07.08.2017 22:37:56
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Mittelbayerische Zeitung: "Italien driftet ab" / Ein Kommentar der Mittelbayerischen Zeitung zur Flüchtlingsrettung im Mittelmeer.
Regensburg (ots) - Das Parlament in Rom hat vergangene Woche einen
Militäreinsatz vor der Küste Libyens beschlossen. Die italienische
Marine soll die libysche Küstenwache bei der Rückführung von
Flüchtlingsbooten ans Festland unterstützen. Seit einigen Tagen
werden auch die privaten Hilfsorganisationen, die im Mittelmeer im
Einsatz sind, mit einem Verhaltenskodex an die Kandare genommen.
Damit soll nicht nur illegale Zusammenarbeit mit den Schleppern
unterbunden werden. Italiens Mitte-Links-Regierung will zeigen, dass
sie die Vorwürfe, bei den Schiffen der NGOs handele es sich in
Wirklichkeit um Wassertaxis für Flüchtlinge, die den Schleppern die
Arbeit erleichtern, ernst nimmt. Auslöser für die härtere Gangart
Italiens ist nicht etwa die Zunahme der Überfahrten. Bis Anfang
August 2017 kamen etwa 95 000 Flüchtlinge über das Mittelmeer nach
Italien. Das sind etwas weniger als im selben Zeitraum des Vorjahres.
Der italienische Aktionismus hat andere Gründe, die die europäischen
Nachbarn nicht unterschätzen sollten. Da ist zum einen der wachsende
Unmut in der Bevölkerung. Dieser richtet sich gegen den zwar nicht
steigenden, aber auch nicht abreißenden Zustrom von Immigranten, die
nach Italien kommen. Die Europäische Union mit ihren gut 500
Millionen Einwohnern wäre mit knapp 200 000 pro Jahr aus Libyen
kommenden Flüchtlingen gewiss nicht überfordert. Immer mehr Italiener
aber empfinden die staatlich finanzierte Unterbringung von
Immigranten als ungerecht, angesichts der eigenen prekären
Lebenssituation. In diese Wunde streuen Populisten zusätzliches Salz.
Es ist dieser Mix, der letztendlich nicht nur für Italien, sondern
auch für die gesamte EU zum Problem werden kann. Denn sollten bei den
italienischen Parlamentswahlen, die voraussichtlich im kommenden
Frühjahr stattfinden, Populisten wie die 5-Sterne-Bewegung oder die
dezidiert fremdenfeindliche Lega Nord als Sieger hervorgehen, müssen
sich letztendlich Brüssel und Berlin den damit aufkommenden
Pro-blemen stellen. Diese gingen über die Flüchtlingsthematik hinaus.
Lega Nord und 5-Sterne-Bewegung liebäugeln auch mit dem Abschied vom
Euro. Es ist politisch kurzsichtig, Italien in der Flüchtlingsfrage
allein zu lassen. Die Maßnahmen, die Rom in Folge seiner Isolation
getroffen hat, sind Zeugnisse der Hilflosigkeit. Der Marineeinsatz,
bei dem zwei Militärschiffe vor Libyen kreuzen sollen, hat eher den
Charakter einer Imagekampagne. Eine effektive Kooperation mit der
bislang unzuverlässigen Küstenwache Libyens, die teilweise selbst mit
den Menschenhändlern unter einer Decke steckt, ist kaum vorstellbar.
Die Einführung eines Verhaltenskodex' für die Hilfsorganisationen im
Mittelmeer hat zur Folge, dass deren Wirken erschwert ist. Die
NGO-Schiffe, die bislang für etwa 40 Prozent aller Seenotrettungen
vor Libyen verantwortlich waren, müssen künftig die Flüchtlinge
selbst in den Häfen abliefern und können angesichts dieses Aufwands
weniger Menschen retten. Die italienische Regierung reicht damit den
Druck an das nächst schwächere Glied in der Kette weiter, an die in
die Kritik geratenen Hilfsorganisationen. Noch 2013 war es Italien
selbst, das mit der Hilfsmission Mare Nostrum Flüchtlinge in Seenot
rettete. Auf Druck der EU musste Rom Mare Nostrum beenden. Das
Grundproblem, wie Europa der unkontrollierten Zuwanderung aus Afrika
Herr werden kann, harrt weiter einer Lösung. Die EU bleibt passiv,
ohne an glaubwürdigen Lösungen zu arbeiten. Diese sind bekannt,
politisch aber unpopulär und nur schwer zu verwirklichen. Statt
kompletter Abschottung müssten legale Aufnahmeverfahren gefördert,
Asylanträge so schnell wie möglich bearbeitet und Rückführungen rasch
und effizient gemacht werden. Solange keiner dieser Mechanismen in
Gang kommt, driftet Italien weiter ab. Europa sieht dem politischen
Kollaps tatenlos zu.
OTS: Mittelbayerische Zeitung newsroom: http://www.presseportal.de/nr/62544 newsroom via RSS: http://www.presseportal.de/rss/pm_62544.rss2
Pressekontakt: Mittelbayerische Zeitung Redaktion Telefon: +49 941 / 207 6023 nachrichten@mittelbayerische.de
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