01.05.2015 20:57:38
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Mittelbayerische Zeitung: Ein Plädoyer für die "Lügenpresse" / Pressefreiheit geht jeden an, der in einer freien Gesellschaft leben will. Leitartikel von Christian Kucznierz
Regensburg (ots) - Eigentlich müsste "Lügenpresse" nicht das
Unwort, sondern Wort des Jahres sein. Nicht, weil der Vorwurf etwa
berechtigt wäre, dass "die Medien" in ihrer Kollektivität Lügen
verbreiten würden. Nein, das tun wir nicht, alleine schon deswegen
nicht, weil es "die Medien" ebenso wenig gibt wie "die Presse". Wer
aber glaubt, Medien verbreiteten Lügen, glaubt auch, er sei im Besitz
der eigentlichen Wahrheit. Und diesen Glauben kann es nur geben, wenn
es mehr als ein Medium gibt, aus dem er sich informieren kann.
Pluralität der Meinungen und der Möglichkeiten, sich zu informieren,
gibt es nur in funktionierenden Demokratien. Weil es dort
Pressefreiheit gibt. Wer also an eine "Lügenpresse" glaubt, erzählt
zwar Blödsinn, erkennt aber an, dass er in einer freiheitlichen
Gesellschaft lebt, in der seine Meinung genauso gehört wird, wie die
derjenigen, die er des Lügens bezichtigt. Die Freiheit der Presse ist
eben nichts Abstraktes. Im Gegenteil. Sie kann, im schlimmsten Fall,
sogar tödliche Folgen haben. Als die Redaktion des französischen
Satiremagazins "Charlie Hebdo" angegriffen wurde, starben dort
Menschen, weil sie sich für die freie Meinungsäußerung einsetzen, für
die Freiheit der Presse, auch eine Religion zu kritisieren, wenn in
ihrem Namen Gewalt verübt wird. Die weltweite Solidarität und der
allerorts gezeigte Slogan "Je suis Charlie" waren mehr als Ausdruck
der Trauer. Zu sagen "Ich bin Charlie" heißt auch zu sagen "Ich stehe
für das Recht auf freie Meinungsäußerung, für Pressefreiheit, gegen
Intoleranz und Zensur." Der Ukraine-Konflikt, der Europa seit über
einem Jahr in Atem hält, ist letztlich auch ein Krieg um die
Wahrheiten. Es gibt massive Widersprüche in der Darstellung zwischen
Ost und West, zwischen denen, die Russland wahlweise als Übeltäter
oder als Sündenbock sehen. Auch unser Haus, auch die Autoren des
Mittelbayerischen Verlags sind Ziel von verbalen Attacken geworden,
weil unsere Berichterstattung und unsere Kommentare angeblich die
Wahrheit verzerren. Aber auch hier gilt: Wer glaubt, im Besitz einer
Wahrheit zu sein, die andere verschweigen, beweist einmal mehr, dass
er in einer Gesellschaft lebt, die auch seine Wahrheit achtet und ihr
an irgendeiner Stelle eine Plattform bietet. Denn auch das ist
Presse- und Meinungsfreiheit in einer digitalisierten Welt: die
Tatsache, dass Medienhäuser nicht mehr alleiniger Torwächter von
Informationen sind. Jeder kann heute Blogs und Foren starten und dort
seine Meinungen und Informationen verbreiten. Jeder kann auf diese
Veröffentlichungen im Netz zugreifen. Ob er dort umfassend,
ausgewogen und fundiert informiert wird oder sich in einer Echokammer
seiner eigenen Vorstellungen von der Wahrheit wiederfindet, muss er
selbst entscheiden. Aber er kann es zumindest. Der Tag der
Pressefreiheit am 3. Mai ist vielleicht nicht mehr als ein weiterer
dieser Thementage, von denen meist nur die Betroffenen wissen. Das
Besondere ist, dass dieses spezielle Thema alle angeht. Weil es für
das Funktionieren von Demokratie essenziell ist, dass Whistleblower
aufdecken, zu was Geheimdienste imstande sind, dass Redaktionen
recherchieren, wer wo wann von wem etwas wusste und es nicht zugab,
obwohl er gefragt wurde. Es ist wichtig, dass Blogger auch den Medien
selbst auf die Finger schauen und kritisieren, wenn Fehler gemacht
wurden. Es ist notwendig, dass Redakteure das veröffentlichen, was
der Bürgermeister, Stadtrat oder Bundestagsabgeordnete nicht in der
Öffentlichkeit wiederfinden wollen. Wer also von einer "Lügenpresse"
sprechen möchte, der soll das tun. Er sollte sich überlegen, wie eine
Welt ohne freie Meinung, ohne freie Presse, ohne Pluralität aussieht.
Das ist gerade einmal 70 Jahre her. Und 26 Jahre.
OTS: Mittelbayerische Zeitung newsroom: http://www.presseportal.de/pm/62544 newsroom via RSS: http://www.presseportal.de/rss/pm_62544.rss2
Pressekontakt: Mittelbayerische Zeitung Redaktion Telefon: +49 941 / 207 6023 nachrichten@mittelbayerische.de
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