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Euro am Sonntag-Interview 11.08.2013 03:00:01

HSBC-Chefvolkswirt: Wir stoßen an Grenzen

von Lucas Vogel, Euro am Sonntag

Mit dem Namen Stephen King verbinden viele Hor­rorgeschichten vom Feinsten. Doch anders als der US-Schriftsteller analysiert der Brite Stephen King als HSBC-Chefvolkswirt wirtschaftliche Entwicklungen. Dass aber auch hier Gruseliges lauert, zeigt Kings neues Buch „When the Money Runs Out“.

€uro am Sonntag: Ihr Buch hat eine harte Botschaft für uns alle: Wir werden ärmer! Warum?
Stephen King:
Zunächst lautet die Botschaft nicht: Wir werden ärmer. Vielmehr lautet sie: Das Versprechen, immer wohlhabender zu werden, kann nicht gehalten werden. Die westlichen Gesellschaften haben Versprechungen gemacht, die auf hohem Wirtschaftswachstum basierten: Pensionszusagen, Gesund­heits- und Pflegeausgaben, aber auch niedrige Steuern und ganz generell Schulden, die ja nichts anderes sind als das Versprechen zukünftiger Zahlungen. Ich glaube, dass diese Versprechen nicht eingehalten werden können.

Weshalb nicht?
Nun haben wir bereits eine Dekade mit schwachem Wachstum hinter uns. Und ich glaube, dass in Zukunft das Wachstum schwach bleiben wird. Das ist der Grund. Viele Menschen übersehen: Es geschieht bereits. Beispiel Großbritannien: Über die vergangenen zehn Jahre ist das Pro-Kopf-Einkommen um lediglich vier Prozent gestiegen — einen Bruchteil des Wachstums in den ­vorangegangenen Dekaden. Ähnlich geht es den meisten anderen west­lichen Nationen. Gleichzeitig verhalten wir uns so, als wenn das nur ein zyklischer Rückschlag wäre, dem ein neuer Aufschwung folgt. ­Politiker und Ökonomen sagen immer: Das nächste Jahr wird besser als das vergangene. Die Wissenschaft nennt das eine kognitive Optimismus-Verzerrung.

Welche Rolle spielt die Bevölkerungsentwicklung bei den Versprechungen, die Ihrer Meinung nach nicht eingehalten werden?
Natürlich hat die Verschiebung der Alterspyramide große Auswirkungen: Immer weniger arbeitende Menschen müssen immer mehr Menschen in Rente unterstützen. Aber das ist nicht der einzige Grund für schwächeres Wachstum in Zukunft. In den vergangenen Jahrzehnten wurde das Wirtschaftswachstum noch durch einige Entwicklungen befeuert. Erstens die Liberalisierung des Welthandels — nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst in der westlichen Welt, dann nach dem Fall des Eisernen Vorhangs mit den Staaten des Ostblocks plus China.

Aber gibt es nicht immer noch Handelsbarrieren, die wir beseitigen und damit Wachstumsimpulse setzen können?
Ja, aber diese Barrieren bestehen hauptsächlich auf der südlichen Halbkugel, zwischen Asien und Afrika sowie Südamerika. Sollte ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa zustande kommen, gibt es kaum noch weitere Verbes­serungsmöglichkeiten.

Und zweitens?
Die massive Vergrößerung des Arbeitsmarkts durch Frauen in den vergangenen 50 bis 60 Jahren. Viele vergessen, welch kräftigen positiven Schub das gegeben hat. Aber wir ­haben in vielen Ländern eben bereits sehr hohe Partizipationsraten und wenig Raum für Verbesserungen. Drittens: die Erhöhung des Bildungsniveaus. Wir haben viel mehr Universitätsabsolventen als früher. Aber auch hier gelangen wir an die Grenzen.

Gibt es noch eine weitere Ent­wicklung?
Ja, private Kredite. Die private Verschuldung hat sich seit den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts bis ins erste Jahrzehnt dieses Jahrtausends massiv ausgedehnt und Mehrkonsum ermöglicht. Aber auch hier gibt es Grenzen. Ab einem gewissen Niveau schaffen es die Menschen nicht mehr, die Schulden zu bedienen.

Kann uns kein technologischer Schub helfen, höhere Wachstumsraten zu erreichen? Technolo­gischer Fortschritt brachte im Lauf der Geschichte häufig wirtschaft­liche ­Fortschritte mit sich.
Ich bin kein Technologiepessimist. Aber ich denke, dass neue Technologie allein es nicht schaffen wird.

Was macht Sie so sicher, dass Ihre Prognosen für die kommenden Jahrzehnte zutreffen? Schließlich liegen die meisten Ökonomen schon bei den Wachstums­prognosen für das folgende Quartal falsch  ...
Zunächst einmal beobachte ich, was bereits passiert ist: Die Wachstumsraten in den vergangenen zehn Jahren waren sehr niedrig. Punkt. Gleichzeitig gehen den Regierenden die Optionen aus, um wirtschaftliches Wachstum zu fördern. Einerseits haben niedrige Steuereinnahmen und hohe Sozialausgaben die fiskalische Situation verschlechtert, andererseits stößt auch die Geld­politik bei Nullzinsen an ihre Grenzen. Wir sind sowieso sehr abhängig von den Notenbanken.

Aber mit Anleihekäufen und der Ausweitung der Bilanz haben die Notenbanken doch noch einige Pfeile im Köcher, oder nicht?
Ich würde dieses „Quantitative Easing“ eher mit Medizin vergleichen. Es war gut, dass die Notenbanken 2008 und 2009 diese außerordentlichen Maßnahmen ergriffen haben, um eine Depression zu verhindern. Damals wirkten sie wie starke Antibiotika, die eine Entzündung ver­hinderten. Aber mittlerweile wirken sie mehr wie Schmerzmittel, von denen wir abhängig sind. Unter dem Einfluss dieser Schmerzmittel hat sich jedoch in der Struktur unserer Volkswirtschaften nicht viel geändert.

Warum werden die Schmerzmittel dann weiter verwendet?
Niedrige Zinsen unterhalb der Inflationsrate sind ein eleganter Weg für Staaten, ihr Schuldenproblem zu mindern. Das bedeutet aber gleichzeitig, die Sparer zu berauben. Und es ist kein Mittel, um höhere Wachstumsraten zu erreichen.

Wie schätzen Sie die Situation in den USA ein?
Fakt ist: Das Wachstum im vergangenen Jahrzehnt war niedriger als in den 90er-Jahren erwartet — im Schnitt nur 2,5 Prozent pro Jahr. Und die wurden nur mit dem enormen Aufbau neuer Schulden erreicht. Ja, der demografische Ausblick ist besser als in Europa. Aber die fiska­lische Situation und die großen Sozialprogramme für Kranke und Ältere werden aus den nächsten Jahren harte Jahre machen.

Wie wird die US-Wirtschaft in den kommenden Monaten laufen?
Wir gehen von 1,8 Prozent Wachstum für 2013 aus. Damit sind wir am unteren Ende der Prognosen. Die nähern sich gerade an uns an.

Trotz all der Probleme feiern die US-Börsen neue Allzeithochs.
In den vergangenen Jahren hat sich ein Spalt aufgetan zwischen der Hoffnung der Finanzmärkte und der ökonomischen Realität. Das ist eine Folge der Abhängigkeit vom Quantitative Easing. Während der Aktienmarkt mehr oder weniger ähnlich gut gelaufen ist wie in anderen Er­holungsphasen, war der konjunkturelle Aufschwung viel schwächer als in ähnlichen Phasen in den vergangenen Jahrzehnten.

Wie kommen die Schwellenländer durch die nächsten Jahrzehnte?
Sie haben sich bereits von unserem Wachstumspfad gelöst. Während wir in den vergangenen zehn Jahren das schwächste Wachstum verzeichneten, haben China und Indien ihr wachstumsstärkstes Jahrzehnt erlebt. Diese strukturelle Entkoppelung wird aus zwei Gründen weitergehen. Erstens: Es gibt noch sehr viele Möglichkeiten, auf der Angebotsseite Potenzial zu heben. Beste Beispiele sind die Urbanisierung und die höhere Produktivität, die damit einhergeht, dass die Menschen vom Land in die Stadt ziehen.

Aber ist das wirklich ein Treiber von Wachstum und nicht vielmehr eine Folge von Wachstum und besseren Jobs in den Städten?
Nein, Urbanisierung an sich ist ein Wachstumstreiber. Wenn Menschen enger zusammenwohnen, gibt es sehr viele positive Netzwerkeffekte. Neue Märkte entstehen, die Menschen entdecken neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit.

Und was ist der zweite Grund, ­warum die Entkopplung weiter­gehen wird?
Der Handel zwischen den Schwellenländern wird weiter ausgebaut. Mit Häfen in Afrika, Asien und Südamerika werden diese Länder einen Rückenwind erhalten, wie wir ihn nach der Öffnung unserer Wirtschaften für den Freihandel hatten. Statt US-Staatsanleihen zu kaufen, werden die Chinesen zukünftig in Infrastruktur in Afrika und anderen Regionen investieren, um dieses Potenzial zu heben.

Aber in der Finanzkrise konnten sich die Schwellenländer auch nicht wirklich vom Abschwung ­ abkoppeln.
In einem Zyklus funktioniert die Abkopplung noch nicht. Aber strukturell und langfristig, wenn die angebotsorientierten Faktoren eine große Rolle spielen, werden sich die Schwellenländer abkoppeln.

Prominenter Berater
Stephen King (49) studierte an der Universität Oxford Volkswirtschaft und Philosophie. Seit 1988 arbeitet King für die britische HSBC, eine der größten Bankengruppen weltweit. Seit 1998 hat King die Position als HSBC-Chefvolkswirt inne, von 2007 bis 2010 war er Mitglied im EZB-Schattenrat. King gilt als einer der einflussreichsten ­Finanzmarktexperten Großbritanniens und ist ein gefragter Experte. So hat er unter anderem dem britischen Ober- und Unterhaus bei verschiedenen wirtschaftlichen Themen beratend zur Seite gestanden. Zudem sorgen seine regelmäßigen Kolumnen in der englischen Zeitung „The Independent“, Interviews für TV- sowie Radiosender und Buchveröffentlichungen für viel Aufsehen. Sein neues Buch „When the Money Runs Out“ ist bei der Yale University Press auf Englisch erschienen (23,99 Euro).

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