22.06.2018 22:23:44
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Mittelbayerische Zeitung: Das zerrissene Königreich Von Jochen Wittmann
Regensburg (ots) - Es war die größte demokratische Veranstaltung
seit einem Vierteljahrhundert. Mehr als 33,5 Millionen Briten gingen
am 23. Juni 2016 zu den Wahlurnen, um in einem Referendum über den
Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union
abzustimmen. Am Morgen danach verkündet David Dimbleby, das Urgestein
der BBC, das Ergebnis. "Das britische Volk hat gesprochen", sagte er,
"und die Antwort ist: Wir sind draußen." So knapp, aber auch
unstrittig das Ergebnis ausfiel, hinterließ das Referendum doch einen
Scherbenhaufen: ein zerrissenes Land. Ein Land, das nicht nur
gespalten ist zwischen den Altersgruppen, wo die Jungen mehrheitlich
für den EU-Verbleib und die Älteren eher für den Austritt gestimmt
haben. Gespalten auch zwischen den sozialen Klassen, wo gering
qualifizierte Lohngruppen im Brexit-Lager standen und besser
ausgebildete Bürger sich für die Europäische Union ausgesprochen
hatten. Und der Nationenverband Großbritannien bleibt auch
geographisch zerrissen. Drei große Regionen - London, Nordirland und
Schottland - wollten vom Brexit nichts wissen. Im Fall von Schottland
kann das noch ernste Konsequenzen haben, wenn der Unmut über den
Brexit zu einem zweiten Unabhängigkeitsreferendum führen sollte. Auch
in Nordirland werden jetzt die Rufe nach einem Referendum über eine
Wiedervereinigung mit Irland immer lauter. Die Premierministerin
Theresa May hat da keinen leichten Job. Die Kluft zwischen
EU-freundlichen Remainern und scheidungslustigen Leavern geht mitten
durch ihre Fraktion und ihr Kabinett. Es ist ein endloser Eiertanz,
den die Chefin der Konservativen Partei in Sachen Brexit aufführen
muss: Keine Seite darf sie zu sehr verprellen und keiner zu sehr
entgegenkommen. Das mag erklären, warum es geschlagene neun Monate
dauerte, bevor May im März 2017 offiziell das Austrittsverfahren nach
Artikel 50 des Lissabon-Vertrages einleitete. Auch danach ging es
nicht schneller. Erst im Dezember letzten Jahres konnte sie sich mit
der EU auf die Eckpunkte einer Austrittsvereinbarung verständigen.
Aber bis dato verhandelt die britische Regierung anstatt mit Brüssel
allein mit sich selbst, wie die künftige Marschrichtung aussehen
soll. Denn Mays Kabinett ist zerstritten darüber, welche Art von
Wirtschaftsmodell man ansteuern will. Zur Auswahl stehen da zwei
diametrale Positionen. Die Singapur-Option, wie sie Außenminister
Boris Johnson und Umweltminister Michael Gove anstreben und die auf
eine klare Abgrenzung zum Binnenmarkt setzt, würde auf eine
Volkswirtschaft hinauslaufen, die mit niedrigen Steuern und minimalen
Regularien punkten will. Das andere Modell, für das Schatzkanzler
Hammond streitet, plädiert dafür, dass sich Großbritannien möglichst
eng an der EU orientiert und nur eine geringe regulatorische
Divergenz zulässt. Es ist, wie gesagt, ein Eiertanz für Theresa May.
Für den EU-Gipfel in der nächsten Woche hat sie keine Antworten parat
auf die Frage, welche Handelsbeziehung sich das Königreich mit der EU
in Zukunft wünscht. Erst eine Kabinetts-Klausur auf Chequers, dem
Landsitz der Premierministerin, soll im Juli dann zu einem Weißbuch
für die Brexit-Strategie führen. Der Kampf, wohin die Reise gehen
soll, ob harter oder weicher Brexit, wird weitergehen, denn bei
dieser Debatte spiegelt sich, was die Konservative Partei schon seit
mehr als zwanzig Jahren innerlich zu zerreißen droht: der Streit
zwischen euroskeptischen Thatcheristen und pragmatischen
Konservativen. Für viele, gerade auf dem rechten Flügel der Partei,
geht es um eine ideologische Grundsatzfrage, bei der Kompromiss oder
Konsens ausgeschlossen ist. Das lässt einen um Großbritannien Zukunft
fürchten.
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