Tech-Tristesse |
25.03.2023 23:11:00
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Ist die Silicon Valley-Ära nach SVB-Pleite und Absturz der Tech-Aktien vorbei?
• Tech-Firmen reagieren mit Massenentlassungen auf Phase der übertriebenen Expansion
• Das Silicon Valley durchlief bereits einige Krisen - geht es auch dieses Mal gestärkt hervor?
Seit 2009 kannten Tech-Aktien - insbesondere die bei Anlegern besonders beliebten FAANG-Unternehmen Facebook (heute Meta Platforms), Apple, Amazon, Netflix und Google (Alphabet) - gefühlt nur eine Richtung: die steil nach oben. Der häufig als Referenz für das Wohlergehen der Tech-Aktien verwendete NASDAQ 100 stieg seit seinem Tief im Zuge der Finanzkrise von knapp 1.200 Punkten im Februar 2009 auf bis zu 16.600 Punkte im November 2021. Infolge von enttäuschenden Unternehmenszahlen, nach unten angepassten Wachstumserwartungen und den infolge des Inflationsdrucks gestiegenen Zinsen ging es aber kontinuierlich gen Süden, aktuell notiert der NASDAQ 100 bei 12.729,23 Zählern (Schlussstand vom 23. März 2023). Angesichts der vielfältigen Krisenphänomene, die auf eine Periode der Überinvestitionen folgen, kann es stark angezweifelt werden, ob der Tech-Sektor schon bald wieder zu einem Höhenflug antritt - vielmehr erwarten einige Experten sogar ein Ende der Silicon-Valley-Ära und sehen eine langwierige Krise im wachstumsorientierten Tech-Sektor voraus.
Tech-Expertin Poletti sieht das Silicon Valley "am Wendepunkt"
So sieht beispielsweise die MarketWatch-Kolumnistin Therese Poletti, die als Kennerin der US-Tech-Branche gilt, das Silicon Valley an einem "Wendepunkt", der durch den Zusammenbruch der Silicon Valley Bank (SVB) verdeutlicht wurde, wie sie in einem Beitrag erklärt. "Der schockierende Zusammenbruch der wichtigsten Bank des Silicon Valley in der vergangenen Woche markierte das bittere Ende des großen Tech-Booms des vergangenen Jahrzehnts, wenn dies nicht schon durch die stark gesunkenen Finanzergebnisse der meisten Tech-Unternehmen im Jahr 2022 offensichtlich war", schreibt Poletti. Sie sieht in dem SVB-Niedergang ein einschneidendes Ereignis, das endgültig das Ende einer Ära bildet: "Das Silicon Valley erlebt einen Neustart - manche könnten es auch als Abrechnung bezeichnen - nach den vergangenen 12 bis 13 Jahren des irrsinnigen Wachstums, der oft unverantwortlichen Ausgaben, der Hybris und der Angeberei. Big Tech ist astronomisch gewachsen, und es gab echte Erfolge bei Unternehmen, die soziale Medien, Cloud Computing, mobile Anwendungen und Elektrofahrzeuge entwickelten. Aber es gab auch Betrügereien und Debakel wie Theranos und WeWork."
SVB-Pleite erschwert Finanzierung von aufstrebenden Tech-Startups
Es sei angesichts des SVB-Zusammenbruchs davon auszugehen, dass in den kommenden Monaten oder sogar Jahren die Finanzierung von kleinen Tech-Startups schwieriger wird. Die 1982 gegründete SVB stand wie kein anderes Finanzinstitut für den rasanten Wachstum des Silicon Valleys, das ohne die Bereitstellung von milliardenschwerem Investitionskapital undenkbar gewesen wäre. Dabei half die SVB vielen kleinen Startups mittels großzügiger Kreditvergabe, Anfangsschwierigkeiten zu überbrücken und langfristiges Wachstum zu ermöglichen. Dieser wichtige Partner für kleine und mittelgroße Tech-Firmen fällt nun weg.
Während ausgerechnet "Big Short"-Investor Michael Burry in dem SVB-Konkurs "keine wirkliche Gefahr" für die Bankenbranche sieht, betrachten Experten der US-Investmentbank Morgan Stanley die Bankenpleite kritischer. Sie rechnen damit, dass es nach der SVB-Pleite zu einer schnelleren Aussortierung von Tausenden von Startups kommen wird. Dabei werden die effizientesten Firmen begünstigt werden, während ein hoher Anteil an neu gegründeten Unternehmen schnell scheitern wird, erwarten die Morgan Stanley-Analysten. Die Krise im Joint Venture-Sektor war bereits im vergangenen Jahr ersichtlich, da das Wagniskapital-Investitionsvolumen in den USA von 344,7 Milliarden US-Dollar (2021) auf nur noch 238,3 Milliarden US-Dollar zurückging, wie Poletti in ihrer Kolumne betont.
Ende der ultraliquiden Geldpolitik stellt sich als Fanal heraus
Ein wichtiger Grund für den Tech-Abverkauf, die schwachen Wachstumserwartungen und der mit der Tech-Schwäche zusammenhängende SVB-Kollaps ist zweifelsohne das weltweit gestiegene Zinsniveau. Durch die höheren Zinsen wird die Finanzierung von Fremdkapital deutlich teurer, zudem verringert sich der Wert in Zukunft erwarteter Gewinne, da durch die steigenden Zinsen eine höhere risikofreie Rendite für Geldanlagen als Alternative lockt. Die Zeit des ultrabilligen Geldes, das von 2009 bis 2022 gerade den wachstumsorientierten Aktien Auftrieb gab, ist vorbei. Die Joint-Venture-Gesellschaft Sequoia Capital stellte denn auch in ihrer 52-seitigen Präsentation mit dem Titel "Adapting to Endure" fest, dass die Ära des "Wachstums um jeden Preis" nicht mehr belohnt werde. "Da jeder Dollar wertvoller ist als früher, wie wollen Sie Ihre Prioritäten ändern?", fragt Sequoia die Silicon Valley-Unternehmen in der Präsentation.Massenentlassungen als Folge der Überinvestitionen während der Corona-Pandemie
Viele Tech-Unternehmen haben tatsächlich ihre Prioritäten geändert - und zwar dahingehend, dass statt Expansion nun Effizienz als wichtigste Maxime gilt. Ausdruck dessen sind die massiven Stellenstreichungen, die das Silicon Valley ab vergangenen Sommer erfasst haben. Die Big Techs wie Amazon, Microsoft oder Alphabet sowie auch Elon Musks Kurznachrichtendienst Twitter haben tausenden von Mitarbeitern den Laufpass gegeben, womit sie auf exorbitante Mitarbeiterkosten reagieren.
Im Zuge der Digitalisierungswelle während der Corona-Pandemie hatten Tech-Unternehmen händeringend nach Mitarbeitern gesucht und dabei eine Einstellungspolitik gefahren, die sich rückblickend als übertrieben herausstellte. Die allermeisten Unternehmen verfehlten ihre Wachstumsziele um Längen, als bekannte Beispiele sind hierbei Peloton, Snap oder auch PayPal zu nennen. Auch Amazon, das kürzlich eine zweite Entlassungswelle mit bis zu 9.000 Stellenstreichungen ankündigte, konnte die enormen Erwartungen der Anleger zuletzt nicht erfüllen.
Sind die Jahre des Silicon Valleys wirklich gezählt?
Es ist jedoch trotz der unübersehbaren Krisenphänomene und langfristigen Belastungsfaktoren keineswegs eine ausgemachte Sache, dass das Silicon Valley in die Bedeutungslosigkeit verschwinden wird, meint Poletti. Im Gegenteil, sie sieht die aktuelle Tech-Krise als eine notwendige Korrektur nach Jahren des überdurchschnittlichen Wachstums, das zu viel zu überhöhten Zukunftsfantasien führte. Dabei ist es nicht das erste Mal, das eine Tech-Blase platzt. Im Gegenteil: Bereits beim Dotcom-Crash 2000 und während der Finanzkrise 2008 haben Silicon Valley-Firmen erhebliche Bewertungsabschläge hinnehmen müssen. Insgesamt seien sie daraus gestärkt hervorgegangen.
Punit Soni, Gründer und CEO des Startups Suki, das eine sprachgesteuerte KI-App für den Medizinsektor entwickelt hat, nimmt die derzeitige Tech-Tristesse keineswegs als Anlass, um einen Abgesang auf das Silicon Valley anzustimmen. Er sieht in der SVB-Pleite und den Massenentlassungen kein "systemisches" Risiko: "Ich bin eher der Optimist. Ich denke, dass die nächsten Jahre wirklich schwierig sein werden, es wird schwer sein, Finanzmittel zu bekommen. Aber die diejenigen Unternehmen, die am Ende der zwei Jahre übrig bleiben, werden gewinnen", zitiert Poletti in ihrer Kolumne den Startup-Gründer. Soni bezeichnet diesen Prozess als "Darwinismus live", also als eine Phase der Anpassung der am besten geeigneten Akteure an die neuen Bedingungen.
Auch Lise Buyer, Leiterin und Gründerin der Class V Group, die Startups bei der Vorbereitung auf den Börsengang unterstützt, bleibt zuversichtlich: "Das Silicon Valley ist eine Achterbahnfahrt. Es wird große Höhen und große Tiefen geben", zitiert MarketWatch die Tech-Unternehmerin. "Wir haben diesen Film schon einmal gesehen, in vielerlei Hinsicht." Ob und wann sich das angeschlagene Sentiment rund um den Tech-Sektor wieder aufhellt und eine neue Phase des Wachstums bevorstehen wird, bleibt allerdings abzuwarten.
Redaktion finanzen.at
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