19.03.2015 21:31:05
|
Landeszeitung Lüneburg: Europa muss erwachsen werden / Sicherheitspolitischer Experte Dan Krause: Euroarmee taugt nur als Vision, aber sicherheitspolitische Kleinstaaterei hat keine Zukunft
Schon viele Politiker haben versucht, eine EU-Armee anzuschieben. Ist nun endlich die Zeit dafür gekommen?
Dan Krause: Nein, definitiv nicht. Ich glaube auch nicht, dass EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker eine Europa-Armee anschieben wollte. Es ging ihm wohl eher darum, das gegenwärtige Momentum zu nutzen. Durch die Tatsache, dass die Finanz- und Schuldenkrise etwas beherrschbarer erscheint und natürlich aufgrund der Ukraine-Krise wird in Europa erstmals seit Jahren wieder intensiver über Außen- und Verteidigungspolitik debattiert und im Juni steht ein "Verteidigungsgipfel" der Staats- und Regierungschefs an. Die Konzepte für eine bessere und effektivere Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik liegen schon seit Langem auf dem Tisch, sie werden allerdings nicht umgesetzt. Fehlender politischer Wille, die Weigerung, in diesem Bereich Souveränitätsrechte abzugeben, das Leugnen der Tatsache, dass die Zeiten nationaler Verteidigungspolitik für Klein- und Mittelmächte vorbei ist sowie das Trittbrettfahren im Bündnis mit den USA sind die wesentlichen Gründe. Nicht einmal große Nationen und Sicherheitsratsmitglieder wie Frankreich oder Großbritannien können die gesamte Bandbreite der Verteidigung rein national durchhaltefähig aufrechterhalten.
Europa befehligt mehr Soldaten als Washington ...
Krause: Es sind im Zuge der Reduzierungen jetzt etwa gleich viele, jeweils ca. 1,5 Millionen.
... kann aber nicht mal ansatzweise entsprechend ambitionierte Einsätze stemmen. Was läuft falsch?
Krause: Einiges! Während rund um Europa Krisenherde entstehen oder brennen und die "nicht-westliche" Welt aufrüstet, leisten wir uns 28 mittlere, kleine und kleinste Armeen, die unkoordiniert und haushaltstechnisch aber nicht sicherheitspolitisch motiviert vor sich hin sparen und dabei ständig elementare Fähigkeiten einbüßen. Dazu kommt die Ineffizienz beim Einsatz der Mittel. So gibt Europa insgesamt noch immer 170 Milliarden Euro für seine Verteidigung aus. Dennoch schaffen wir es nicht, damit unseren politischen Ansprüchen und auch den von Vereinten Nationen und Afrikanischer Union an uns herangetragenen Ansprüchen genügende, einsatzfähige Streitkräfte aufzubauen und zu unterhalten. Der militärisch effektive, aber im Ergebnis politisch desaströse Libyen-Einsatz der NATO hat gezeigt, dass wir ohne die Amerikaner nicht einmal in unmittelbarer geografischer Nähe in der Lage wären, militärische Macht zu projizieren. In der Folge wird Europa von vielen Mächten nicht als ernstzunehmender sicherheitspolitischer Akteur wahrgenommen, weil es zu selten eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik verfolgt und in dieser nicht über den gesamten Instrumentenkasten - und da gehören nicht nur und nicht zuerst, aber eben auch militärische Fähigkeiten dazu - verfügt. Wie man in der Ukraine-Krise sieht, haben wir dann in einer europäischen Angelegenheit auf westlicher Seite die EU, die NATO und dann noch einmal die USA für sich als Parteien in diesem grundlegenden Konflikt mit Russland. Natürlich überwiegend Russland, aber z.T. eben auch die USA verfolgen hier nicht oder nicht immer im europäischen Interesse liegende Agenden. Während Merkel und Hollande mit aller Kraft versuchen, die EU-Außenpolitik auf Kurs zu halten, den Konflikt zu lösen und aus der einst angestrebten Partnerschaft mit Russland zumindest keine neue Feindschaft werden zu lassen, also gleichsam anstreben, in einer "erwachsenen" Art und Weise, Europas Angelegenheiten selbst zu regeln, versuchen die letzte Weltmacht USA und die gekränkte Großmacht Russland es immer wieder, die Europäer auf den teils selbstverschuldeten, unmündigen "Jugendlichen-Status" aus dem Kalten Krieg zurückzustoßen. Andererseits beweist gerade die Ukraine-Krise, die Notwendigkeit und Nützlichkeit der vielen außen-, wirtschafts-, entwicklungs- und sicherheitspolitischen Möglichkeiten der EU jenseits des Einsatzes militärischer Mittel. Deren Verfügbarkeit bedarf es definitiv ebenfalls, aber wer wie die NATO nur einen Hammer als Instrument hat, erkennt in jedem Problem einen Nagel. Wer nur über ein Mittel verfügt, kann nicht abgestuft und situationsgerecht antworten. Da uns jedoch im EU-Rahmen absehbar und nicht nur aus der Sicht der osteuropäischen EU-Mitglieder und anderer Staaten mit globalen Ambitionen wesentliche militärische Grundfähigkeiten ohne die USA fehlen, wird es mindestens mittelfristig bei der gegenwärtigen Komplementarität zur NATO bleiben.
Wäre eine EU-Armee der logische Schritt, um weiteres unkoordiniertes Sparen zu verhindern, so dass die Staaten noch militärische Fähigkeiten behalten, die sich ergänzen?
Krause: Das Beschreiten des Weges mit dem Fernziel Euroarmee wäre ein wünschenswerter Schritt. Selbst kleine zivil-militärische Einsätze mit beschränktem Umfang drohen zu misslingen, wenn sich der Trend fortsetzt und sich die Fähigkeits- und Ausrüstungsmängel weiter verschärfen. Setzt sich die Tendenz des Abrüstens durch den Rotstift, gepaart mit nationaler Kleinstaaterei, fort, wird Europa weitere grundlegende Fähigkeiten einbüßen.
Wäre eine EU-Armee für das Erwachsenwerden Europas der vierte Schritt vor dem ersten - nämlich eine gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik Europas zu formen?
Krause: Ganz genau. Der Schwerpunkt muss auf der zunehmenden Kohärenz der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik liegen. Hier wird es beispielsweise schwer genug werden, eine, den Namen verdienende, neue Europäischen Sicherheitsstrategie zu erarbeiten, gar nicht zu reden von der Fernziel-Vision Euroarmee. Dagegen sprechen u.a. die Sonderrollen von Frankreich und Großbritannien, die als Atommächte im UN-Sicherheitsrat sitzen und einen globalen Gestaltungsanspruch verfolgen. Zudem haben wir in den 28 Staaten nicht dasselbe Verständnis darüber, wann, wie, wo und zu welchem Zweck wir bereit sind, militärische Gewalt einzusetzen. Für die gemeinsame Verteidigungspolitik sind keine neuen Konzepte nötig, sondern der Wille, konkrete Schritte umzusetzen, die zunächst kleinteilig sein dürften. Ermutigend ist, dass die meisten europäischen Einsätze längst multilateral laufen. Künftig sollten europäische Nationen verstärkt miteinander kooperieren, die ein ähnliches Verständnis von Außenpolitik und dem Einsatz von Soldaten haben. Für Deutschland kämen da Österreich, die Niederlande, Polen und die nordischen Staaten ins Blickfeld.
Warum gilt die Euro-Rettung als Testfall für den integrativen Willen der EU, nicht aber die Verteidigungspolitik?
Krause: Weil die Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise die Grundlage der Handlungsfähigkeit Europas ist, auch in den Bereichen Wohlfahrt und Sicherheit. Erwartungen, dass die Euro-Krise und der existenzielle Spardruck in den Verteidigungsetats zu einer weiteren Integration im sicherheitspolitischen Bereich führen würden, haben sich zerschlagen. Auch durch den externen Schock der Ukraine-Krise entwickelt sich in Europa - nicht zuletzt aufgrund der hier wieder gern in Anspruch genommenen Sicherheitsgarantie der USA - bisher nicht genügend politischer Wille, um die notwendigen Schritte einzuleiten. Das reflexartige Beharren der Briten auf Souveränität in Verteidigungsfragen als Reaktion auf Junckers Vorschlag zeugt davon, wie tief dieses Denken in den EU-Hauptstädten verankert ist. Es regiert die Angst, sich im Ernstfall nicht auf den anderen verlassen zu können.
Braucht die Händler-Großmacht EU militärische Muskeln, um Raubzüge wie den von Putin in der Ukraine künftig verhindern zu können?
Krause: Nein. Mehr Muskeln als die NATO können wir ohnehin nicht aufbauen und auch die NATO konnte die Entwicklung in der Ukraine ja nicht verhindern. Die aus meiner Sicht absolut richtigen wirtschaftlichen Sanktionen der EU treffen Putin viel stärker und sind viel flexibler und anwendbarer als militärische Gewalt außerhalb des Bündnisgebietes. Außerdem sollten wir uns in den ehemaligen Sowjetrepubliken auch nicht militärisch und gegen Russland engagieren, denn das hätte katastrophale Folgen, die wir in Europa und nicht in den USA am stärksten spüren würden. Die kollektive Verteidigung bleibt mehr denn je Hauptaufgabe der NATO.
In der NATO brechen immer mehr Konflikte auf, das Bündnis ist heterogener geworden. Wäre eine autonome europäische Sicherheitspolitik der Sargnagel für die NATO?
Krause: Mittelfristig nein, weil Europa dazu der politische Wille und die militärischen Fähigkeiten fehlen und auf absehbare Sicht weder Briten, noch Polen, noch Osteuropäer bereit sein werden, auf eine EU-Armee zu setzen. Langfristig kann sich so eine Frage stellen, falls Europa sich dazu entschließen sollte, seine Ressourcen gemeinsam und ähnlich effektiv einzusetzen, wie dies andere Akteure in der Welt tun.
Die USA wenden sich verstärkt dem Pazifik und dem Rivalen China zu. Bleibt Europa nichts anderes übrig, als auch in der Verteidigungspolitik erwachsen zu werden?
Krause: In der Tat und das gilt ebenso für die Außenpolitik. Die Gewichte verschieben sich, insbesondere nach Asien. Unser Einfluss auf die Dinge schwindet und nur gemeinsam können wir unsere Interessen zukünftig noch hörbar vorbringen. 1950 stellten die Europäer noch 20 Prozent der Weltbevölkerung, 2010 noch zehn Prozent, 2050 werden es nur noch fünf Prozent sein. Noch sind wir weltweit der größte Binnenmarkt, haben das größte Bruttoinlandsprodukt. Aber wir werden mittel- und langfristig keine Rolle mehr spielen, wenn wir die europäische Kleinstaaterei in der Außen- und Sicherheitspolitik nicht verringern und schließlich ganz beenden. Sinken unsere militärischen Fähigkeiten weiter, werden wir auch im Bündnis für die Amerikaner immer uninteressanter und unser Einfluss wird auch da schwinden.
Kommt die Idee einer erwachsenen Außen- und Sicherheitspolitik zu spät, berücksichtigt man die Tendenzen einer Renationalisierung in Europa?
Krause: Jean-Claude Juncker drängelt möglicherweise, weil er spürt, dass sich das historische Fenster für dieses Projekt schließen könnte. Nach den Erfahrungen mit dem Euro scheint es mir aber wichtig, dieses Projekt nicht von oben durchdrücken zu wollen, sondern es von unten zu entwickeln. Statt über blockierte Visionen, wie ein gemeinsames operatives Hauptquartier zu streiten, sollten sich bi-, tri- und multilaterale Inseln der Kooperation bilden mit Staaten, die ähnlich denken, bei denen das Parlament eine ähnliche Rolle in der Kontrolle der Außen- und Sicherheitspolitik spielt, die ähnliche Vorstellungen über den Einsatz diplomatischer, entwicklungspolitischer, ziviler und militärischer Mittel haben. So kooperieren wir ja immer verstärkter mit unseren polnischen und niederländischen Nachbarn und unterstellen uns gegenseitig Truppenverbände, oder arbeiten mit den Finnen zusammen, die denselben Transporthubschrauber einsetzen, wie wir, sich aber für ihre geringe Anzahl an Hubschraubern keine eigenen Simulatoren für Ausbildung und Training leisten wollen, weil sich dies nicht rechnen würde. Bei kleineren, überschaubaren Schritten sehen die Beteiligten eher den Nutzen und fühlen sich nicht überfahren. Nur die Koordination dieser vielen kleinen Schritte muss dann auf EU-Ebene erfolgen und darauf muss man sich einigen. Die Strukturen sind vorhanden.
Das Interview führte Joachim Zießler
OTS: Landeszeitung Lüneburg newsroom: http://www.presseportal.de/pm/65442 newsroom via RSS: http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2
Pressekontakt: Landeszeitung Lüneburg Werner Kolbe Telefon: +49 (04131) 740-282 werner.kolbe@landeszeitung.de
Wenn Sie mehr über das Thema Aktien erfahren wollen, finden Sie in unserem Ratgeber viele interessante Artikel dazu!
Jetzt informieren!