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20.10.2013 18:35:58

DER STANDARD-Kommentar: "Die Rache der kleinen Leonarda" von Stefan Brändle

Ein ausgewiesenes Roma-Mädchen destabilisiert die französische Staatsgewalt (Ausgabe vom 21. 10. 2013

Wien (ots) - Die Ausweisung der Roma-Familie Dibrani ist in Frankreich ein Fall unter vielen. Dass die Tochter Leonarda zu einem politischen Symbol wurde und eine Regierungskrise auslöste, hat seinen Grund nur darin, dass die 15-Jährige von der Polizei auf einem Schulausflug wie eine Kriminelle "gepflückt" wurde.

Schon von daher ist es völlig unverständlich, warum Frankreichs Präsident Fran?ois Hollande nur dem Mädchen die Rückkehr nach Frankreich anbietet. Dass er damit eine Familie spalten könnte, scheint ihm nicht in den Sinn gekommen zu sein: Für Leonarda Dibrani ist es kein Trost, dass sie über Nacht wurde, was Arigona für Österreich war - ein Symbol.

In der Folge gingen in Paris tausende Mittelschüler und andere Betroffene auf die Straße. Sie demonstrierten gegen die unzimperliche Ausweisung, aber auch dagegen, dass Präsident Fran?ois Hollande in etwa den gleichen Roma-Kurs fährt wie sein konservativer Vorgänger Nicolas Sarkozy.

Der sozialistische Staatschef wies die Polizeichefs im Land vor einem Jahr zwar an, Roma-Lager nur noch zu schleifen, wenn Ersatzlösungen für die Beherbergung, Einschulung oder Arbeitssuche bestünden. Laut dem nationalen Ombudsmann wird diese Vorgabe aber nicht befolgt. Wenn die Bulldozer die wilden Lager planiert haben, werden die Roma so zahlreich wie zuvor ausgewiesen: Pro Jahr werden so etwa 10.000 Roma von Frankreich nach Rumänien, Bulgarien oder anderswo zurückgeflogen.

Der "Fall Leonarda" geht aber noch darüber hinaus und zeugt generell von einem zunehmenden Frust linker Wähler in Frankreich. Seit Monaten müssen sie zusehen, dass "ihr" Präsident einen wirtschaftlichen Sparkurs fährt, der von Brüssel und Berlin abgesegnet ist, im eigenen Lager aber auf harte Ablehnung stößt. Jetzt zieht sich der Präsident auch noch den Ruf zu, er betreibe eine ähnliche Sicherheitspolitik wie Sarkozy - und bemäntle dies mit einem Angebot an Leonarda Dibrani, das in Wahrheit keines ist. Hollande gerät damit nicht nur in die Kritik der EU-Kommission, sondern immer mehr auch zwischen die politischen Fronten. Und zwar buchstäblich: "Le front de gauche" links der Sozialisten verschafft sich immer mehr Gehör, wie dies rechts außen auch der Front National (FN) von Marine Le Pen tut. Bei den Kommunalwahlen Anfang nächsten Jahres deutet alles auf einen FN-Erfolg und ein Debakel der Sozialisten hin. Hollande laviert zwischen den Extremen und scheut, wie die Leonarda-Affäre zeigt, auch faule Kompromisse nicht: Jeder andere Entscheid wäre besser gewesen als sein Nichtentscheid. Deshalb war es dem Präsidenten nur recht, dass sein Innenminister Manuel Valls eine harte Tour gegen die Roma fährt. Laut Umfragen sind zwei Drittel der Franzosen gegen die Rückkehr der jungen Kosovarin. Diese schweigende Mehrheit wird im Frühling an die Urnen gehen.

Mit seiner Unentschlossenheit zieht Hollande aber kaum neue Wähler an. Am wütendsten über seinen faulen Kompromissvorschlag war die 15-Jährige selbst, die unter Tränen erklärte, sie sei doch kein "Hund", den man an der Leine herumführen könne. Auch die bis in die eigene Partei negativen Reaktionen zeigen, dass Hollande diese Affäre nicht ausgestanden hat. Das pummelige Roma-Mädchen mit dem schlechten Französisch dürfte dem großen Präsidenten im Élysée noch manche schlaflose Stunde bereiten.

Rückfragehinweis: Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

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