07.02.2016 21:42:11
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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Reinhard Zweigler zu AfD/Pegida
Regensburg (ots) - Nationalismus sei eine Kinderkrankheit,
sozusagen "die Masern der Menschheit", bemerkte Albert Einstein. Vor
100 Jahren bescherte der Nobelpreisträger der Menschheit nicht nur
die Relativitätstheorie, sondern lieferte im Laufe seines bewegten
Lebens auch viele Bonmots. Nationalisten und Chauvinisten, die ihr
Land, ihr Volk über andere erhoben, haben es dem genialen Physiker
einst unmöglich gemacht, in Deutschland zu bleiben. Sehr
wahrscheinlich, dass der Weltbürger und Demokrat Einstein heute vor
den Gefahren der neuen Nationalisten warnen würde, die sich unter dem
Motto, das Abendland vor dem Islam retten zu müssen, zusammenrotten.
Der größte Aufmarschort der Pegida in Deutschland ist das eigentlich
eher beschauliche und schöne Dresden. Doch nicht nur in der
sächsischen Landeshauptstadt formieren sich Bewegungen, die gegen die
Flüchtlingspolitik der Kanzlerin, gegen die massenhafte Aufnahme von
Kriegsflüchtlingen, gegen Zuwanderung und Fremde überhaupt auf die
Straße gehen. Die politische Kinderkrankheit hat auch in den anderen
Länder der EU Zulauf, in Frankreich, Großbritannien, Polen, Ungarn,
Dänemark. Und aus diesen Anti-Bewegungen entspringen zahlreiche,
zumeist rechtsgerichtete oder gar rechtsextreme Parteien. Sie sind
sozusagen der politische Gegenentwurf zu einem gemeinsamen Europa.
Sie blasen vielmehr zum Rückzug in die Festung der Nation, weg vom
Euro, weg von der EU. Zurück in die Zukunft. Diese Bewegungen und die
mit ihnen wechselseitig verfilzten Parteien sind Profiteure der Angst
vieler Menschen, der Angst vor Überfremdung, der Angst vor sozialem
und wirtschaftlichem Verlust, der Angst vor Verlust der nationalen
und vielleicht auch der kulturellen und religiösen Identität. Dass in
Deutschland bereits mehrere Millionen Muslime in der Regel ganz
normal leben und arbeiten, ohne dass die christlich abendländische
Kultur nennenswerten Schaden genommen hätte, interessiert die
Angstmacher und Hassprediger nicht weiter. Dass sich die Pegidas
innerhalb der EU nun stärker vernetzen wollen, ist insofern paradox:
man will sich zusammentun, um Europa wieder zu spalten. Aber ganz neu
ist das nicht. Längst arbeiten die Europaskeptiker von der britischen
UKIP bis zum französischen Front National Hand in Hand. Die
großspurig als "Alternative für Deutschland" vom Wirtschaftsprofessor
Bernd Lucke gegründete Partei war bis vor kurzem noch die schärfste
Kritikerin der Berliner und Brüsseler Euro-Politik. Inzwischen hat
sich die AfD des professoralen Überbaus entledigt und ist der
wichtigste politische Arm der Pegida in Deutschland geworden, gefolgt
von der weithin in die Bedeutungslosigkeit gefallenen rechtsextremen
NPD. Für beide ist die Flüchtlingskrise, genauer der derzeitige
heftige politische Streit um Begrenzung, Obergrenzen,
Familiennachzug, Finanzierung, Unterbringungen und Integration ein
wahrer Jungbrunnen. Alte, längst überwunden geglaubte
nationalistische bis offen chauvinistische und rassistische
Vorurteile feiern unfröhliche Urständ. Die Crux ist, dass die
billigen Parolen von AfD und Co. bei vielen "besorgten Bürgern", von
denen viele einfach nur Zweifel haben, ob wir das alles wirklich
schaffen können, auf fruchtbaren Boden fallen. Wirkliche Lösungen
haben die Rechtspopulisten aber nicht zu bieten. Außer Grenzen dicht
und notfalls Feuer frei! Leider bedeutet das jetzige Gezerre in der
Koalition um das zweite Asylpaket Wasser auf die Mühlen von Pegida,
AfD, NPD und Co. Eine Koalition, die sich in wichtigen Fragen nicht
einig ist, verstärkt nur noch den Eindruck: die da oben können es
nicht. Wer den Profiteuren der Angst wirklich das Wasser abgraben
will, der muss entschlossen und geschlossen, konkret und langfristig
das Flüchtlingsproblem lösen. Oder um es mit Einstein zu halten,
gegen Masern ist ein Kraut gewachsen.
OTS: Mittelbayerische Zeitung newsroom: http://www.presseportal.de/nr/62544 newsroom via RSS: http://www.presseportal.de/rss/pm_62544.rss2
Pressekontakt: Mittelbayerische Zeitung Redaktion Telefon: +49 941 / 207 6023 nachrichten@mittelbayerische.de
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