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09.07.2017 16:47:40

G20/GESAMT-ROUNDUP 5/'Maßlose Zerstörungswut': Krawalle schockieren Deutschland

HAMBURG (dpa-AFX) - Nach den beispiellosen Krawallen um den G20-Gipfel in Hamburg ist eine heftige Diskussion über Verantwortung und Konsequenzen ausgebrochen. Die Hamburger CDU forderte am Sonntag den Rücktritt von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), weil er die Sicherheitslage "eklatant falsch eingeschätzt" habe. Aber auch die Entscheidung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für den Gipfelort Hamburg und der Sinn solch aufwändiger Spitzentreffen wurden in Frage gestellt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verteidigte beides: "Ein demokratisch gefestigtes Land wie Deutschland sollte auch das Selbstbewusstsein haben und sagen: Jawohl, solche Konferenzen müssen nicht nur sein, sondern wenn sie sein müssen, dann können sie auch bei uns stattfinden."

Hamburg war wegen der schlimmsten Krawalle in Deutschland seit Jahrzehnten drei Tage und drei Nächte im Ausnahmezustand. Politiker sprachen von "Terror" und "bürgerkriegsähnlichen Zuständen". Die Straßenkämpfe mit Hunderten Verletzten und rund 500 Festnahmen begannen mit der Ankunft der mächtigsten Staats- und Regierungschefs der Welt am Donnerstag und hielten auch noch nach ihrer Abreise in der Nacht zu Sonntag an.

KEINE FORTSCHRITTE IN WICHTIGEN FRAGEN

Beim Gipfel selbst konnten in den zentralen Fragen keine Fortschritte erzielt werden. Merkel gelang es nicht, die anderen großen Wirtschaftsmächte beim Klimaschutz gegen US-Präsident Donald Trump zu vereinen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan schlug sich nach dem Spitzentreffen auf Trumps Seite, indem auch er das Pariser Klimaabkommen infrage stellte. Auch der Streit mit den USA um den Freihandel konnte nicht entschärft werden.

Merkel zeigte sich trotzdem zufrieden und sprach von "guten Ergebnissen" in "einigen Bereichen". Die Krawalle mit schlimmen Verwüstungen und Plünderungen in der Hamburger Innenstadt verurteilte die Kanzlerin aufs Schärfste. "Blindwütige Gewalt kann nicht geduldet werden." Die Kanzlerin versprach den Opfern schnellstmögliche Hilfe und Entschädigung.

SCHOLZ LOBT POLIZEI

Scholz räumte ein, dass es nicht gelungen sei, so für die Sicherheit zu sorgen, wie man sich das vorgestellt habe. "Das erschreckt - jeden, mich auch. Das bedrückt - jeden, mich auch." Vor dem Gipfel hatte Scholz die Risiken mit dem jährlichen Hamburger Hafengeburtstag verglichen. Das harte Durchgreifen der Polizei verteidigte der Bürgermeister und sprach von einem "heldenhaften" Einsatz. Für die Randalierer forderte er "erhebliche Strafen".

CDU-Oppositionschef André Trepoll forderte den Rücktritt des Regierungschefs. "Seiner ureigenen Aufgabe, für die Sicherheit der Stadt zu sorgen, konnte er über Stunden nicht nachgekommen. Seine gegebenen Garantien und Versprechungen haben sich schon vor dem Gipfel in Luft aufgelöst."

STEINMEIER SCHOCKIERT ÜBER ZERSTÖRUNGSWUT

Steinmeier besuchte am Sonntag ein Polizeirevier am Rande des Schanzenviertels, wo es die schlimmsten Krawalle gegeben hat. Er zeigte sich schockiert über die "maßlose Zerstörungswut". Auch in der Nacht zu Sonntag brannten in dem Szeneviertel Barrikaden. In der Nacht davor war die Polizei mit Stahlkugeln beschossen und Molotowcocktails angegriffen worden. Sie setzte ihrerseits mit Maschinenpistolen bewaffnete Spezialeinheiten ein.

Nach Angaben der Polizei gab es 37 Haftbefehle gegen Randalierer, 476 Beamte seien verletzt worden. Insgesamt waren mehr als 20 000 Polizisten im Einsatz. Über verletzte Demonstranten gab es keine Angaben. Die größte Demonstration gegen den G20-Gipfel mit mehr als 50 000 Teilnehmern verlief am Samstag weitgehend friedlich.

KLIMASCHUTZ IM ZENTRUM

Politisch stand das Thema Klimaschutz im Mittelpunkt des Gipfels. Dazu wurde erstmals in der Geschichte der G20-Gipfel ein Dissens in der Abschlusserklärung festgeschrieben, der US-Präsident Donald Trump isolierte. Die 19 anderen Mitglieder der G20 bekannten sich darin zu einer raschen Umsetzung des Pariser Klimaabkommens, aus dem die USA unter Trump ausgestiegen werden.

Diesen zentralen Gipfelbeschluss hebelte Erdogan auf seiner G20-Pressekonferenz allerdings wieder aus. Er habe Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron mitgeteilt: "Solange die Versprechen, die man uns gegeben hat, nicht gehalten werden, werden wir das (Klimaabkommen) in unserem Parlament auch nicht ratifizieren." Erdogan geht es darum, nicht zu den Industriestaaten gezählt zu werden. Denn dann müsste er nicht in einen künftigen Umweltfonds einzahlen, sondern würde daraus Geld erhalten.

PUTIN LOBT MERKEL FÜR KLIMA-BESCHLUSS

Andere Wackelkandidaten wie China, Russland und Saudi-Arabien stellten sich mit der Gipfel-Erklärung aber hinter das Klimaabkommen und damit gegen den US-Präsidenten. Der russische Präsident Wladimir Putin lobte Merkel für das Zustandekommen dieses Beschlusses. "Das ist ein positives Element, das man Kanzlerin Merkel gutschreiben muss", sagte er.

Lob für Merkel kam auch von Trump: "Der G20-Gipfel war ein wunderbarer Erfolg und wunderschön ausgerichtet von Kanzlerin Merkel", twitterte er. Alle hätten sich "trotz der Anarchisten total sicher gefühlt". Trumps Frau Melania konnte allerdings ihre Unterkunft am Freitag wegen der Krawalle stundenlang nicht verlassen.

TRUMP SORGT FÜR RÜCKSCHRITT BEI FREIHANDEL

Beim Freihandel sorgte Trump für einen Rückschritt im Vergleich zu früheren Gipfelerklärungen: Die G20 erkennen die "Rolle legitimer Verteidigungsinstrumente im Handel" ausdrücklich an und machen damit ein Zugeständnis an Trumps Abschottungspolitik. Im Gegenzug schaffte es eine Absage an Protektionismus in die Erklärung. Der Begriff wird aber unterschiedlich interpretiert. Der US-Präsident hält seine "Amerika zuerst"-Politik nicht für Protektionismus, die Europäer schon. Eine Lösung im Streit um Überkapazitäten in der Stahlproduktion und mögliche Strafzölle wurde vertagt. Sie soll nun bis November gefunden werden.

Angesichts bescheidener Ergebnisse und heftiger Krawalle forderte Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht eine Abschaffung der G20-Gipfel. "Im Grunde kann die Lehre nur sein, in Zukunft auf solche Show-Veranstaltungen, die sinnlos Steuergeld verschlingen und keine Ergebnisse bringen, ganz zu verzichten", sagte sie der Deutschen Presse-Agentur./mfi/DP/stw

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