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11.09.2022 07:01:00

Lohnrunden verlangen heuer besonders große Kompromissfähigkeit

Am Montag in einer Woche (19. September) beginnen die Herbstlohnrunden mit den richtungsweisenden Metaller-KV-Verhandlungen. Die Vorzeichen sind krisen- und inflationsbedingt alles andere als einfach. "Der Kompromiss wird heuer auf beiden Seiten größer sein müssen als sonst", sagt Wifo-Ökonom Benjamin Bittschi im Gespräch mit der APA. "Denn auch die Vorstellungen zwischen den Arbeitnehmer- und den Arbeitgebervertretern gehen weiter auseinander als sonst."

Die Metaller-Arbeitnehmervertreter von der Gewerkschaft haben zwar noch keine konkrete Lohnforderung gestellt, urgieren aber einen "nachhaltigen Reallohnzuwachs". Das soll heißen, die Inflation muss mehr als abgegolten werden. Diese wird derzeit von der Gewerkschaft bei 6,3 Prozent gesehen. Die Arbeitgebervertreter hingegen haben schon wissen lassen, dass die Inflation aufgrund ihrer Höhe "nicht alleine von den Unternehmen" geschultert werden könne, es brauche einen "nationalen Schulterschluss".

"Es wird wahrscheinlich wirklich schwierig", sagt Bittschi. In der Rückschau, die eigentlich verhandelt wird, gibt es eine hohe Inflation und in der Vorausschau, die nicht draußen gelassen werden kann, herrschen große Unsicherheiten. Dass sich die Sozialpartner aber auch heuer zusammenraufen werden, hofft der Ökonom mit Verweis auf den Abschluss 2020 in auch sehr unsicheren Coronazeiten: "Das Beispiel 2020 bestärkt, dass es auch unter den aktuellen Umständen gelingt, die Lohnabschlüsse zu erzielen." Allerdings hatte es 2020 einen Abschluss genau in der Höhe der Inflation gegeben. Und das reicht den Arbeitnehmervertretern heuer nicht.

Es gebe aber immer Möglichkeiten, so Bittschi: "Prinzipiell könnte es ein Weg sein mit der hohen Inflation umzugehen, dass man untere Einkommensklassen stark erhöht und bei höheren eher Kompromisse eingeht", so der Ökonom. "Das wäre auch komplementär zu den Regierungsmaßnahmen, die in Summe sehr großzügig sind und wohlhabenden Schichten auch sehr zu Gute kommen." In diese Stoßrichtung interpretiert der Ökonom - er forscht am Wifo zu Arbeitsmarkt, Einkommen und soziale Sicherheit - jedenfalls auch die dieser Tage von ÖGB-Chef Wolfgang Katzian aufgestellte Forderung eines Mindestlohns von 2.000 Euro.

Aus der Sicht von Bittschi - und Vertretern weiterer renommierter Wirtschaftsforschungsinstitute - ist es bezogen auf den von den Arbeitgebern geforderten "nationalen Schulterschluss" nämlich ohnehin schon so weit, dass der Staat "überkompensiert". Gemeint sind hier die vielen verschiedenen Hilfen wegen Teuerung, der extrem hohen Energiekosten und etwa auch das Aus der Kalten Progression. Speziell auch Gutverdiener, ja sogar Zweitwohnsitzbesitzer, würden hier auch hohe Hilfen bekommen.

So geht das Wifo davon aus, dass es die Nettolöhne praktisch alleine wegen der staatlichen Zuschüsse kommendes Jahr um netto 5,3 Prozent (brutto: 1,3 Prozent) steigen. Nur 2016 sei seit Mitte der 1990er-Jahre ein annähernd hoher Wert erreicht worden - mit real plus 4,3 Prozent wegen einer großen Steuerreform, so der Ökonom. Wenn die Bruttolöhne nur geringfügig steigen ergibt sich eine Finanzierungsfrage für den Staat: Die Bruttolöhne zahlen die Pensionen und den Arbeitslosengeldanspruch. Wenn diese weniger ansteigen sinken diese Ansprüche, auch wenn es die Konsumnachfrage nicht beeinflusst, erläuterte der Fachmann. "Hier ergeben sich Schwierigkeiten bei der sozialen Absicherung, nicht direkt beim täglichen Bedarf."

Zur Brutto-Mindestlohnforderung von 2.000 Euro sagte Bittschi weiters, dass es ohnehin schon einige Branchen gibt, die mehr bezahlen. Das sind etwa die Metaller und die Mineralölindustrie. Die Elektroindustrie ist mit 1.940 Euro knapp dran. Aber: "Es gibt Branchen, da kann ich mir schwer vorstellen, dass es dort so starke Erhöhungen des Mindestlohns gibt", so der Ökonom. Er nannte hier etwa den Handel (1.600 Euro) oder die Gastronomie, die bei Hilfskräften mit 1.575 Euro startet.

Bittschi sagte auf Nachfrage, dass es besonders in Krisenzeiten gut sei, dass man sich beim heimischen sozialpartnerschaftlichen System jährlich trifft. Wirtschaftskammer und ÖGB handeln per anno rund 450 Kollektivverträge neu aus. Die Arbeitgeber würden oftmals gerne längere Abschlüsse erzielen.

(Das Gespräch führte Philip Stotter/APA)

phs/bel

APA

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