einen neuen Prozess, er wird mit sofortiger Wirkung aus der Psychiatrie entlassen. Ministerpräsident Horst Seehofer und Justizministerin Beate Merk fällt wenige Wochen vor der Landtagswahl ein Stein vom Herzen. Mollath ist wieder ein freier Mann. Vorerst. Er ist zwar obdach- und mittellos, doch seine Unterstützer, die diese Entscheidung für längst überfällig erachteten, werden ihn mit Jubel und knallenden Korken in Empfang nehmen. Das OLG hat entschieden, dass ein Attest, das Mollaths Gefährlichkeit belegen sollte, doch als "unechte Urkunde" im juristischen Sinne zu werten ist. Das sah die 7. Strafkammer in Regensburg vor einer Woche noch anders. Jetzt kommt es endlich dazu, worauf Mollath und die Öffentlichkeit gewartet haben: Der Nürnberger bekommt einen neuen Prozess; alle Anschuldigungen wegen Schwarzgeldverschiebungen, aufgestochenen Reifen oder gefährlicher Körperverletzung werden neu aufgerollt. Die Richter aus Nürnberg haben mit dieser Entscheidung dem Rechtsstaat und den Strafverfolgungsbehörden einen großen Gefallen getan. Nicht weil Mollaths Freispruch damit feststeht, sondern weil die Robenträger endlich Klarheit darüber schaffen können, ob hier ein Unschuldiger festgehalten wird, der die Mächtigen erzürnte. Das Ansehen der Justiz wird so nicht weiter in Zweifel gezogen. Schaut man sich die Entscheidung des OLG genauer an, fällt auf, dass die Nürnberger genau so entschieden haben, wie es Strafrechtler wie der Regensburger Professor Henning Ernst Müller bereits nach dem Beschluss des Landgerichts gefordert beziehungsweise kritisiert haben. Das Attest taugt als Beweismittel einfach nicht, damit kann es nicht zulasten Mollaths gewertet werden. Kein Wort über die schweren und bewussten Verstöße des damaligen Vorsitzenden Richters, Otto Brixner. Er ließ Mollath hinter Gittern schmoren, ohne ihn anzuhören. Er rief bei den Finanzbehörden an, um zu erklären, dass man Mollath und seine Anschuldigungen nicht ernst nehmen müsse. Erneut entsteht so der Eindruck, dass es auch das OLG nicht wagte, Amtsanmaßungen und
überschreitungen eines Kollegen zu rügen. Zumindest öffentlich. Der Fall Mollath hat eines bewiesen: Auch die Gerichte und die Justiz machen Fehler. Das ist völlig normal. Ein Rechtssystem mit dem Anspruch, unfehlbar zu sein, kann es auch nur in Unrechtsstaaten geben. Schon deswegen ist der Fall Mollath kein Einzelfall. Doch gerade der Justiz fehlt eine Kultur, mit ihren eigenen Fehlern verantwortlich umzugehen. So gibt es zum Beispiel bis heute keine Statistik oder amtliche Zahlen über Fehlurteile und Falschverurteilungen. Ralf Eschelbach, Richter am Bundesgerichtshof, glaubt, dass jedes vierte Strafurteil ein Fehlurteil sei. Wirft man dann einen Blick auf die hohen Hürden des Wiederaufnahmerechts, manifestiert sich der Vorwurf, dass es Richtern schwerfällt, Konsequenzen aus dem eigenen Versagen zu ziehen oder gegen diejenigen vorzugehen, die Recht und Gesetz vertreten sollen. Gustl Mollath verdankt seine Freiheit vor allem seinem Glück. Glück, dass er Unterstützer hat, die nicht müde wurden, jedes noch so kleine Detail öffentlich zu machen. Das Glück, dass Medien diese Zustände aufgriffen und anprangerten. Und das Glück, dass die Regensburger Richter, die für Richter Brixner und gegen die Wiederaufnahme entschieden, nicht das letzte Wort in dieser Sache hatten. Das OLG hat den Fall einer anderen Kammer zugeteilt. Nun hat der 56-Jährige das bekommen, was er immer haben wollte: Die Chance auf einen fairen Prozess und einen Freispruch erster Klasse (erwiesene Unschuld). Ob Mollath tatsächlich frei von jeder Schuld ist, kann nur der Prozess zeigen - und die Richter können ihre Souveränität beweisen, die so lange vermisst wurde.

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