06.03.2008 18:33:00

INTERVIEW/Mirow will keine "Hau-Ruck"-Entscheidungen bei EBWE

Von Andreas Kißler und Andrea Thomas Dow Jones NEWSWIRES BERLIN (Dow Jones)--Über die künftigen Perspektiven der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) soll nach Aussage von Finanzstaatsskeretär Thomas Mirow keine übereilten Entscheidungen geben. Vielmehr plane er hierfür einen "strukturierten Prozess", sagte der EU-Kandidat für den Chefposten bei der Osteuropabank im Interview mit Dow Jones Newswires.

   Er erwartete für die nächsten Wochen eine EBWE-Entscheidung über eine Aufnahme der Türkei in das Einsatzgebiet der EBWE. Bis Mitte Mai sah Mirow zudem eine Entscheidung über die Verwendung des Gewinns der Londoner Bank.

   "Es ist nicht deutsche Position, die EBWE in die EIB zu integrieren", sagte der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium (BMF). Der deutsche Vizepräsident der EIB, Matthias Kollatz-Ahnen, habe hierzu "seine persönlichen Überlegungen kommuniziert", betonte Mirow. "Das ist insoweit ärgerlich, als damit der Eindruck vermittelt wurde, dies sei auch die deutsche Position." Dies sei sie eindeutig nicht. "Deutschland hielte eine Integration der EBRD in die EIB für falsch," erklärte Mirow.

   "Die EIB hat natürlich ihre eigenen Gedanken und Überlegungen", betonte Mirow. Dies sei kein Geheimnis. "Und sie versucht vielleicht, diese zu platzieren." Die EIB selbst hatte bereits am Mittwoch die Aussage Kollatz-Ahnens bestätigt, dass er einen Mehrheitsanteil an der EBWE anstrebe. Dies spiegele jedoch seine eigenen Ansichten wider und nicht jene der Bank, hatte es in einer Erklärung der EIB aber abmildernd geheißen.

   Mirow betonte in dem Interview, das Verfahren über die Perspektiven der Osteuropabank sei ein EU-Vorgang, der auf europäischer Ebene diskutiert werde - natürlich unter Beteiligung Deutschlands. Zudem sei am Dienstag die EU-Personalentscheidung für die künftige Führung der EBWE gefallen.

   "Man muss wirklich sauber trennen, wer welche Verantwortung hat", unterstrich er. Deutschland werde sich in den Organen der EBWE über den deutschen Exekutivdirektor und gegebenenfalls auch über den deutschen Gouverneur, Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, positionieren. "Meine Rolle als möglicher EBWE-Präsident ist davon völlig losgelöst zu sehen. In einer solchen Rolle werde ich keine deutsche Position vertreten, sondern einen Prozess strukturieren und dafür sorgen, dass alle Anteilseigner ihre Position einbringen können," kündigte der deutsche Finanzstaatssekretär an.

   Allerdings führe er derzeit noch keine dies bezüglichen Konsultationen. "Nein, diesen Prozess zu strukturieren, das macht man vom Tag eins an, an dem man auf seinem Stuhl sitzt, wenn man denn dort sitzt, und nicht vorher." Mirow kündigte aber an, er wolle sich "in den nächsten Wochen dort noch einmal vorstellen, wo man mich nicht so gut kennt". Dabei werde er jedoch bezogen auf die Zukunft der EBWE "weitgehend eine rezeptive Rolle" einnehmen und Anregungen entgegennehmen. "Mein Verständnis meiner möglichen neuen Funktion ist es, allen Anteilseignern gegenüber deutlich zu machen: Es wird keine 'Hau-Ruck'-Entscheidungen geben", hob Mirow hervor.

   Natürlich gebe es die Notwendigkeit zur Abstimmung zwischen dem, was die EBWE zur Förderung der Transformation in Osteuropa unternehme, und dem, was die EIB in Wahrnehmung ihres Außenmandats in eben diesen Ländern tue. "Dazu ist es aber nicht notwendig, die EBWE in die EIB zu integrieren", bekräftigte Mirow. Eine Neuordnung der europäischen Förderbanken könne "irgendwann ein konkretes Thema werden", sei dies jedoch aktuell nicht. "Man kann strategische Optionen für die spätere Zukunft diskutieren", räumte Mirow aber auch ein. Das Hauptaugenmerk gelte jedoch zunächst einmal den unmittelbar anstehenden Fragen, von denen es in der EBWE genug gebe.

   "Dazu gehören die Frage einer Ausdehnung des Einsatzgebietes in die Türkei und die Frage der Verwendung des meines Wissens erfreulich hohen Gewinns aus dem Geschäftsjahr 2007", unterstrich er. Es sei kein Geheimnis, dass es eine laufende Willensbildung zu der Frage gebe, die Türkei aufzunehmen. "Diese Frage sollte bis zur Jahresversammlung entscheidungsreif werden", erwartete Mirow.

   Eine besondere Bedeutung für die künftigen Diskussionen in der EBWE bescheinigte Mirow zudem Russland. "Sicherlich ist die Frage des besonderen Stellenwertes, den Russland in den Aktivitäten der EBWE erlangt hat, eine der Fragen, die in den strategischen Diskussionen für die Zukunft besonders aufgenommen werden müssen", sagte er. Zugleich solle man beachten, dass es nicht allein um monetäre Förderung gehe, denn für viele Investoren in Russland sei die Mitwirkung der Bank gar nicht ausschließlich unter finanziellen Gesichtspunkten wichtig.

   Zur Frage einer EBWE-Dividende sagte er: "Die Europäer haben diese Frage diskutiert und nach allem, was ich sehen kann, stehen die Chancen gut, dass man sich in den dafür zuständigen Gremien auf eine Lösung einigen wird, rechtzeitig vor der Jahrestagung".

   Auf dieser Tagung am 18. und 19. Mai soll auch über die Nachfolge des bisherigen EBWE-Präsidenten Jean Lemierre entschieden werden. Die EU-Finanzminister hatten die Kandidatur Mirows für den EBWE-Posten am Dienstag mit großer Mehrheit unterstützt. Da die EU-Länder die Mehrheit der Anteile an der Osteuropabank halten, gilt es als unwahrscheinlich, dass andere große Mitglieder wie die USA, Japan, Kanada oder Russland den Vorschlag zurückweisen könnten.

   Das Amt des Präsidenten der Bank ist zum 3. Juli neu zu besetzen, da die Amtszeit des bisherigen Amtsinhabers Jean Lemierre am 2. Juli endet. In der EBWE sind 63 Staaten und internationale Organisationen vertreten. Zu ihren bisherigen Präsidenten gehört auch der heutige Bundespräsident Horst Köhler, der den Posten bei der Londoner Bank vor seiner Berufung zum Geschäftsführenden Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) innehatte.

-Von Andreas Kißler und Andrea Thomas, Dow Jones Newswires, +49 (0)30 - 2888 4118, andreas.kissler@dowjones.com DJG/ank/hab (END) Dow Jones Newswires

   March 06, 2008 12:15 ET (17:15 GMT)

   Copyright (c) 2008 Dow Jones & Company, Inc.- - 12 15 PM EST 03-06-08

Eintrag hinzufügen
Hinweis: Sie möchten dieses Wertpapier günstig handeln? Sparen Sie sich unnötige Gebühren! Bei finanzen.net Brokerage handeln Sie Ihre Wertpapiere für nur 5 Euro Orderprovision* pro Trade? Hier informieren!
Es ist ein Fehler aufgetreten!