05.07.2014 11:50:30

Hält die EU-Kommission an Almunias knallhartem Kartellkurs fest?

   Von Tom Fairless

   Der oberste Wettbewerbshüter der EU hat eine starke Waffe zur Hand. Und immer öfter ist er auch bereit, von ihr Gebrauch zu machen.

   Seitdem Joaquín Almunia im Jahr 2010 das Wettbewerbsressort der EU-Kommission übernommen hat, ist er immer weiter über sein eigentliches Aufgabengebiet hinausmarschiert. Statt sich damit zu begnügen, Kartelle zu zerschmettern und Fusionen zu überprüfen, drängt er auf Felder wie die Steuerplanung multinationaler Unternehmen und globale Patentstreitigkeiten vor.

   Während sich Almunia langsam, aber sicher auf das Ende seiner Amtszeit zubewegt, wird unter Beobachtern die Frage laut, ob sich in der Kommission die Tendenz zur Einmischung auch nach seinem Abgang fortsetzen wird.

   Einige Experten verweisen besorgt auf die Risiken, die ein solcher Hang zum Aktivismus in sich bergen könne. Besonders da die Kommission unter einen nie da gewesenen politischen Druck geraten sei, ihr kartellrechtliches Arsenal zum Erreichen von Zielen in Stellung zu bringen, die mit Wettbewerb direkt eigentlich gar nichts zu tun hätten.

   "Wettbewerbspolitik ist nicht das Allheilmittel für alle Krankheiten der Welt", kommentiert Pat Treacy, die sich bei der Londoner Kanzlei Bristows mit Kartellrechtsstreitigkeiten befasst. "Die Kommission hat die Grenze ziemlich stark ausgeweitet."

   Dies lässt sich an einem jüngsten Beispiel belegen. Im vergangenen Monat leitete die Kommission ein förmliches Prüfverfahren über die Steuerpraktiken von Apple und Starbucks ein. Die Sorge, einige Multis steuerten möglicherweise nicht ihren gerechten Beitrag zu den klammen öffentlichen Kassen Europas bei, hatte die Kommission dazu getrieben.

   Sie rechtfertigte den Schritt, indem sie sich auf die Wettbewerbspolitik bezog. Großzügige Steuerabmachungen, auf die sich einige EU-Regierungen mit einzelnen Unternehmen eingelassen hätten, könnten einer ungesetzlichen staatlichen Unterstützung gleichkommen, hieß es. Brüssel fällt die Aufgabe zu, das Ausmaß der Hilfen zu überwachen, die die Regierungen der 28 Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft Unternehmen bereitstellen. Mit der Kontrolle soll sichergestellt werden, dass die einzelnen Regierungen den EU-Binnenmarkt nicht künstlich verzerren, indem sie einheimischen Firmen unfaire Vorteile verschaffen.

   Eingriff in die Steuerpolitik?

   Doch die Steuerermittlungen können auch als Versuch gewertet werden, ein Haupthindernis bei einer politischen Initiative zum Kampf gegen die Steuervermeidung zu umgehen. Nämlich als Bestreben, Schlupflöcher zu schließen, während die Steuerpolitik immer noch die exklusive und eifersüchtig gehütete Domäne der nationalen Regierungen ist.

   Zumindest machen die Steuerprüfungen deutlich, wie flexibel die Kommission ihr Werkzeug der staatlichen Beihilfen einsetzen kann, das in keinem anderen Rechtssystem eine Entsprechung hat. Länder wie die USA greifen Unternehmen nach purem Gutdünken unter die Arme. Mit einer Behörde, die ihnen vorschreibt, dies zu unterlassen, können sie nichts anfangen.

   Noch ein Beispiel: Im April kam die Kommission zu dem Schluss, dass der Handyhersteller Motorola Mobility gegen EU-Kartellrecht verstoßen hat, indem er versucht hatte, mit Hilfe seiner Patente den Verkauf von Produkten von Apple in Deutschland zu blockieren.

   Experten ließen damals verlauten, die EU-Wettbewerbspolitik sei nicht notwendigerweise das beste Instrument, um Patentkonflikte zwischen führenden Technologieunternehmen aus dem Ausland oder andere strittige Aspekte des europäischen Patentsystems beizulegen. "Wenn es ein Problem mit den Patentregeln gibt, dann muss es in diesem Kontext gelöst werden, nicht mit Einzelklagen gegen Firmen", meint Treacy. "Eine Reform per Fallrecht bringt für die Unternehmen eine enorme Unsicherheit mit sich."

   Grenzen oder Stagnation

   Der Versuchung, sich der Wettbewerbspolitik zu bedienen, ist nur schwer zu widerstehen. Denn sie ist eine der wenigen, echten Exekutivkompetenzen, die die Kommission überhaupt innehat. Und sie beeinflusst unmittelbar und in beträchtlichem Ausmaß, wie die Unternehmen ihre Geschäfte tätigen.

   "Wenn du einen Hammer hast, sieht alles wie ein Nagel aus", beschreibt ein Kartellrechtler den Ansatz der Kommission. "Die Kommission dehnt oft wirklich die Grenzen des Gesetzes", meint Thomas Vinje, der sich als Rechtsanwalt in der Kanzlei Clifford Chance in Brüssel mit dem Kartellrecht auseinander setzt.

   Entscheidender Weise fungiert die Kommission in Kartellstreitigkeiten als Staatsanwaltschaft, Richter und Geschworenenbank in einem. Und die gerichtliche Kontrolle gilt allgemein als dürftig ausgebildet. Die EU-Berufungsgerichte in Luxemburg kippen Entscheidungen der Kommission äußerst selten. "Die Gerichte disziplinieren die Kommission nicht", stellt Vinje fest.

   Einige Experten bringen allerdings auch vor, es sei vernünftig, dass die Kommission in einem sich ändernden Wirtschaftsumfeld die Grenzen ihre Befugnisse erkunde. Die Alternative dazu wäre Stagnation.

   Zu schaffen macht einigen jedoch die Beobachtung, dass die Kommission immer stärker unter Druck gerät, ihre kartellrechtlichen Muskeln viel umfassender spielen zu lassen. So soll sie beispielsweise ihre Zuständigkeiten geltend machen, wenn es um die Unterstützung bei der Schaffung eines gemeinsamen Telekommunikationsmarktes geht. Oder wenn ausländischen Firmen nachgesetzt werden soll, die auf europäischen Schlüsselmärkten eine dominante Position ausfüllen - was gemäß den EU-Wettbewerbsgesetzen an sich nichts Illegales ist.

   Druck der Politik könnte sich noch verstärken

   Letzteres zeigt sich ganz deutlich in der Art und Weise, wie die Kommission mit Google umgeht. Dass der US-Internetgigant die digitale Wirtschaft Europas beherrscht, hat einige europäische Politiker zu scharfer Kritik bewogen, darunter die Wirtschaftsminister Frankreichs und Deutschlands.

   Almunias Behörde ist in der Causa Google in den vergangenen Monaten unter immensen politischen Druck geraten. Sie wurde sowohl von Regierungen der Mitgliedstaaten als auch von Almunias eigenen Kollegen in der Kommission heftig kritisiert. Sie forderten die Überarbeitung eines vorläufigen Vergleichs mit Google bezüglich der Vormachtstellung des Unternehmens bei der Online-Suche. Einige Kläger hatten die Abmachung als zu entgegenkommend empfunden.

   Dieser Druck seitens der Politik könnte sich noch weiter verstärken, wenn im Verlauf des Jahres eine neue Riege von Kommissaren ihren Amtseid ablegt. Wie die Kartellbehörde der EU auf diese Einflüsse von außen reagiert, wird jedoch zum Teil von Almunias Nachfolger abhängen.

   Jean-Claude Juncker, der ehemalige Ministerpräsident Luxemburgs, der aller Voraussicht nach bald das Amt des Kommissionspräsidenten übernehmen wird, hat jedenfalls bereits angedeutet, dass er das EU-Wettbewerbsrecht aggressiver nutzen will, um weiter gesteckte politische Ziele zu verfolgen, wie etwa die Konsolidierung des Telekommunikationsmarkts der Gemeinschaft.

   "Wenn sich diese Politisierung fortsetzt, und wenn die europäischen Gerichte nicht dagegen einschreiten, könnte dies die Grenze zwischen dem Verbraucherwohl und manipulierten politischen Zielen verwischen und das Rechtstaatsprinzip aushöhlen", sagt Maurits Dolmans, ein Kartellrechtler bei Cleary Gottlieb Steen & Hamilton in London.

   Kontakt zum Autor: redaktion@wallstreetjournal.de

   DJG/WSJ/bam

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