09.03.2022 21:12:38
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GESAMT-ROUNDUP 4: Selenskyj deutet Kompromissbereitschaft an
(neu u.a. Selenskyj in "Bild", 3. Absatz, neue Angaben zu Evakuierten im 11. Absatz))
KIEW/MOSKAU (dpa-AFX) - Vor dem geplanten Treffen der Außenminister beider Seiten wächst die Verzweiflung in den von russischen Truppen belagerten Städten in der Ukraine. Die Rettung von Zivilisten kommt weiter nur langsam voran, vielerorts wurde am Mittwoch von neuen Zwischenfällen berichtet. Allein in der umkämpften Hafenstadt Mariupol sitzen Hunderttausende unter katastrophalen Bedingungen fest. Die Ukraine warf Russland einen Angriff auf eine Geburtsklinik in der Stadt vor, bei dem 17 Schwangere und Mitarbeiter verletzt worden sein sollen.
Russland macht die Ukraine für die Probleme bei der Evakuierung verantwortlich, die Ukraine beschuldigt Russland, die Fluchtkorridore zu beschießen. Trotzdem gibt zumindest etwas Hoffnung auf eine Annäherung. An diesem Donnerstag wollen der russische Außenminister Sergej Lawrow und sein ukrainischer Kollege Dmytro Kuleba im türkischen Antalya zusammenkommen - es wäre das ranghöchste Gespräch seit Kriegsbeginn.
Selenskyj betont Kompromissbereitschaft
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj betonte vor dem Treffen seine Kompromissbereitschaft. "In jeder Verhandlung ist mein Ziel, den Krieg mit Russland zu beenden. Und ich bin auch bereit zu bestimmten Schritten", sagte er am Mittwochabend der "Bild".
Selenskyj und seine Berater deuten inzwischen an, dass die Ukraine nicht mehr auf einer sofortigen Nato-Mitgliedschaft beharrt. Man schließe nicht aus, über eine Neutralität des Landes zu sprechen, sagte Selenskyjs außenpolitischer Berater Ihor Showkwa am Dienstagabend in der ARD. Das würde russischen Forderungen entgegenkommen.
Das russische Außenministerium betonte laut einer Meldung der Agentur Tass seinerseits, dass Russland keinen Machtwechsel in der Ukraine anstrebe. Ziel sei "weder die Besatzung der Ukraine noch die Zerstörung ihrer Staatlichkeit noch der Sturz der aktuellen Führung".
Was konkret von dem Außenministertreffen zu erwarten ist, blieb aber unklar. Kuleba selbst betonte, dass seine Erwartungen gering seien. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte, das Treffen sei "sehr wichtig", er betonte aber: "Lassen Sie uns nicht vorgreifen. Lassen Sie uns das Treffen selbst abwarten."
Russland fordert von der Ukraine, die Schwarzmeer-Halbinsel Krim als russisches Territorium und die abtrünnigen "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk als unabhängige Staaten anzuerkennen. Zudem soll sich Kiew verpflichten, nicht der Nato beizutreten und neutral zu bleiben.
In Antalya sollen auch Gespräche zur Sicherheit der ukrainischen Atomanlagen geführt werden. Der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, will selbst anreisen. Nach einer Reihe von Vorfällen seit Beginn des russischen Angriffs hatte Grossi Verhandlungen zu Sicherheitsgarantien für AKWs vorgeschlagen, um einen schweren Atomunfall zu vermeiden.
Russland hat die Ukraine vor zwei Wochen, am 24. Februar, angegriffen. Hunderttausende Menschen sind seit Beginn der Invasion auf der Flucht. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) telefonierte am Mittwoch erneut mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Greifbare Ergebnisse wurden nicht bekannt.
Rettung aus umkämpften Städten
Die militärischen Fronten schienen am Mittwoch weitgehend statisch. Nach ukrainischen Angaben gab es wieder Angriffe auf mehrere Städte und dabei Tote und viele Verletzte. Allein in Mariupol wurden ukrainischen Angaben zufolge seit Beginn der Kämpfe 1207 Zivilisten getötet.
Bei der Evakuierung von Zivilisten aus umkämpften Städten gibt es inzwischen zumindest leichte Fortschritte. "Innerhalb von 24 Stunden gelang es, 40 000 Frauen und Kinder aus allen Ecken der Ukraine herauszubringen", sagte David Arachamija von Selenskyjs Präsidentenpartei Sluha Narodu (Diener des Volkes). "Wir haben versucht, 100 000 zu schaffen, doch gelang es nicht." Es werde weiter versucht, Menschen zu retten, "am problematischsten sind die Abschnitte Mariupol, Charkiw und das Gebiet Kiew".
Sicherheitsexperten einer westlichen Regierung warnten unterdessen vor der Gefahr eines Einsatzes nicht-konventioneller Waffen durch russische Truppen in der Ukraine. Die Vorwürfe Moskaus gegenüber Kiew hinsichtlich biologischer Waffen ähnelten einem Muster, das auch bereits in Syrien zu sehen gewesen sei, sagte ein Regierungsexperte am Mittwoch vor Journalisten. "Die Russen haben angefangen, von so etwas zu reden, kurz bevor sie selbst oder ihre Verbündeten solche Waffen eingesetzt haben", so der Beamte. Die Vereinten Nationen wissen nach eigenen Angaben nichts über angeblich in der Ukraine produzierte Massenvernichtungswaffen.
Sanktionen werden erweitert
Die EU-Staaten haben sich angesichts des anhaltenden Kriegs auf eine erneute Ausweitung der Sanktionen gegen Russland und dessen Partnerland Belarus verständigt. Wie die EU-Kommission in Brüssel mitteilte, werden 14 weitere russische Oligarchen und prominente Geschäftsleute auf die Liste derjenigen Personen kommen, deren Vermögenswerte in der EU eingefroren werden und die nicht mehr einreisen dürfen. Zudem sind ein Verbot für die Ausfuhr von Schifffahrtsausrüstung sowie der Ausschluss dreier belarussischer Banken aus dem Kommunikationsnetzwerk Swift vorgesehen.
Auf den von der Ukraine geforderten Stopp von Energieimporten aus Russland konnten sich die EU-Staaten auch nach einem entsprechenden Beschluss der USA weiter nicht verständigen.
Kein Boykott russischer Energielieferungen
Die Bundesregierung sieht weiter keine Möglichkeit für einen sofortigen Boykott russischer Energielieferungen nach dem Vorbild der USA. Die USA seien Exporteur von Gas und Öl, was man für Europa insgesamt nicht sagen könne, betonte Bundeskanzler Scholz in Berlin. "Und deshalb sind die Dinge, die getan werden können, auch unterschiedlich." Die Spritpreise in Deutschland stiegen am Mittwoch weiter kräftig an. Die Unionsfraktion im Bundestag forderte dagegen einen Stopp des Gasbezugs über die Pipeline Nord Stream 1.
Die USA haben als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine am Dienstag ein Importverbot für Öl aus Russland erlassen. Großbritannien will seine Ölimporte aus Russland zuerst bis Jahresende senken und dann kein Öl mehr von dort importieren.
Kremlsprecher Peskow warf den USA vor, sie führten einen Wirtschaftskrieg gegen Russland. Er betonte, dass Russland ein zuverlässiger Öl- und Gaslieferant sei, drohte aber gleichzeitig mit Einschränkungen. "Feindselige Exzesse des Westens" machten "die Situation sehr kompliziert und lassen uns intensiv darüber nachdenken", sagte Peskow mit Blick auf die massiven Sanktionen gegen Russland. Zuvor hatte Vize-Regierungschef Alexander Nowak offen mit einem Gas-Lieferstopp durch die Pipeline Nord Stream 1 gedroht.
Streit um Kampfjets für die Ukraine
Der Vorschlag des polnischen Außenministeriums, der Ukraine Kampfflugzeuge zu überlassen, stieß bei Scholz auf Ablehnung. Er verwies auf Finanzhilfen, humanitäre Unterstützung und die Lieferung einzelner Waffensysteme. "Und ansonsten ist es aber so, dass wir sehr genau überlegen müssen, was wir konkret tun. Und dazu gehören ganz sicherlich keine Kampfflugzeuge", sagte Scholz.
Das polnische Außenministerium hatte am Dienstagabend einen Plan zur indirekten Überlassung von Kampfflugzeugen an die Ukraine vorgestellt: Die Regierung in Warschau sei bereit, Jets vom Typ MiG-29 auf den US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz zu verlegen und sie den USA zur Verfügung zu stellen. Das US-Verteidigungsministerium bezeichnete den Vorschlag umgehend als "nicht haltbar" und verwies unter anderem auf die geopolitische Bedenken, wenn Kampfjets von einem US- beziehungsweise Nato-Stützpunkt in den umkämpften ukrainischen Luftraum flögen./rew/DP/he
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