26.07.2013 18:38:58

DER STANDARD-Kommentar "Die Säuberung der Revolution" von Gudrun Harrer

"Die Rolle der Muslimbrüder beim Umsturz 2011 muss delegitimiert werden" - Ausgabe 27.7.2013

wien (ots) - Die ägyptische Justiz ist der Aufforderung von Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon, den gestürzten Präsidenten Mohammed Morsi freizulassen oder die Gründe für seine "Schutzhaft" - so nannte es die Armee - darzulegen, prompt gefolgt: Die Palette der Anklage reicht von Spionage und Landes- oder Hochverrat bis zu Mord. Die verschwörerischen staatsfeindlichen Akte fanden während der Revolution im Jänner und Februar 2011 statt - die der damals gestürzte Präsident Hosni Mubarak und seine Anhänger wohl in ihrer Gesamtheit als "staatsfeindlichen Akt" einstufen würden. Die Muslimbrüder werden jedoch beschuldigt, den Umsturz mit Hilfe von außen, von ihrer palästinensischen Schwesterorganisation Hamas, betrieben zu haben. Dazu sei die Hamas auf ägyptischem Boden mit Gewaltakten tätig geworden. Das ist durchaus denkbar, und prinzipiell wäre das beziehungsweise etwas Ähnliches wohl in allen Ländern der Welt ein Straftatbestand. Im Fall der Muslimbrüder und ihrer Beteiligung an der Revolution ist die Motivation, die hinter den Ermittlungen der Justiz steht, jedoch viel komplexer als dieser Tatbestand. Ihre Rolle muss delegitimiert werden. Die Kriminalisierung der Muslimbrüder ist der "Korrektionsbewegung" - um noch einen historisch belasteten Begriff anzuwenden - so wichtig, dass sie in Kauf nimmt, die Revolution, in deren Namen sie agiert, zu beschädigen. Denn die Version, dass es eine Revolution einer jungen urbanen Zivilgesellschaft im Namen der Freiheit und der politischen Moderne war, würde durch die Morsi-Anklage ja wohl widerlegt. Die Behauptung, dass die Muslimbrüder sich erst sehr spät der Bewegung anschlossen, veranlasste 2011 viele Kommentatoren weltweit dazu, das Ende des politischen Islam zu verkünden. Und nun war die Revolution also doch von Anfang an nur ein Muslimbrüder-Komplott - wie das die Anhänger des Ancien Régime immer gesagt haben? Das war sie natürlich nicht, aber das Muslimbrüder-Element muss nun gänzlich entfernt werden, um der Revolution von 2011 ihre ganze Gloriosität zurückzugeben beziehungsweise sie zu "vollenden". Die Säuberung hat begonnen. Man darf gespannt sein, was als Nächstes kommt. Es ist durchaus vorstellbar, dass die Säuberungswelle noch andere Kreise
zum Beispiel Teile des Sicherheitsapparats, die mit den Muslimbrüdern kooperiert haben - erfasst. Viele Ägypter und Ägypterinnen beginnen ja schon zu unterscheiden zwischen der bösen Armee der Militärherrschaft unter Feldmarschall Hussein al-Tantawi, der 2011/2012 die Macht nicht abgeben wollte und die Menschenrechte mit Füßen trat, und der jetzigen guten Armee unter Abdelfattah al-Sisi. Die Bewegung Tamarod (Rebellion), die den Sturz Morsis mit einer Unterschriftenaktion eingeleitet hat, unterstützte am Donnerstag General Sisis Aufruf, ihm ein Mandat zur "Bekämpfung des Terrorismus" zu geben. Die Unterstützung koppelt Tamarod mit der Forderung, die US-Botschafterin Anne Patterson des Landes zu verweisen, weil diese es, zynisch gesagt, am nötigen Enthusiasmus für die politischen Vorgänge in Kairo fehlen lässt. Die Ägypter machen es einem im Moment wirklich nicht leicht. Dass es mit den Muslimbrüdern an der Spitze nicht mehr weiterging, war schon nachvollziehbar. Aber irgendwann muss das Revolutionsgetöse auch wieder aufhören.

Rückfragehinweis: Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

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