Nach Haftbefehl gestellt |
23.06.2020 17:43:00
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Ehemaliger Wirecard-Chef Braun gegen Millionenkaution auf freiem Fuß - Wirecard-Aktie stabilisiert sich etwas
Braun war am Vorabend in München festgenommen worden. Der österreichische Manager war freiwillig aus dem heimischen Wien angereist - mutmaßlich weil er erfahren hatte, dass ihn die Staatsanwaltschaft per Haftbefehl suchte. Die Ermittler werfen Braun vor, die Bilanzsumme und die Umsätze seines Unternehmens durch vorgetäuschte Einnahmen aufgebläht zu haben. "Er hat im ersten Gespräch seine Mitarbeit zugesagt", sagte die Sprecherin der Ermittlungsbehörde, Anne Leiding. Offen ist bislang, ob sich Braun selbst zu den Vorwürfen inhaltlich geäußert hat. Die Wirecard-Aktien, die seit vergangenem Mittwoch an der Frankfurter Börse über 10 Milliarden Euro Wert verloren haben, legten am Dienstag wieder etwas zu.
Im Bundestag gerät unterdessen die Finanzaufsicht Bafin immer stärker unter Beschuss: "Wenn schon der BaFin-Präsident von einem Skandal spricht, dann muss dies auch Konsequenzen für seine Behörde nach sich ziehen", sagte die Finanzausschuss-Vorsitzende Katja Hessel (FDP) der Funke-Mediengruppe. Der Ausschuss soll sich in der letzten Sitzung vor der Sommerpause mit dem Skandal befassen. Die Linke ging noch weiter: "Auch personelle Konsequenzen an der Spitze der Bafin sind zu prüfen", sagte Fraktionsvize Fabio de Masi.
Brauns Festnahme und die anstehende Freilassung sind neuerliche Wendungen in dem dramatischen Kriminalfall um mutmaßliche Luftbuchungen in Höhe von 1,9 Milliarden Euro. Vorgeworfen werden Braun derzeit "unrichtige Angaben" in den Wirecard-Bilanzen und Marktmanipulation, doch kommen auch andere Straftaten in Betracht - etwa gewerbsmäßiger Betrug. "Wir führen unsere Ermittlungen ergebnisoffen", sagte Leiding dazu.
In dem Skandal könnte noch zumindest eine weitere Festnahme drohen. Auf die Frage, ob Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek nun ebenfalls per Haftbefehl gesucht werde, sagte Oberstaatsanwältin Leiding: "Das kann ich weder bestätigen noch dementieren." Die Frage, ob Marsalek sich auf der Flucht befinde, beantworteten die Ermittler nicht. Marsalek galt bei Wirecard als Brauns rechte Hand, war für das Tagesgeschäft verantwortlich und ist inzwischen gefeuert worden.
Die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt bereits seit Wochen gegen Braun und Marsalek, allerdings ursprünglich lediglich wegen des Verdachts, Anleger in zwei Ad-hoc-Mitteilungen falsch informiert zu haben. Auch zwei weitere Wirecard-Vorstände sind zumindest in dieser Hinsicht unter Verdacht.
Den Vorwurf systematischer Bilanzmanipulation bei Wirecard hatte vor über einem Jahr zuerst die Londoner "Financial Times" erhoben. Braun hatte dies über Monate eisern dementiert und der britischen Zeitung seinerseits haltlose Unterstellungen vorgeworfen. Im Zentrum des Skandals stehen der frühere Wirecard-Finanzchef in Südostasien und ein ehemaliger Treuhänder, der das mutmaßlich zum Großteil gar nicht existierende Geschäft mit Drittfirmen betreute.
Wirecard wickelt als Dienstleister elektronische und bargeldlose Zahlungen an Ladenkassen und im Internet ab, über das Unternehmen laufen die Zahlungsströme zwischen Kredit- und EC-Kartenfirmen auf der einen und den angeschlossenen Händlern auf der anderen Seite.
Im Mittleren Osten und in Südostasien betrieb Wirecard dieses Geschäft jedoch zum großen Teil nicht selbst, sondern hatte Drittfirmen damit beauftragt - so jedenfalls die offizielle Darstellung bis vor wenigen Tagen. Dieses Drittpartnergeschäft machte einen erheblichen Teil der bilanzierten Gewinne aus und lief über die Treuhandkonten, auf denen die 1,9 Milliarden Euro verbucht waren.
Doch nach derzeitigem Stand sieht es so aus, als ob es sich um frei erfundene Scheingeschäfte handelte. Nach Einschätzung der Münchner Ermittler gerieten keineswegs nur Wirecard-Mitarbeiter in Südostasien auf Abwege, sondern auch Mittäter in der Unternehmenszentrale im Münchner Vorort Aschheim - einschließlich Braun. "Wir gehen davon aus, dass es einen hinreichenden Tatverdacht gibt", sagte Leiding dazu.
Auf die Staatsanwaltschaft kommen jedenfalls langwierige Ermittlungen zu. Wesentliche Vorgänge spielten sich in Singapur und auf den Philippinen ab, dort hat die deutsche Justiz weder Zugriff auf Verdächtige noch auf Zeugen oder Akten. Deswegen prüft die Staatsanwaltschaft Rechtshilfeersuchen.
Die Anzeichen deuten jedenfalls darauf hin, dass der kommissarische Wirecard-Chef James Freis aufräumen will. Seit Freis am vergangenen Freitag berufen wurde, hat das Unternehmen die mutmaßliche Nichtexistenz der 1,9 Milliarden offen eingeräumt und Marsalek gefeuert, der wenige Tage vorher noch unter Brauns Regie lediglich suspendiert worden war.
Der US-Manager Freis ist vom Fach: Er leitete von 2007 bis 2012 im Washingtoner Finanzministerium die Einheit zur Bekämpfung der Finanzkriminalität. Ob der neue Wirecard-Chef auch bei den Ermittlungen gegen Braun mit konkreten Hinweisen behilflich war, ließ Leiding offen: "Ich kann natürlich insbesondere in diesem Verfahrensstadium noch nichts so genau zu unseren Ermittlungsmaßnahmen sagen."
Finanzausschuss-Chefin fordert Konsequenzen für Bafin wegen Wirecard
Die Vorsitzende des Finanzausschusses im Bundestag, Katja Hessel (FDP), hat Konsequenzen aus dem Bilanzskandal des Zahlungsdienstleisters Wirecard gefordert. "Es ist nicht nachvollziehbar, dass es zu diesem Fiasko kommen konnte, ohne dass irgendeine beteiligte Stelle stutzig wurde. Hier muss Vorsatz mit im Spiel sein", sagte Hessel den Funke-Zeitungen. Der Vorfall erinnere sie "stark an eine Posse".
Die Wirtschaftsprüfer und die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) müssten sich einer kritischen Selbstprüfung stellen, sagte Hessel. Insbesondere die Bafin müsse sich mit der Frage auseinandersetzen, ob das Aufsichtssystem den Anforderungen noch gerecht werde. "Wenn schon der Bafin-Präsident von einem Skandal spricht, dann muss dies auch Konsequenzen für seine Behörde nach sich ziehen", sagte Hessel. Der Finanzausschuss des Bundestages werde sich in der letzten Sitzung vor der Sommerpause mit dem Thema befassen.
Wirecard-Aktien stabilisieren sich nach Absturz etwas
Nach Kursverlusten von gut 86 Prozent innerhalb von drei Handelstagen haben die Aktien von Wirecard am Dienstag einen leichten Aufschwung hingelegt. Die von mehreren Hiobsbotschaften gebeutelten Papiere des Zahlungsabwicklers stiegen schlussendlich um 18,82 Prozent auf 17,16 Euro - das Tageshoch belief sich auf 18,84 Euro.
Am Dienstag hatten die Wirecard-Anteilsscheine gut 44 Prozent an Wert eingebüßt, nachdem das Unternehmen eingeräumt hatte, dass Bankguthaben auf Treuhandkonten in Höhe von insgesamt 1,9 Milliarden Euro, die bisher als Aktivposten in der Bilanz ausgewiesen waren, "mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht bestehen".
Unterdessen versucht der Bezahldienstleister, seine Geschäfte in Singapur mit einer eigenen Lizenz in dem Land am Laufen zu halten. Ein entsprechender Antrag des Unternehmens sei bei Singapurs Zentralbank eingegangen, teilte die dortige Finanzaufsicht MAS am Dienstag mit. Die Behörde verlangt von dem Unternehmen eine solche Lizenz nach dem neuen Gesetz für Zahlungsverkehrdienste. Vorerst arbeite Wirecard mit einer Ausnahmeregelung, hieß es.
Die Zukunft von Wirecard hängt vom Wohlwollen der Banken ab. Diese könnten Wirecard den Geldhahn abdrehen, nachdem die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young das Testat für den Jahresabschluss wegen der fehlenden Gelder verweigert hatten. Dass die Kredite nicht sofort fällig gestellt wurden, hatte Analyst Markus Jost von Independent Research tags zuvor als derzeit einzigen Lichtblick in der Causa Wirecard hervorgehoben.
Dow Jones / dpa-AFX
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